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# taz.de -- Pro und Contra Heizpilze gegen Corona: Heißer Herbst oder kühles …
> Können Heizpilze der Berliner Gastronomie über den Herbst helfen? Die
> Dehoga fordert das. Doch Senat und Bezirke stellen sich stur.
Bild: Dreckschleudern, aber wenn keiner nach Spanien fliegt?
Berlin taz | Boris Palmer prescht mal wieder voran. „Solange man drinnen
sitzen konnte, waren Heizpilze vor allem eine Klimasauerei“, sagte der
grüne Tübinger Bürgermeister vergangene Woche der Südwest Presse. „Mit
Corona kann man aber schlecht drinnen sitzen. Daher werden wir diesen
Winter Heizstrahler gestatten.“ Einen ähnlich erwärmenden Beitrag für
Berlin wünscht sich Dehoga-Chef Thomas Lengfelder. Einen entsprechenden
Brief habe er schon an die Berliner Bezirke geschrieben, dort noch aber
keine Rückmeldung bekommen.
Hätte Lengfelder Post von den Bezirken bekommen, hätte er sich nicht
unbedingt gefreut. „Bei uns trifft das nicht auf offene Ohren“, sagte die
Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, der
taz. „Die Klimakrise ist so gravierend, dass jedes Mehr an CO2-Einsparung
zwingend erforderlich ist.“
Eine Absage kommt auch aus Neukölln. „Das Bezirksamt Neukölln hat 2017 ein
Gesamtkonzept für die Sondernutzungen auf öffentlichem Straßenland
beschlossen und damit auch für Gastronomiebetriebe“, sagt Christian Berg,
Sprecher von Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD). „Bestandteil dieses
Konzeptes ist es, dass aus Gründen des Klimaschutzes und des Brandschutzes
Heizpilze unzulässig sind.“ Es sei derzeit also nicht vorgesehen, das
Verbot von Heizpilzen aufzuheben.
Allerdings scheint es nicht ausgemacht, dass die Bezirke diejenigen sind,
die über ein Verbot oder eine coronabedingte Zulassung von Heizpilzen
entscheiden. Das zumindest behauptet der grüne Stadtrat für
Stadtentwicklung und Bürgerdienste, Vollrad Kuhn. „Das Verbot von
Heizpilzen ist eine Vorgabe des Landes“, ließ Kuhn über eine Sprecherin
ausrichten. „Insoweit müsste auch ein Aussetzen oder Aufheben des Verbots
durch die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz erfolgen.“
Dem wiederum widerspricht der Sprecher von Umweltsenatorin Regine Günther,
Jan Thomsen: „Ein landesrechtliches Verbot von Heizpilzen gibt es nicht –
die Bezirke entscheiden dies qua ihrer Kompetenz eigenständig.“Allerdings
ließ Thomsen durchblicken, dass seine Verwaltung wenig von der Forderung
der Dehoga hält. „Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
sieht den Einsatz von Heizpilzen äußerst kritisch, da auf diese Weise der
Klimaschutz unterminiert wird. Ein Beheizen von Außenbereichen mit
Heizpilzen ist ineffizient, führt zu unnötigem Energieverbrauch und damit
zu erhöhtem CO2-Ausstoß.“
Das sieht auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) so. „Vor dem
Hintergrund der Klimakrise sind Heizpilze im Freien keine umweltfreundliche
und intelligente Lösung“, sagt ihre Sprecherin Svenja Fritz. „Der
CO2-Verbrauch ist hoch, die Energieeffizienz sehr niedrig. Vor diesem
Hintergrund war die Entscheidung einiger Bezirke für ein Verbot gut
begründet und nachvollziehbar.“
Allerdings stehe man mit der Dehoga im Austausch, was die Vorbereitungen
für den Herbst angehe. „So können Lüftungsanlagen, die die Raumluft nach
außen abziehen und frische Luft aus der Umgebung in die Innenräume bringen,
für eine Verbesserung der Lüftung im Innenbereich sorgen.“
Dehoga-Chef Lengfelder hatte seinen Vorstoß mit der prekären Lage vieler
Gastwirte begründet. Noch im Mai hatte er geschätzt, dass einem Drittel der
Betriebe die Insolvenz drohe. Inzwischen ist er pessimistischer. „Wir
schätzen, dass 50 bis 60 Prozent der Betriebe dichtmachen können“, sagt
Langfelder der taz. Der Herbst könne die Krise noch einmal beschleunigen.
„Die Leute gehen einfach nicht in die Innenräume.“
Boris Palmer war übrigens der Erste, der in seiner Stadt Heizpilze verboten
hat. Das war 2007. Berlin folgte zwei Jahre später.
## Soll man den Sommer mit Heizpilzen verlängern?
Ja, sagt Uwe Rada
Vom Sommer in Berlin und Brandenburg werden in ein paar Jahren noch viele
schwärmen. Okay, war etwas voll in den Biergärten und an den Seen, dafür
waren weniger Touris da. Endlich mal wieder unter sich – ein ganz neues
Wirgefühl. Aber wie werden wir in ein paar Jahren vom Herbst reden, der
diesem Sommer folgte? Und wie vom Winter? Das hängt ganz vom Wetter ab.
Folgen dem warmen Sommer ein milder Spätsommer und Frühherbst, ist alles
paletti. Dann verlängert sich der Sommer, das heißt, das sommerliche Leben
auf Straßen, Plätzen, Cafés und Biergärten automatisch selbst. Man kann
noch mal richtig draußen sein, sich mit Freundinnen und Freunden an der
frischen Luft treffen, ohne gleich an Aerosole denken zu müssen, das
Wirgefühl erneuern. Was aber, wenn es im September anfängt kühl zu werden?
Berlins Dehoga-Chef Thomas Lengfelder hat für diesen Fall die Berliner
Bezirke aufgefordert, über ihren Schatten zu springen und das Verbot von
Heizpilzen auszusetzen. „Die Leute gehen einfach nicht in die Innenräume“,
sagte er zur Begründung. Recht hat er.
Heizpilze sind Klimakiller. Dass sie 2009 in Berlin abgeschafft wurden, war
richtig. Es tat aber auch niemandem weh. Wer den Sommer verlängern wollte,
buchte halt schnell einen Flug nach Griechenland, Andalusien oder, wenn man
noch im Dezember baden wollte, auf die Kanaren. Ob das in diesem Herbst
möglich sein wird? Gerade erst ist Spanien als Risikoland erklärt worden.
Gut möglich, dass der verlängerte Sommer im Süden baden geht.
Warum nicht also das eingesparte CO2 wieder ausgeben, quasi als
Corona-Rettungspaket an Berlins Gastwirte? 50 bis 60 Prozent von ihnen,
sagt Dehoga-Chef Lengfelder, drohe die Insolvenz. Wenn sie das Geschäft im
Schankgarten bis Oktober verlängern könnten, wäre das eine Entlastung. Und
es wäre auch ein Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens. Denn
Innenräume werden ab Herbst, da muss man kein Prophet sein, zu
Corona-Hotspots werden.
Und by the way würde auch ein wenig Berliner Lebensgefühl über den Sommer
gerettet. Dass Boris Palmer das ähnlich sieht, muss kein Gegenargument
sein. Schließlich war der Tübinger Oberbürgermeister auch einer der Ersten,
der die Heizpilze abgeschafft hat.
Nein, sagt Bert Schulz
Mitten im Hochsommer bei Temperaturen von bis zu 36 Grad in Berlin und dem
dritten Dürrejahr in Folge über die Aufhebung des Verbots von
gasverschleudernden Heizpilzen zu reden – braucht es mehr, um die
Absurdität dieses Vorschlags aufzuzeigen? Noch dazu, wenn er von einem
Bürgermeister eines Provinzstädtchens kommt, dessen Horizont nicht mehr
über die Hügel der kühlen Schwäbischen Alb hinausreicht?
Offenbar schon. Okay.
Für all jene, die angesichts der Coronadramatik vergessen haben, worüber
vergangenes Jahr so breit wie nie gesprochen wurde: Wir Menschen sind seit
Jahrzehnten dabei, diesen Planeten unbewohnbar zu machen. Die massive
Erwärmung der Erde in den vergangenen Jahren ist Fakt, die Folgen sind
absehbar, die Politik immer noch viel zu zaghaft in ihrem Einsatz dagegen.
Aber hey, okay, lasst uns erst mal noch ein Bierchen draußen vor der Kneipe
trinken. Oder auch zwei.
Corona ist für viele eine Bedrohung. Für die Gesundheit. Für die von uns
gewohnte Infrastruktur, insbesondere kultureller Art. Ja, für Kneipen,
Restaurants etc. wird die Herbst- und Wintersaison hart. Weil viele
Menschen Angst haben, sich dort anzustecken. Und ein paar Heizpilze könnten
den Umsatzschwund wohl abmildern. Aber zu welchem Preis?
Heizpilze sind echte Umweltsäue und längst ein Symbol für das Desaster, das
wir wissentlich mit diesem Planeten anrichten: Wir verheizen ihn. Wir
sorgen mit solchen Blechkisten auch für die Dürre, die besonders in
Ostdeutschland über die letzten Jahre dramatisch geworden ist und wieder zu
beängstigenden Waldbränden führen könnte wie in den vergangenen Jahren.
Heizpilze wieder zuzulassen wäre auch ein Signal, dass die Klimakrise
vorbei ist; es würde von AfD und LeugnerInnen des Klimawandels genutzt, um
gegen strengere Auflagen für den Klimaschutz zu polemisieren. Das ist
unverantwortlich. Denn die Auflagen, die wir brauchen, um die schon jetzt
unabdingbaren Folgen des Klimawandels zu überstehen, werden hart sein
müssen. Die Nebenwirkungen von Corona sind da ein ganz gutes Training:
weniger fliegen, digitale Kommunikation statt großer Konferenzen und
Kongresse, technischen Fortschritt nutzen, statt ihn aus Tradition und
Bequemlichkeit zu ignorieren. Einen Heizpilz aufzustellen ist genau das
Gegenteil.
Restaurants, Kneipen, Hotels werden das Land und der Bund anders helfen
müssen: mit Förderprogrammen und Steuernachlässen, mit einem anderen
Gewerbemietrecht. Dennoch wird es nicht alle nach der Coronakrise noch
geben. Aber wir müssen unser Verhalten verändern, sonst werden die
Veränderungen unserer Infrastruktur noch viel härter und unkontrollierbarer
ausfallen. Dazu gehört auch, eben nicht mehr im November ein Bierchen im
Freien unter einem Boiler zu trinken. Eine Decke tut es auch.
21 Aug 2020
## AUTOREN
Uwe Rada
Bert Schulz
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CO2-Emissionen
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