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# taz.de -- Protokolle von Racial Profiling: „Reine Schikane“
> Die polizeiliche Praxis der gezielten Kontrolle nicht weißer Menschen,
> existiert laut Horst Seehofer nicht. Die Alltagserfahrung sieht anders
> aus.
Bild: Nicht immer nur zurückstecken: Protest in Frankfurt am Main im Juli gege…
Der Begriff stammt aus den USA und bezeichnet ansonsten anlasslose
Personenkontrollen ausschließlich aufgrund des phänotypischen
Erscheinungsbildes. Über die Praxis gibt es in Deutschland keine
gesetzliche Regelung, nach Grundgesetz, Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz
und Europäischer Menschenrechtskonvention ist sie jedoch unzulässig.
Wie verbreitet Racial Profiling ist, lässt sich mangels statistischer
Erhebungen kaum feststellen. Bundesinnenminister [1][Horst Seehofer lehnte
erst kürzlich eine Studie über die Praxis ab] und beharrt darauf, dass es
kein strukturelles Problem gebe. NGOs und Betroffene widersprechen.
[2][Berlin und Niedersachsen] wollen die Vorwürfe unabhängig vom Bund
untersuchen lassen und eine empirische Grundlage für die Diskussion
schaffen.
Wir haben drei Erfahrungsberichte protokolliert.
## Lena Mariama Meinhold, 30 Jahre
Seit dem ich 18 Jahre alt bin und meinen Führerschein habe, gehört Racial
Profiling zu meinem Alltag. Regelmäßig werde ich in Nürnberg angehalten,
wenn ich mit dem Auto unterwegs bin. Trotz normaler und regelkonformer
Fahrweise.
Im Februar beispielsweise stand ich in der Innenstadt an einer roten Ampel.
Es war früher Abend, ich kam gerade von einer Freundin, hatte nichts
getrunken und wollte einfach nur nach Hause fahren. Auf der
Linksabbiegerspur neben mir stand ein Polizeiauto. Die beiden
Polizist:innen haben in mein Auto geguckt und sofort den Rückwärtsgang
eingelegt. Sie sind dann hinter mein Auto gefahren und haben mich raus
gezogen.
Der Polizist, der dann an mein Fenster kam, hat mich direkt gefragt: Und
welche Drogen haben wir heute konsumiert? Hat also versucht, dieses
rassistische Klischee, dass Schwarze Menschen immer Drogen konsumieren,
besitzen oder verkaufen, in einen Witz zu verpacken. Meine Erfahrungen
haben mich gelehrt, auch auf solche Fragen nicht pampig zu reagieren, doch
mein Blick scheint ihm schon vermittelt zu haben, das seine Frage nicht
witzig war.
Solche Situationen passieren mir immer wieder. Ich werde häufig von oben
herab behandelt, meistens geht es um Drogen, die ich nicht konsumiert habe.
Häufiger musste ich auch schon einen Alkoholtest machen und selbst als
dieser negativ auffiel, auf einer Linie laufen und mein Auto leer räumen.
Das ist einfach reine Schikane.
Mir war schon immer bewusst dass ich als Schwarze Frau in Deutschland
anders behandelt werde als weiße Menschen. Immer wieder habe ich Sprüche
oder Blicke abbekommen, wenn ich beispielsweise mit meinem Afro durch die
Straßen laufe oder fahre. Und trotzdem wurden meine Erfahrungen nicht ernst
genommen. Weißen Freunden, den ich davon erzählt habe, meinten dann: Ach,
ich wurde auch schon einmal von der Polizei raus gezogen. Doch meine Mutter
beispielsweise ist weiß, 68 Jahre alt und kam erst einmal in eine
Verkehrskontrolle in ihrem Leben. Mir passiert das als Schwarze Frau vier
Mal im Jahr.
Deswegen bin ich immer besorgt, wenn ich Polizei sehe. Jedes Mal denke ich:
Was passiert dieses Mal? Bin ich jetzt wieder dran? Aus diesem Grund habe
ich auch einen richtigen Zwang entwickelt, dass ich nie ohne Geldbeutel und
Personalausweis aus dem Haus gehe. Wenn ich doch mal unterwegs bin und
merke, dass ich ihn nicht dabei habe, drehe ich wieder um. Sonst wird mir
noch unterstellt, ich sei Geflüchtete und illegal in diesem Land, wie es
meinem Bruder schon passiert ist. Als könnte es nicht sein, dass ich als
Schwarze Person in Nürnberg geboren bin. Gewehrt habe ich mich gegen
rassistische Polizeitaktiken bisher noch nicht. Meistens habe ich es im
Nachhinein bereut, nicht nach dem Namen und der Dienstnummer der
Polizist:innen gefragt zu haben. Doch das will ich jetzt ändern.
Viele, die früher kein offenes Ohr für mich hatten, verstehen jetzt, dass
es Rassismus ist, was ich erlebe. Die antirassistische Bewegung motiviert
mich auch, dass ich künftig Anzeige erstatten werde, wenn ich racial
profiling erlebe. Ich will mir das nicht mehr gefallen lassen.
## Ayesha Khan, 35 Jahre
Als Kind kam es mir noch komisch vor. Immer wenn wir mit dem Auto aus von
Hamburg nach Dänemark zu unseren Verwandten gefahren sind, wurden wir an
der Grenze kontrolliert. Und wir waren immer die Einzigen. Bei jeder Ein-
und Ausreise wurden wir rausgezogen, dabei gibt es in der EU keine
stationären Grenzkontrollen mehr an den Binnengrenzen. Häufig musste mein
Vater aus dem Auto aussteigen, ein Spürhund durchsuchte es und uns allen
wurden die Ausweise abgenommen. Das Ganze war eine so lange Prozedur, dass
wir nicht selten unsere im Vorhinein gebuchte Fähre nach Dänemark verpasst
haben. Ich hatte also schon als Kind bemerkt, dass wir als Einzige immer
angehalten wurden.
Als Teenagerin bin ich dann häufiger gemeinsam mit meinem Bruder mit dem
Zug zu meinem Onkel gefahren. Und schon am Hamburger Hauptbahnhof haben uns
Polizeibeamte bis in den Zug verfolgt, haben die Türen gesichert und uns
beide dann kontrolliert. Weil wir schwarze Haare haben, nicht weiß sind und
mein Bruder irgendwann Bart trug.
Personenkontrollen können immer stattfinden, klar, aber wenn im ganzen
Abteil voller weißer Menschen nur wir kontrolliert werden, dann ist das
Racial Profiling. Gerade nach den terroristischen Anschlägen am 11.
September 2001 sind die Kontrollen meiner Erfahrung nach definitiv krasser
geworden. Einmal mussten wir im Zug nach Kopenhagen nicht nur unsere
Personalien angeben, sondern auch unsere Taschen wurden durchsucht und mein
Bruder wurde am ganzen Körper abgetastet – ohne jeglichen Verdacht. Wir
waren damals 15 oder 16 Jahre alt, wussten nicht, was unsere Rechte sind
und was die Polizei darf. Und nie ist jemand eingeschritten und hat uns
geholfen.
Mittlerweile wohne ich in Frankfurt am Main, wo es seit den Ereignissen am
Frankfurter Opernplatz vermehrt zu Racial Profiling kommt. Gemeinsam mit
Freunden bin ich in den letzten Wochen viel durch die Stadt gelaufen und
habe gesehen, wie migrantische Menschen kontrolliert wurden, ihnen ein
Platzverweis ausgesprochen wurde oder ihnen persönliche Dinge abgenommen
wurden.
Mir selbst ist das in der letzten Zeit glücklicherweise nicht passiert,
aber vielen meiner Bekannten und Freunde, und ich habe es auch bei vielen
Jugendlichen beobachtet. Wir versuchen nun, im Freundeskreis genau
hinzuschauen und einzugreifen, haben Infomaterial von Copwatch dabei und
geben den Betroffenen unsere Nummern und die von Anwälten.
## Anonym *
Früher bin ich viel Auto gefahren und wurde viel von der Polizei
kontrolliert, es waren immer unangenehme Erfahrungen. Doch jetzt war einige
Zeit vergangen und ich lebe mittlerweile vor Berlin. Also habe ich mir vor
ungefähr anderthalb Jahren an einem frühen Winterabend in Berlin ein car2go
gemietet.
Es war meine erste Fahrt in einem Smart. Ich war gerade aus der Parklücke
raus und erst wenige Meter vorangekommen, als ich schon von der Polizei
rausgewinkt wurde. Ich hatte versehentlich nur das Standlicht an. Und da
war er: der Anfangsverdacht.
Ich musste meinen Führerschein zeigen und wurde gefragt: „Trinken Sie
Alkohol?“ Mir kam das seltsam vor und ich habe nachgefragt: „Generell oder
heute?“ Der eine Beamte fing daraufhin an zu lachen, was mich noch mehr
verunsicherte. Und ich bin immer nervös, wenn ich mit Polizistinnen im
Gespräch bin. Ich sagte dann ehrlich, dass ich vor zwei Stunden ein Bier
getrunken hatte.
Sie ließen mich trotzdem pusten, mit dem Ergebnis: 0 Promille. Dennoch
begann ab dann ein Verfahren, was sich für mich wie ein Spiel anfühlte, das
ich nicht verstand. Es war eine konstante sexistische und rassistische
Grenzüberschreitung nach der anderen.
Zuerst wollten sie überprüfen, ob ich andere Drogen konsumiert hatte, und
fragten, ob sie in mein Auge leuchten dürften. Der erste Kommentar
daraufhin war: „Sie haben aber einen schönen Lidstrich.“
Es fühlte sich an wie eine Flirtsituation, nur dass sie für mich total
unangenehm war. Allein im Winter in einer stockdunklen Straße mit nur
männlichen Polizisten, die mir für meinen Lidstrich Komplimente machen.
Doch ihr zweiter Kommentar war dann, nachdem sie mir mehrere Sekunden die
Augen abgeleuchtet hatten: „Dieses Problem haben wir häufiger, wir können
ihre Pupillen nicht überprüfen, ihre Augen sind zu dunkel.“
Im Nachhinein sind mir Tausende Dinge eingefallen, die ich daraufhin hätte
sagen können, doch in dem Moment war ich sprachlos. Es folgten weitere
„Experimente“ der Polizisten. Eines davon war, dass ich im Kopf 30 Sekunden
abzählen sollte. Liegt man mehr als nur wenige daneben, soll das ein Indiz
dafür sein, dass man Drogen konsumiert hat. Ich lag nervositätsbedingt
natürlich daneben. Am Ende musste ich mit den Polizisten auf die Wache und
einen Urintest machen. Das Ergebnis: Ich hatte keine Drogen konsumiert.
Mir ist bewusst, dass ich an diesem Abend noch ziemlich glimpflich
davongekommen bin. Denn ich kenne die Geschichten, vor allem von männlichen
Verwandten von mir, bei denen solche Kontrollen viel schlimmer und
gewaltvoller ablaufen. Doch während der Tests liefen in meinem Kopf viele
Filme ab: Was kommt als nächstes? Und wie komme ich hier heil wieder raus.
Denn bei mir ist eine Grundangst gegenüber der Polizei da, durch die ganzen
Erzählungen, die ich in meinem Kopf habe. Gerade im Verkehr hat die Polizei
schnell einen Anfangsverdacht und kann dich kontrollieren. Seien es ein
paar Stundenkilometer zu viel oder eben ein Standlicht. Ein Bier trinken
und Stunden später Auto fahren? Würde ich nie wieder machen. Und überhaupt
fahre ich jetzt nicht mehr nachts alleine mit dem Auto.
* Die Person ist der Redaktion bekannt
20 Aug 2020
## LINKS
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[2] /Untersuchung-zu-Rassismus/!5695615
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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