# taz.de -- Homeoffice in der Coronapandemie: Arbeitgeber fürchten Folgen | |
> In der Coronapandemie ist es beliebt und vernünftig, zu Hause zu | |
> arbeiten. Doch schon jetzt wird darum gerungen, wie es danach weitergeht. | |
Bild: Es soll Beschäftigte geben, die vorrechnen, ihre private Wasserrechnung … | |
BERLIN taz | Moritz Karwinski ist skeptisch. „Wenn sich die Mitarbeiter | |
erst mal daran gewöhnen, dass der Freitag ein gemütlicher Tag im Homeoffice | |
ist, dann ist das für den Betrieb nicht gut“, sagt der 60-jährige | |
Bauunternehmer, „da kann dann auch was einreißen, das man schwer wieder | |
zurückdrehen kann.“ | |
Karwinski ist ein mittelständischer Unternehmer mit Sitz in Berlin. Sein | |
Büro in der Hauptstadt beschäftigt 25 Leute. Er gilt als sozialer | |
Firmenchef, stellt auch gerne ältere MitarbeiterInnen ein, auch solche nach | |
längerer Arbeitslosigkeit. Aber einen Anspruch der MitarbeiterInnen auf | |
Homeoffice, wie es Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) [1][per Gesetz | |
festschreiben will], lehnt Karwinski ab. „Der Arbeitgeber muss am Ende die | |
volle Entscheidungsfreiheit behalten“, sagt er. | |
In seiner Firma sind die Erfahrungen mit Homeoffice, in dem ein Viertel des | |
Büropersonals arbeitet, durchwachsen: „Wir merken, dass es für Unfrieden | |
innerhalb der Belegschaft sorgt, wenn manche der ständig anwesenden | |
Mitarbeiter den Verdacht hegen, ein Kollege oder eine Kollegin machte es | |
sich im Homeoffice zu bequem“, sagt der Firmenchef. Weil das Thema so | |
heikel ist, will Karwinski seinen richtigen Namen lieber nicht in der | |
Zeitung lesen. | |
Wie es weitergeht mit dem Homeoffice auch nach der [2][Coronakrise], das | |
beschäftigt derzeit Tausende von Unternehmen in Deutschland. Denn in der | |
mobilen Arbeit lauern Konflikte, die nur jetzt, zu Coronazeiten, noch nicht | |
überall offen ausgesprochen werden. | |
## Ein Minenfeld | |
„Wir sind immer noch im Krisenmodus“, betont Wolfram Trost, Sprecher bei | |
Siemens in München. Zurzeit befänden sich etwa 130.000 der weltweit 385.000 | |
MitarbeiterInnen im Homeoffice. „Der Plan ist, den Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeitern nach der Pandemie die Möglichkeit zu geben, zwei bis drei Tage | |
in der Woche mobil zu arbeiten. Dabei muss man jeweils die gesetzlichen | |
Bestimmungen in den Ländern beachten und die Details müssen mit den | |
Arbeitnehmervertretern geklärt werden“, so Trost. | |
Doch der Weg zu einer neuen Betriebsvereinbarung ist schwer. Denn viele | |
Punkte sind zu klären: Wer sorgt für die ergonomische Ausstattung der | |
MitarbeiterInnen zu Hause, wer bestimmt, wann wer ins Homeoffice darf, was | |
ist mit dem Datenschutz? Das preiswerte Kantinenessen fällt zudem weg, und | |
es soll Beschäftigte geben, die sogar vorrechnen, dass ihre private | |
Wasserrechnung steige, weil sie dank Homeoffice nur noch zu Hause auf die | |
Toilette gehen. Es ist ein Minenfeld. | |
Hagen Reimer ist bei der IG Metall in München für Siemens zuständig. | |
„Homeoffice berührt zentrale Punkte der Mitbestimmung, da befindet sich | |
Siemens noch im Verhandlungsstadium für eine Betriebsvereinbarung nach | |
Corona“, sagt er. „Ein Punkt ist die Frage, welche Kapazitäten man vorhält | |
und wie man die Lage der Arbeitstage im Betrieb koordiniert.“ | |
Er schildert: „Wenn beispielsweise viele Arbeitnehmer vor allem am Montag | |
und Freitag im Homeoffice arbeiten wollen, dann würden sich die | |
Anwesenheiten im Betrieb auf die Tage von Dienstag bis Donnerstag | |
konzentrieren, diese Massierung wäre aber schwierig, man müsste schauen, | |
wie man das regelt“, schildert der Gewerkschafter. | |
## Einsparmöglichkeiten für Unternehmen | |
MitarbeiterInnen bevorzugen häufig die Tage an den Wochenrändern, um im | |
Homeoffice zu arbeiten. Dies könnte den Verdacht nähren, dass manch einer | |
die Tage in Heimarbeit als eine Art verlängertes Wochenende empfindet. Die | |
Unternehmensleitungen wollen einer solchen Psychologie vorbeugen. | |
„Die Arbeitsmodelle müssen sich an den Aufgaben orientieren. Das heißt | |
auch, dass nicht zwingend an fixen Wochentagen mobil gearbeitet wird, | |
sondern dann, wenn es den Arbeitserfordernissen am besten gerecht wird“, | |
sagt Siemens-Sprecher Trost. | |
Für die Unternehmen könnte es sich rechnen, wenn die Belegschaften öfter zu | |
Hause arbeiten und sich im Büro tageweise an den Schreibtischen abwechseln | |
– man braucht weniger Platz. „Es gibt im Unternehmen Begehrlichkeiten, | |
Büroflächen einzusparen“, befürchtet der Gewerkschafter Reimer. „Das darf | |
aber nicht mit Nachteilen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer | |
verbunden sein.“ | |
Denn für die Beschäftigten ist keineswegs klar, dass die Arbeit zu Hause | |
immer die bessere Lösung ist. Vielmehr hängt es von den Wohnverhältnissen, | |
der Familiensituation und dem Anfahrtsweg ab, ob man mehr oder weniger von | |
der neuen Heimarbeit profitiert. Homeoffice verstärkt Ungleichheiten. | |
„Mobil arbeiten ist schön, wenn ich ein Eigenheim mit Garten habe“, sagt | |
Timo Günther, Sprecher der IG Metall Bayern. | |
## Eine Art „moralische Verpflichtung“ | |
Wer seinen Computer zu Hause aber auf dem Esstisch stehen hat, weil in der | |
Wohnung sonst kein Platz dafür ist, wer allein in einer kleinen | |
Einzimmerwohnung lebt, der oder die [3][geht vielleicht lieber ins Büro]. | |
Wer hingegen nicht nur über eine großzügige Wohnung, sondern vielleicht | |
auch noch über ein kleines Landhaus mit gutem Internet verfügt, für die | |
oder den ist es attraktiv, mobil zu arbeiten und nach dem Wochenende auch | |
noch den Montag im Datscha-Office zu verbringen. | |
Jeglicher Gemütlichkeitsverdacht gegenüber den neuen HeimarbeiterInnen wird | |
durch die Forschung allerdings widerlegt. Eine Studie der | |
[4][Hans-Böckler-Stiftung] aus der Zeit vor Corona ergab, dass | |
ArbeitnehmerInnen im Homeoffice in der Tendenz eine höhere | |
Einsatzbereitschaft zeigten und eher bereit waren zu Überstunden als die | |
KollegInnen im Büro, auch weil sie eine Art „moralische Verpflichtung“ | |
verspürten, angesichts des Privilegs der mobilen Arbeit besondere Leistung | |
zu bringen. | |
Die Studienautorin Yvonne Lott forderte daher „allgemeingültige Kriterien“ | |
zu schaffen, nach denen die Arbeit der Belegschaften sowohl im Betrieb als | |
auch zu Hause einheitlich beurteilt werden könne, um Selbstausbeutung zu | |
vermeiden. | |
Doch einheitliche Kriterien sind in manchen Betrieben schwer zu entwickeln, | |
weil die Arbeit so vielfältig ist. „Kundenakquise, Kundenbetreuung, | |
Bauvorhaben sind sehr unterschiedlich, sehr komplex, Projekte kann man kaum | |
miteinander vergleichen“, sagt Unternehmer Karwinski aus Berlin. Er möchte | |
auf keinen Fall, dass MitarbeiterInnen denken könnten, er verdächtige sie, | |
im Homeoffice nicht engagiert genug zu arbeiten. „Dann ist das | |
Vertrauensverhältnis im Eimer, das hilft niemandem“, sagt der Firmenchef. | |
In einer Studie der Krankenkasse [5][DAK] erklärte mehr als die Hälfte der | |
Beschäftigten, zu Hause produktiver zu sein, vor allem weil der Zeitaufwand | |
für den Weg zur Arbeit wegfalle. Eine [6][Befragung] im Auftrag des | |
Software-Dienstleisters Eset wiederum ergab, dass nur 10 Prozent der | |
befragten Unternehmensleitungen die Arbeit der Belegschaft im Homeoffice | |
als produktiver empfanden. | |
Die Wohnsituation, der Anfahrtsweg, das Beziehungsnetz, die Art der | |
Arbeitsaufgaben und nicht zuletzt die eigene Persönlichkeitsstruktur | |
entscheiden mit, ob das Homeoffice zum Segen wird oder zum Fluch. Und eine | |
Spaltung vertieft sich: „Es gibt einen Gerechtigkeitsfaktor im Betrieb“, | |
sagt Siemens-Koordinator Reimer von der IG Metall. „Die Arbeitnehmer und | |
Arbeitnehmerinnen in der Produktion, die gar kein Homeoffice machen können, | |
die fühlen sich benachteiligt. Da muss man versuchen, einen fairen | |
Ausgleich zu finden.“ | |
30 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Homeoffice-Rechte-fuer-Arbeitende/!5678697 | |
[2] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[3] /Bilanz-zum-Homeoffice/!5703142 | |
[4] https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_54_2020.pdf | |
[5] https://www.dak.de/dak/bundesthemen/sonderanalyse-2295276.html#/ | |
[6] /Bilanz-zum-Homeoffice-in-Coronazeiten/!5696746/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
## TAGS | |
Homeoffice | |
Gewerkschaft | |
Arbeitswelt | |
Arbeitswelt | |
Homeoffice | |
Covid-19 | |
Homeoffice | |
Homeoffice | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Homeoffice | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wandel der Arbeitswelt: Schaffe, schaffe, Päusle mache | |
Der Arbeitsethos der Deutschen ist berühmt-berüchtigt. Doch nun wollen | |
immer mehr Menschen flexibler und weniger arbeiten. Was ist da verrutscht? | |
Gesetzentwurf zum Homeoffice: Möglichkeit statt Pflicht | |
Aus der Union gibt es ein Eckpunktepapier zu mobiler Arbeit. Es ist ein | |
Gegenentwurf zu den Plänen von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). | |
Soziale Ungerechtigkeit und Corona: Pandemie verstärkt Ungleichheit | |
Sind vor dem Coronavirus alle gleich? Eine Studie mahnt die Bekämpfung | |
sozialer Ungleichheit an. Deutschland landet auf Platz 3, trotz Defiziten. | |
Kanzleramt gegen Gesetzentwurf: Doch kein Recht auf Homeoffice | |
Es gibt Widerstand gegen den Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil für | |
ein Recht auf Homeoffice. Das Kanzleramt stellt sich offenbar dagegen. | |
Pro und Contra zum Recht auf Homeoffice: Revolution oder Isolation? | |
Am Plan des Bundesarbeitsministers, ein Recht auf 24 Tage Heimarbeit im | |
Jahr einzuführen, scheiden sich die Geister. Liegt alles Heil im Homeoffce? | |
Finanzcasino aufgrund von Corona: Wenn Büros leer stehen | |
Dank Corona kommt das Homeoffice in Mode. Städter können aufs Land ziehen, | |
Firmen ihre Büros verkleinern. Bei Immobilienfonds ändert sich alles. | |
Sechs Monate Alltag mit Corona: Was neben dem Homeoffice bleibt | |
Camus lesen oder Brot backen? Ohne Katastrophenmanagment geht nichts. Die | |
taz-Kulturredaktion über das Pandemieleben. Teil 1. | |
Geschlechterrollen in Corona-Zeiten: In der Homeoffice-Falle | |
Sind Frauen die Verliererinnen der Coronakrise? Droht der Rückfall in alte | |
Geschlechterrollen? Neue Studien zeigen ein differenziertes Bild. | |
Bilanz zum Homeoffice: Wie schön, wieder ins Büro! | |
Viele Menschen kehren nach Monaten im Homeoffice wieder ins Büro zurück. | |
Plötzlich erscheint der Arbeitsplatz als magischer Ort der Ruhe. |