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# taz.de -- Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Es rumort in der Staatsanwaltsc…
> Nach der Versetzung zweier Staatsanwälte gibt es Kritik an
> Generalstaatsanwältin Koppers und Justizsenator Behrendt.
> Strafverteidiger widersprechen.
Bild: Generalsstaatsanwältin Koppers hat wegen Befangenheitsverdacht zwei Staa…
Berlin taz | Über eine umfassende Solidaritätsbekundung vieler Kolleg:innen
dürfen sich die beiden versetzten Staatsanwälte aus dem Neukölln-Komplex
freuen. Die Vereinigung der Berliner Staatsanwälte hat die
Generalstaatsanwältin Margarete Koppers und den Justizsenator Dirk Behrendt
(Grüne) scharf angegriffen, nachdem diese einen ermittelnden Staatsanwalt
und den Leiter der Staatsschutzabteilung in der rechten Anschlagsserie in
Berlin-Neukölln wegen des Verdachts auf Befangenheit von dem Fall und ihren
Posten abgezogen hatten.
Die [1][Vereinigung der Staatsanwälte] schreibt in einer Mitteilung von
Montag, dass der öffentlich kolportierte Verdacht zu dünn sei für derartige
dienstliche Konsequenzen. Die Versetzung der Kollegen sei überzogen. Nach
eigenen Angaben vertritt die Vereinigung Berliner Staatsanwälte 160 der
rund 300 Staatsanwält:innen Berlins. Der Vorsitzende Ralph Knispel sagte
der taz: „Natürlich ist es der Generalstaatsanwaltschaft anheimgestellt, so
zu handeln, aber der Anlass gibt das aus unserer Sicht nicht her.“
Hintergrund für die Versetzung war ein den Ermittler:innen seit Monaten
vorliegender Chat von dem Beschuldigten Tilo P. im Neukölln-Komplex. Darin
gibt es Hinweise darauf, dass der leitende Oberstaatsanwalt F., zuständig
für sämtliche politische Straftaten, AfD-nah sei. P. hatte in dem Chat
sinngemäß einem AfD-Kollegen mitgeteilt, dass man von dem Oberstaatsanwalt
F. wenig zu befürchten habe. Der nämlich habe in seiner Vernehmung AfD-Nähe
durchscheinen lassen.
Dennoch nahmen weder der ermittelnde Staatsanwalt noch Polizist:innen den
Chat zum Anlass, eine Meldung an Vorgesetzte oder die
Generalsstaatsanwaltschaft zu machen. Die Generalstaatsanwaltschaft stieß
darauf erst durch die Beschwerde einer Opfer-Anwältin und zog vergangenen
Mittwoch Konsequenzen.
## Justizsenator Behrendt dankt
Tatsächlich ist ein solcher Eingriff ein seltener Vorgang, der die
Integrität des Rechtsstaats infrage stellt. Entsprechend schwerwiegend ist
daher auch ein solcher Verdacht, die Judikative ermittle nicht anständig
gegen rechts. Gerade um diesem Verdacht entgegenzuwirken, habe man sich für
eine Versetzung entschieden, argumentierte Generalsstaatsanwältin Koppers
gegenüber der taz. Die Entscheidung diene dem Schutz aller beteiligten
Personen – auch wenn für den Verdacht bislang keine Beweise oder andere
Indizien bekannt seien. Justizsenator Behrendt dankte ihr für das vehemente
Einschreiten.
Auffällig ist in der deutlichen Stellungnahme des Landesverbands der
Berliner Staatsanwälte, dass sie ihrerseits einen unbelegten Verdacht
kolportieren: Es bliebe der Verdacht bestehen, „dass der ‚böse Anschein‘
genutzt worden ist, um aus politischen oder persönlichen Gründen unliebsame
Beamte umzusetzen“, heißt es in der Mitteilung.
Damit spielt der Verband wohl auf den Umbau der Staatsanwaltschaft an:
Behrendt und Koppers nämlich wollen die Staatschutzabteilung in ihrer
Kompetenz beschneiden – zugunsten einer neuen [2][übergeordneten Abteilung
„Hasskriminalität“], die sich unter dem Eindruck des Rechtsrucks und der
Anschläge von Halle und Hanau vermehrt auf vorurteilsmotivierte Straftaten
konzentrieren solle.
Es ist wohl kein Geheimnis, dass dies dem Oberstaatsanwalt F. nicht gepasst
haben dürfte. Er gilt innerhalb der Behörde als „stramm rechts“. Nicht
radikal oder extremistisch, aber schon „rechtskonservativ“, wie [3][der
Tagesspiegel] mit Bezug auf Quellen in der Staatsanwaltschaft kolportiert.
In linken Kreisen ist F. hingegen dafür berüchtigt, dass er linke
Bagatellen scharf verfolge, wohingegen rassistische Diskriminierungen
schnell eingestellt würden.
Stefan Conen, der Vorsitzende der Vereinigung der Berliner
Strafverteidiger, hält es für richtig, dass die Generalsstaatsanwaltschaft
das Verfahren an sich zieht. Nach zahlreichen „Der Umgang mit Straftaten
aus dem rechten Milieu ist aber alles andere als ein Ruhmesblatt der
deutschen Justiz“, [4][sagte Conen der Morgenpost]. Schon die „historische
Verantwortung verbiete Zweideutigkeiten“ in diesem Bereich. Bereits der
Anschein, dass nicht sauber ermittelt wurde, reiche für einen solchen
Schritt aus, findet er. Aus Conens Perspektive sollte es allerdings auch
nicht um Skandalisierung gehen oder darum, „einzelne Staatsanwälte an den
Pranger zu stellen.“
Viele linke Initiativen und Betroffene im Neukölln Komplex bewerten
hingegen auch die Versetzung der umstrittenen Staatsanwälte als richtig.
Nicht zuletzt Betroffene der rechten Anschlagsserie verdeutlichen in einer
am [5][Montag herausgegebenen Erklärung], wie erschüttert ihr Vertrauen in
Polizei und Staatsanwalt ist. „Dies ist ein weiterer von vielen Gründen,
nochmals mit Nachdruck einen Untersuchungsausschuss zur Nazigewalt und den
vielfältigen rechten Verstrickungen der Ermittlungsbehörden zu fordern.“
Auch die Auflösung der Staatsschutzabteilungen müsse diskutiert werden.
Insgesamt sei man erleichtert, dass die „beiden mutmaßlich rechten
Staatsanwälte nicht mehr mit dem Neukölln-Komplex zu tun haben werden“.
Gleichwohl sei man aber auch erschüttert, „dass neben der Polizei auch die
Staatsanwaltschaft ein rechtes Problem hat“. Das wenig verbliebene
Vertrauen in die Sicherheitsbehörden sei zerstört. Auch der [6][Jurist
Fritz Marquardt] – mittlerweile Mitarbeiter des grünen Europaabgeordneten
Erik Marquardt – meldete sich in der Causa zuungunsten des versetzten
Oberstaatsanwalts zu Wort.
F. sei der Chef seiner Prüfungskommission zum ersten Staatsexamen im März
2020 gewesen, so Marquardt. Nach juristischen Details sei es im ansonsten
lockeren Vorgespräch plötzlich um rechte Verschwörungstheorien gegangen,
wie Marquardt der taz sagte. F. habe dann, auf seinem Stuhl zurückgelehnt,
vor fünf Mitprüflingen erklärt, dass es keine rechten Hetzjagden in
Chemnitz gegeben habe – ebenso sei die schlechte Rolle des
Verfassungsschutzes im NSU-Komplex eine Verschwörungstheorie gewesen.
Wie nachhaltig die Abteilung 231 für Staatsschutzdelikte gegen Linke
ermitteln kann, zeigt womöglich ein heute zur Verhandlung stehender
Strafprozess gegen drei Personen. Diese sollen in Südneukölln Plakate
geklebt haben, auf denen örtliche Neonazis bekannt gemacht wurden. Darauf
sollen auch Sebastian T. und Julian B. zu sehen gewesen sein – zwei weitere
Hauptverdächtige der Anschlagsserie.
Laut einer Erklärung von „Neukölln Watch“, einer antifaschistischen
Initiative, die zum Prozess mobilisiert, hat die Staatsanwaltschaft den
Neonazis im Laufe der Ermittlungen Strafanträge gegen die
Antifaschist:innen nahegelegt. Ebenso sei Sebastian T. als Geschädigter
vernommen worden.
Daraufhin habe es mehrere Hausdurchsuchungen wegen der Poster gegeben, wie
Neukölln Watch schreibt. Angesichts der jüngeren Erkenntnisse liege der
Grund für den besonderen Ermittlungseifer nahe. Auch deswegen wollten die
Beschuldigten zu Beginn des Prozesses eine Erklärung abgeben.
Update: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass Stefan Conen
von der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger auch die Versetzung der
Staatsanwälte für richtig hielt. Das war ein Missverständnis. Conen hat
sich dazu nicht geäußert und hält jedoch die Übernahme der
Generalstaatsanwaltschaft für richtig.
11 Aug 2020
## LINKS
[1] https://www.vereinigung-berliner-staatsanwaelte.de/presse/pressemitteilunge…
[2] https://www.berlin.de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitte…
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/der-neukoelln-komplex-kop…
[4] https://www.morgenpost.de/berlin/article230140750/Staatsanwaelte-kritisiere…
[5] https://www.nkwatch.info/2020/staatsanwaltschaft/
[6] https://twitter.com/FritzMarquardt/status/1291327980967526400
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
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Schwerpunkt Rassismus
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Ferat Koçak
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