| # taz.de -- Corona und der Herbst: Was wirklich wärmt | |
| > Es wird kalt, viele unserer Liebsten werden wir jetzt nur noch draußen | |
| > treffen können. Was hilft gegen die Kälte? | |
| Bild: Heizpilze sind eine Umweltsauerei. Besser sind mit Strom betriebene Infra… | |
| Ohne Flachmann kein Spaziergang | |
| Ein Flachmann ist nicht nur zu Coronazeiten eine tolle Erfindung. Ich | |
| erinnere mich noch, wie ich vor dem Silberschrank meiner Großmutter stand | |
| und all die Schätze in seinem Inneren betrachtete, als mir plötzlich ein | |
| hübsches Fläschchen auffiel. Silbern schimmernd und mit einer | |
| feingliedrigen Gravur versehen, sah es aus wie das Behältnis für ein | |
| magisches Elixier. Als ich meine Großmutter fragte, wozu es gebraucht | |
| wurde, war ich fasziniert von ihrer Antwort. | |
| Das sei ein Flachmann, erklärte sie, und dass man ihn mit Williams Birne, | |
| Sliwowitz oder Whiskey befülle, bei sich trage und immer dann einen Schluck | |
| nehme, wenn einem kalt ist. Sie erzählte von Skifahrten in der Schweiz und | |
| Jagdritten in Niedersachsen, und ich hing wie immer an ihren Lippen, so | |
| aufregend kam mir das alles vor. | |
| Doch es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich das nächste Mal mit einem | |
| Flachmann in Berührung kam. Zwar hatte meine Mutter schon immer die | |
| Tendenz, jede körperliche Beschwerde mit etwas Alkohol zu therapieren: Bei | |
| Kreislaufbeschwerden hieß es „Trink mal einen Sekt“ und bei Magenproblemen | |
| empfahl sie einen kleinen Schnaps, allerdings nahm ich den, wenn überhaupt, | |
| nur nach einem deftigen Kasslerbraten mit Sauerkraut und Klößen zu mir oder | |
| als gummibärbunten Shot auf einer Teenieparty. | |
| ## Das Zauberelexier für wärmt | |
| Und dann schenkte mir meine Schwester zum Geburtstag einen Flachmann. Ich | |
| war Ende 20, gerade nach Berlin gezogen und hatte mit meiner damaligen | |
| Mitbewohnerin eine Leidenschaft für Spaziergänge entwickelt. Am schönsten | |
| waren sie, wenn es schneite und wir verfroren und mit einem kleinen Wodka | |
| in der Hand durch die Straßen liefen. Den Wodka genossen wir trotz | |
| Schwesterngeschenk stets direkt aus der mitgelieferten Flasche – der | |
| Flachmann verstaubte im Regal. | |
| Doch nun ist es höchste Zeit, ihn wieder hervorzuholen. Die Tage werden | |
| kälter, unbarmherziger, und wegen Corona kann man es sich guten Gewissens | |
| ja bloß noch alleine oder im allerengsten Kreis gemütlich machen. Adieu, | |
| laue Sommernächte an der Spree. Adieu, nächtliches Weintrinken im Park. | |
| Adieu, Leben?! | |
| Nein. Man sollte sich von diesem blöden Virus nicht alles kaputtmachen | |
| lassen. Und wenn das Draußensitzen jetzt nicht mehr geht und das | |
| Drinnensitzen wegen der Aerosole auch nicht, muss man eben mit den Freunden | |
| spazieren gehen. Dick eingepackt und mit einem Flachmann in der Tasche geht | |
| das sehr gut. Denn die Freunde wärmen das Herz und der Inhalt des | |
| Flachmanns wärmt den Körper. Und wenn man sich dann angeschwipst doch mal | |
| berührt hat, kann man die Hände mit dem mitgebrachten Zauberelixier, | |
| vorausgesetzt, es ist hochprozentig genug, auch gleich noch desinfizieren. | |
| Anna Fastabend | |
| *** | |
| Heizpilze? Vorm Restaurant zelten! | |
| Viele Menschen sitzen im Restaurant bei quasi jedem Wetter gerne draußen. | |
| Dort lässt sich das Straßengeschehen beobachten und Konflikte zwischen | |
| Raucher:innen und Nicht-Raucher:innen lösen sich in Wohlgefallen auf. | |
| Im Winter ist das Draußensitzen natürlich nur schön, so lange man nicht | |
| friert. Deswegen gibt es Heizpilze, um die Terrassen der Restaurants warm | |
| zu halten. Zu Beginn der Nullerjahre tauchten sie erstmalig in Deutschland | |
| auf, ein Berliner Unternehmer hat sich damals den Begriff „Heizpilz“ | |
| schützen lassen. Bekanntermaßen sind diese jedoch ziemlich umweltschädlich. | |
| Deswegen sind sie in einigen Städten im öffentlichen Raum verboten | |
| (Hamburg, München) in anderen dagegen erlaubt (Frankfurt am Main). In | |
| manchen Städten ist es sogar von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich: In | |
| Berlin sind Heizpilze in Charlottenburg und Friedrichshain-Kreuzberg nicht | |
| erlaubt, in den anderen Bezirken aber schon. | |
| Dirk Messner, der Chef des Bundesumweltamtes, sowie eine Vielzahl an | |
| Politiker:innen haben sich mittlerweile für eine gastronomische Nutzung von | |
| Heizpilzen im Pandemiewinter ausgesprochen. Unter den Befürwortern ist | |
| sogar Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. | |
| ## Corona- vs Klimakrise | |
| [1][Die Diskussion um eine Saisonerlaubnis für Heizpilze] hat für Kritik | |
| von Klimaschützer:innen gesorgt. Das liegt daran, dass Heizpilze Gas | |
| verbrennen und damit ganze 2,2 Kilogramm CO2 pro Stunde in die Luft blasen. | |
| Zum Vergleich: Mit einem VW-Golf könnte man bei gleichen Emissionen etwa 20 | |
| Kilometer weit fahren (allerdings in weniger als einer Stunde). Das andere | |
| Problem ist, dass Heizpilze ihre Wärme in alle Richtungen abgeben, was | |
| nicht besonders effizient ist. | |
| Als Alternative gelten die mit Strom betriebenen Infrarotstrahler. Die | |
| geben ihre Wärme nur in eine Richtung ab, wodurch sie energieeffizienter | |
| sind. Die Strahler müssen dafür aber genauer auf die Gäste ausgerichtet | |
| werden, um zu wärmen. Das ist nicht immer einfach, sagt Jonas Tawam, der | |
| Betreiber der Kreuzberger Kneipe Frau Luna. Er hat sich für den kommenden | |
| Herbst und Winter Infrarotstrahler gekauft, um weiterhin Gäste bewirten zu | |
| können und über den Winter zu kommen. Mit 1,4 Kilogramm CO2 pro Stunde sind | |
| die Geräte emissionsärmer als Heizpilze. Und wenn sie mit Ökostrom | |
| betrieben werden, sind sie perspektivisch sogar klimaneutral. | |
| Wärme in die Luft abgeben ist sowieso Energieverschwendung, könnte man nun | |
| argumentieren. Am effizientesten lassen sich natürlich geschlossene Räume | |
| heizen. Aber genau das sind die Orte, an denen man sich leicht anstecken | |
| kann. Die Coronakrise gegen die Klimakrise auszuspielen, führt in diesem | |
| Winter zu nichts. Sowohl die Eindämmung der Pandemie als auch der | |
| Klimaschutz haben im Jahr 2020 Priorität. Und die Gastronomie muss auch | |
| über den Winter gerettet werden. | |
| Eine Alternative könnten temporäre Wintergärten und Zelte sein, in denen | |
| genug Durchzug herrscht. [2][New Yorker Gastronomien zeigten Kreativität | |
| mit sogenannten Domes] – Zweipersonenzelten, in denen romantisch auf dem | |
| Gehsteig diniert werden kann. [3][Das Amsterdamer Restaurant Mediamatic | |
| Etennutzt kleine Gewächshäuser]. Der Vorteil solcher Anlagen ist, dass zu | |
| einem gewissen Grat die Körperwärme der Gäste genutzt werden kann. Zudem | |
| bieten sie die Möglichkeit, dass Menschen ausgehen können, ohne die | |
| Abstandsregeln zu verletzen. Leider hat aber nicht jede:r Wirt:in den Platz | |
| für provisorische Bauten. Dann helfen nur noch ganz viele Decken und zu | |
| guter Letzt der Alkohol, der warm hält. | |
| Leonard Schulz | |
| *** | |
| „Am besten: Wolle“ | |
| Daniel Bruns ist Natur- und Wildnispädagoge. Gemeinsam mit seiner Partnerin | |
| betreibt er eine Wildnisschule. Er weiß, was man anziehen muss, um sich | |
| auch in Herbst und Winter warm zu halten. | |
| taz am wochenende: Herr Bruns, wegen Corona sollten wir unsere FreundInnen | |
| lieber draußen treffen, auch im Winter. Was ziehe ich dafür am besten an? | |
| Daniel Bruns: Es macht natürlich einen Unterschied, ob man joggen geht oder | |
| sich auf den Weihnachtsmarkt stellt. Aber generell ziehe ich mich nach dem | |
| Zwiebelprinzip an. Als erstes warme Unterwäsche, am besten aus Wolle. Im | |
| Gegensatz zu Baumwolle wärmt tierische Wolle auch dann noch, wenn man | |
| schwitzt und sie nass wird. Als nächstes kommt lange Unterwäsche – auch aus | |
| Wolle. Wer keine tierischen Stoffe tragen will, kann Kunstfaser nehmen. Die | |
| wärmt zwar ein bisschen weniger, wenn sie nass ist, dafür trocknet sie | |
| schneller. | |
| Dann kommt die erste Isolationsschicht, also ein Woll- oder Fleecepulli. | |
| Wenn es windig ist, kann man über den Pulli noch eine Windjacke ziehen. | |
| Erst dann kommt eine dicke Jacke, zum Beispiel aus Daunen oder Kunstfaser. | |
| Und, ganz wichtig: eine Mütze! | |
| Und an die Beine eine dicke Schneehose? | |
| In einer Skihose fühlt man sich gleich so michelinmäßig. Ich bin großer Fan | |
| von leichten, winddichten Überhosen, die man über eine normale Jeans oder | |
| Stoffhose ziehen kann. Die nehmen den Wind weg und halten dadurch super | |
| warm. | |
| Was empfehlen Sie für die Füße? | |
| Die Füße warm zu kriegen ist nicht ganz einfach. In klassischen, festen | |
| Bergschuhen können sie sich nicht genug bewegen und werden dadurch kalt. | |
| Stattdessen sollte man möglichst weiche Schuhe anziehen. Und die Schuhe | |
| sollten ein Stückchen zu groß sein, damit man locker noch ein zweites Paar | |
| Socken anziehen kann. | |
| Gibt es auch ein Zuviel an warmer Kleidung? | |
| Ja! Wenn man schwitzt, werden die Schichten nass und halten schlechter | |
| warm. Wenn man weiß, dass man sich körperlich betätigt, lieber weniger | |
| anziehen und noch etwas in petto haben. Und es kommt natürlich auch darauf | |
| an, wie kalt es wird. Bei 10°C braucht man die lange Unterwäsche noch | |
| nicht. | |
| Interview: Lena Wrba | |
| 23 Oct 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Pro-und-Contra-Heizpilze-gegen-Corona/!5702970 | |
| [2] https://www.timeout.com/newyork/news/an-upper-west-side-restaurant-installe… | |
| [3] https://www.ardmediathek.de/daserste/video/ard-buffet/niederlande-essen-im-… | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
| Leonard Maximilian Schulz | |
| Lena Wrba | |
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