| # taz.de -- Geschlechterrollen in Corona-Zeiten: In der Homeoffice-Falle | |
| > Sind Frauen die Verliererinnen der Coronakrise? Droht der Rückfall in | |
| > alte Geschlechterrollen? Neue Studien zeigen ein differenziertes Bild. | |
| Bild: Viele Frauen treten seit der Corona-Krise beruflich kürzer | |
| Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), | |
| fand schon Anfang Mai drastische Worte. Frauen erlebten durch die | |
| [1][Folgen der Pandemie] eine “entsetzliche Retraditionalisierung“, | |
| behauptete sie in der Talkshow „Anne Will“: „Ich glaube nicht, dass man d… | |
| so einfach wieder aufholen kann und dass wir von daher bestimmt drei | |
| Jahrzehnte verlieren.“ | |
| Die Aussage der Soziologin stützte sich zu diesem frühen Zeitpunkt eher auf | |
| Spekulation als auf abgesicherte Daten. Eine nicht repräsentative | |
| WZB-Umfrage hatte ergeben, dass Mütter nach den Schul- und | |
| Kita-Schließungen in geringerem Stundenumfang weiter Erwerbsarbeit | |
| leisteten als Väter; manche gaben ihre berufliche Tätigkeit sogar ganz auf. | |
| Das deckte sich mit den alltäglichen Beobachtungen vieler Menschen: In den | |
| meisten Familien übernahmen Frauen die Aufgabe der Ersatzlehrerin im | |
| improvisierten Heimunterricht. | |
| Eine Rolle rückwärts? Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Denn auch Männer | |
| haben während des Lockdowns ungewohnte Erfahrungen gemacht, vor allem durch | |
| die stark gestiegene Nutzung der Arbeitsform Homeoffice. Ein Projekt der | |
| Universität Bielefeld und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung | |
| präsentierte im Juni auf der Basis des „sozioökonomischen Panels“ etwas | |
| genauere Fakten. Das Wissenschaftlerteam hatte nachgefragt, wie viel Zeit | |
| Eltern mit minderjährigen Kindern im Monat April für Betreuung und | |
| Hausarbeit aufbrachten. | |
| Mütter kamen dabei auf 7,6 Stunden, Väter auf 4,2 Stunden täglich. Im | |
| Vergleich zu den Zeiten vor Corona errechnete sich eine Mehrarbeit von rund | |
| zwei Stunden für beide Geschlechter. Die These vom Rückfall in | |
| traditionelle Rollenmuster untermauert die Studie also nicht: Die | |
| zusätzlichen Belastungen teilen die Paare relativ paritätisch unter sich | |
| auf. Eine Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag des | |
| Familienministeriums bestätigt diesen Befund: Frauen leisten danach wie | |
| bisher deutlich mehr [2][unbezahlte Sorgearbeit], doch Corona hat nichts | |
| Wesentliches verändert. | |
| ## Männer nutzen das Homeoffice für ihre Karriere | |
| Schon 2019 untersuchte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche | |
| Institut der Hans-Böckler-Stiftung die Zeitverwendung speziell im | |
| Homeoffice. Die WSI-Studie zeigte ein geschlechterpolitisch weniger | |
| ermutigendes Resultat. Männer nutzten ihr zufolge die Heimarbeit eher für | |
| berufliche Überstunden als für Care-Tätigkeiten. Doch lässt sich dieses | |
| Ergebnis einfach auf die Sondersituation im Frühjahr 2020 übertragen? | |
| Eine im Juli veröffentlichte Erhebung des Wiesbadener Bundesinstituts für | |
| Bevölkerungsforschung (BiB) über [3][„Eltern während der Coronakrise“] | |
| weist die These von der Retraditionalisierung sogar explizit zurück. Die | |
| Beteiligung der Väter an den Familienaufgaben sei gewachsen. Vorher habe | |
| der Anteil bei 33,3 Prozent gelegen, sei dann aber auf 41,5 Prozent | |
| gestiegen. | |
| „Die Aufgabenteilung stellt sich egalitärer dar als vor Corona“, betont | |
| BiB-Direktor Norbert Schneider. Der Wissenschaftler geht allerdings davon | |
| aus, dass die Bereitschaft der Männer zur Haus- und Erziehungsarbeit wieder | |
| sinken wird, wenn sich die Lage normalisiert. | |
| Alle bislang vorgelegten Studien und Befragungen beruhen auf unsicheren | |
| Daten. Weil fundiertes empirisches Material noch weitgehend fehlt, handelt | |
| es sich lediglich um Tendenzmeldungen und vorläufige Hypothesen. Offenbar | |
| fühlen sich Väter stärker verpflichtet, in ihrer Familie präsent zu sein. | |
| In welchem Maße dies geschieht, hängt aber auch von der spezifischen | |
| Paarkonstellation und den jeweiligen Berufsfeldern ab. | |
| Arbeitet eine Frau zum Beispiel „systemrelevant“ Vollzeit im Krankenhaus, | |
| ihr Partner aber “kurz“ in einem Industriebetrieb mit Auftragsmangel, ist | |
| die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er sich mehr als zuvor um Kinder und | |
| Haushalt kümmert. Sind beide in vergleichbaren Bürojobs tätig und gemeinsam | |
| im Homeoffice, dürften sich eingeschliffene Muster eher erhalten. Der | |
| Stellenwert der professionellen Arbeit von zu Hause wird ohnehin | |
| überschätzt. Selbst in der Hochphase des Lockdowns konnten maximal 40 | |
| Prozent der Erwerbstätigen im Homeoffice sitzen; mittlerweile wurde die | |
| Möglichkeit dazu in vielen Unternehmen wieder abgebaut oder ganz | |
| abgeschafft. | |
| ## Retraditionalisierung und Familismus | |
| Der Begriff Retraditionalisierung enthält einen zusätzlichen Aspekt, den | |
| die Sozialforscherin Gisela Notz „Familismus“ nennt: Die | |
| Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote während der Pandemie führten zum | |
| Rückzug in die eigenen vier Wände – und zur Fixierung auf meist durch | |
| Verwandtschaft definierte soziale Kerngruppen. Andere Netzwerke | |
| funktionierten dagegen nicht, private Verabredungen, Chorproben, | |
| Fußballtrainings oder Kartenspielrunden fielen über Wochen und Monate aus, | |
| öffentliche, den Horizont erweiternde Bildungsräume wie Volkshochschulen, | |
| Museen oder Bibliotheken wurden geschlossen und verloren so zeitweise an | |
| Bedeutung. | |
| Und die staatliche Krisenpolitik? Hier passt das alte, eigentlich | |
| abgeschmackte Bonmot des Soziologen Ulrich Beck von der „verbalen | |
| Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“. Die | |
| „Rettungspakete“, vor allem das großzügig aufgestockte Kurzarbeitergeld, | |
| dienen vorrangig der Beruhigung einer männlichen Arbeiterklientel. | |
| Selbständige etwa in Kulturberufen, wo der Frauenanteil erheblich höher | |
| liegt als in der Autoindustrie oder im Maschinenbau, werden dagegen nur | |
| kleinlich und mit umfangreichen Prüfungsandrohungen gefördert. | |
| Angesichts des weiterhin stärkeren Engagements von Müttern in Care-Arbeit | |
| und Fernunterricht ergibt sich als Fazit: WZB-Chefin Jutta Allmendinger hat | |
| übertrieben, als sie gleich drei Jahrzehnte Rückschritt in Gender-Fragen | |
| prognostizierte. Berechtigt aber bleibt ihre Warnung, dass Frauen mit der | |
| mehrheitlichen Übernahme der Sorgetätigkeiten beruflich zurückzufallen | |
| drohen – und so die Gefahr einer „feminisierten Armut“ vor allem für | |
| Alleinerziehende steigt. | |
| 24 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Expertin-zu-Frauen-in-der-Coronakrise/!5681243&s=Sorgearbeit/ | |
| [2] /Familie-in-Corona-Krise/!5679788&s=Sorgearbeit/ | |
| [3] https://www.bib.bund.de/Publikation/2020/pdf/Eltern-waehrend-der-Corona-Kri… | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Gesterkamp | |
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