# taz.de -- Sechs Monate Alltag mit Corona: Was neben dem Homeoffice bleibt | |
> Camus lesen oder Brot backen? Ohne Katastrophenmanagment geht nichts. Die | |
> taz-Kulturredaktion über das Pandemieleben. Teil 1. | |
Bild: Wenigstens dem alten Laster kann die Pandemie nichts anhaben | |
Ein halbes Jahr herrscht bei uns nun der Ausnahmezustand, und eigentlich | |
ist alles wie zuvor auch. In meinem Leben jedenfalls: [1][keine Clubs, | |
keine Bars], am liebsten auf dem heimischen Sofa – vermissen tue ich trotz | |
Corona kaum etwas. | |
Es mag zynisch klingen, doch mir kommt es so vor, als seien viele | |
Sicherheitsmaßnahmen zu früh gelockert worden. Gut, während andere nach | |
eineinhalb Monaten bereits auf dem Zahnfleisch liefen, hatte ich mich | |
gerade mal an die Begebenheiten gewöhnt und geschafft, mir neue Strukturen | |
zu schaffen. Ganz anders, als es Max Frisch einmal beschrieb, war der | |
Krisenzustand für mich aber in keinster Weise produktiv. | |
Laut Frisch hätte ich dem Lockdown und was ihm folgte, den Beigeschmack der | |
Katastrophe nehmen müssen, um etwas Ertragreiches zu schaffen. Daran bin | |
ich erfolgreich gescheitert – mein inneres Katastrophenmanagement versagte | |
kläglich. Die Pflichten zu erfüllen und nicht völlig eins zu werden mit | |
meiner Jogginghose kostete mich derart viel Kraft, dass jeder Anflug von | |
Kreativität dahinschmolz. | |
Sicher etwas neidisch, aber auch extrem genervt schaute ich anderen in den | |
sozialen Medien bei ihren Missionen der Selbstverwirklichung zu. Camus | |
lesen, Brot backen, dem Traumkörper entgegenstählen – mir schien, jede*r | |
war in der Lage, die Coronakrise für sich in [2][maximale Produktivität] | |
umzuwandeln. Natürlich kann auch ich abstrahieren, zwischen dem Glamour der | |
Instagram-Welt und dem tatsächlichen Alltag, der gegen all die gefilterten | |
Fotos und Storys profan wirkt. | |
## Schöne neue Welt ohne Zugang | |
Plötzlich aber bekam man ja nichts mehr mit von all den Missgeschicken und | |
Fehlschlägen, die sonst in Nebensätzen und Untertönen mitschwingen. | |
Plötzlich fand alles nur mehr in diesem Internet statt und metamorphosierte | |
sich in meinen Gedanken zu einer schönen neuen Welt, zu der mir aus | |
unerfindlichen Gründen der Zugang verwehrt blieb. | |
Statt also die vermeintlich gewonnene Zeit für Klassiker im Buch- und | |
Filmbereich zu nutzen, gestaltete ich, was neben dem Homeoffice an Freizeit | |
blieb, extrem sinnlos. So sah ich meinen geliebten „Friends“ zum sicher | |
472. Mal beim Existieren zu. Das sind immerhin 236 Folgen à circa 25 | |
Minuten verschenkte Lebenszeit. Verschenkt, weil ich bereits jede einzelne | |
Sequenz sowieso schon mitsprechen konnte. | |
Extrem sinnlos, wenn nicht gar fahrlässig in Anbetracht eines die Atemwege | |
befallenden Virus ist auch ein neues, altes Laster, dem ich seit der | |
Pandemie wieder allzu beherzt fröne. Unnötig zu erwähnen, welches, hätte | |
ich mir dafür definitiv einen passenderen Augenblick aussuchen können. | |
Nämlich nie. | |
Über so viel Verantwortungslosigkeit kann ich eigentlich nur den Kopf | |
schütteln. Doch wie auch [3][Coronaleugner*innen und | |
Verschwörungsideolog*innen] beweisen, bringt eine Ausnahmesituation wohl | |
vor allem eines in den Menschen hervor: das Dümmste. | |
11 Sep 2020 | |
## LINKS | |
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[3] /Coronaleugner-in-Berlin/!5710766 | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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