| # taz.de -- Sechs Monate Alltag mit Corona: Plötzlich wurde die Familie wichtig | |
| > Der Sohn weg, die Ernte schlecht und unerwartet ein wenig Freiheit. Die | |
| > taz-Kulturredaktion über das Pandemieleben. Teil 2. | |
| Bild: Neues Accessoire auf der Wäscheleine | |
| Wenn ich mir ein Symbol für meine [1][Coronazeit] vorstelle, sehe ich eine | |
| Kurve, die blitzschnell steil ansteigt, eine Weile auf dem hohen Niveau | |
| verharrt und dann schnell abflacht. Nicht auf das Niveau von davor, sondern | |
| etwas höher. Und mit Zacken drin. | |
| Am 16. März ging Deutschland in den Lockdown. Eine Woche davor hatte ich | |
| mit meinem Cousin, einem Geriatrie-Arzt in Turin, telefoniert. Er durfte | |
| nicht mehr vor die Tür, außer zur Arbeit und zum Einkaufen. Und um allein | |
| zu joggen. Seine 84-jährige Mutter hatte er schon im Februar auf ihr | |
| Landhaus am Rand des Piemont-Gebirges gebracht. Sie ist immer noch dort. | |
| Seine Tochter war seit Anfang des Monats zu Hause, keine Schule. Panik | |
| brach bei mir aus. | |
| Unser ältester Sohn war Ende Februar nach Portugal gefahren, um dort für | |
| ein halbes Jahr zu arbeiten. Ich bat ihn inständig, nach Hause zu kommen. | |
| Wie eine Glucke, die bei Gefahr ihre Küken um sich versammelt. Keine | |
| Chance. Er blieb und akzeptierte sogar zehn Wochen Isolation in einem | |
| Sannyasin-Yoga-Zentrum. | |
| Als die Schulen am 16. März schlossen und wir von einem Tag auf den anderen | |
| alle zu Hause blieben und uns unsere Arbeitsecken suchten, kehrte ein wenig | |
| Ruhe ein. Der Große im Yogazentrum isoliert, der Rest bei mir zu Hause auf | |
| dem Land, meine Eltern und meine Schwester und ihre Familie in Sicherheit. | |
| Plötzlich wurde die Familie extrem wichtig. Wie im Katastrophenfilm. | |
| ## Alle Regeln befolgen | |
| Ich hielt mich streng an alle Regeln: keine Besuche, Klopapier horten. Nur | |
| einmal in der Woche einkaufen gehen. Viel telefonieren und whatsappen. | |
| Lange hielt ich es nicht durch. Was ist schon dabei, sich mit Abstand zu | |
| Kaffee oder Wein im Garten zu treffen? Die Nachbarin einer Freundin | |
| bemerkte durch den heckenbewehrten Gartenzaun: Sie haben wohl Besuch? | |
| Panik, aber auch ein wenig Stolz. Immer mehr Schritte in Richtung Freiheit. | |
| Spazieren gehen zu zweit. Heimlich baden im See. | |
| Die große Freiheit kam mit dem [2][E-Bike]. Plötzlich konnten wir große | |
| Strecken zurücklegen ohne die Panik, die einen in öffentlichen | |
| Verkehrsmitteln befällt. Ich fuhr zur Arbeit, 40 Kilometer hin und 40 | |
| zurück. An den Werbellinsee, 80 Kilometer Ausflug. Ich bin noch keine | |
| Rentnerin, sagten die Freundinnen, aber liehen sich das Fahrrad dann doch | |
| aus. | |
| Corona hat viel verändert. Keine großen Partys mehr, aber ich habe alle | |
| meine Freundinnen gesehen. Ich bin noch nie so viel spazieren gegangen, | |
| geschwommen und Rad gefahren in einem Sommer. Und habe noch nie so viel im | |
| Garten gearbeitet (und trotzdem eine schlechte Ernte gehabt). | |
| ## Ein schlechtes Gewissen | |
| Es ist komisch, Menschen zu begegnen, sich einfach doch mal in den Arm zu | |
| nehmen, weil man es so lange nicht mehr getan hat. Und dann ein schlechtes | |
| Gewissen zu haben. Dann vielleicht doch lieber ein bisschen spöttisch sich | |
| mit gefalteten Händen verneigen, gar mit dem Ellenbogen sich stupsen? | |
| Irgendwie alles albern, aber weil es alle seltsam finden, können wir uns | |
| ins Lachen retten. | |
| 11 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Elke Eckert | |
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