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# taz.de -- Racial Profiling vor Gericht: In der Kontrollschleife
> Ständige Kontrollen: Als schwarzer Mensch in Hamburg-St. Pauli zu leben
> ist kein Spaß. Ein Anwohner verklagt die Stadt wegen Racial Profiling.
Bild: Haben wir da etwa einen nicht deutschen Staatsbürger? Sofort kontrollier…
Hamburg taz | Manchmal sprechen ihn die Beamt*innen auf der Straße sogar
mit seinem Namen an. Viele Streifen- und Task-Force-Polizist*innen kennen
Barakat H. Seit 2016 wohnt er in Hamburg-St. Pauli – und die Polizei ist
eigentlich auch immer da. [1][Die Task Force Drogen] macht hier seit 2015
fast täglich Jagd auf Kleindealer und Geflüchtete, die sie für Kleindealer
hält. Aber unter den Beamt*innen gibt es viel Fluktuation, einige kennen
Barakat H. nicht oder können sich sein Gesicht nicht merken – was dazu
führt, dass der gebürtige Togoer ständig kontrolliert wird.
Im Februar 2017 hat H. beschlossen, dass das zu weit geht – und Klage beim
Verwaltungsgericht eingereicht. Die Beklagte: die Stadt Hamburg, der
Vorwurf: Racial Profiling. Der Prozess wurde am heutigen Mittwoch eröffnet.
„Es ist ja nicht nur drei- oder viermal vorgekommen, dass die Polizei mich
kontrolliert“, sagt H., „sondern immer und immer wieder.“ Ob er auf dem
Rückweg vom Sport sei oder vom Deutschkurs, beim Essen in der
Hafenvolxküche oder unterwegs mit Freund*innen – ständig werde er
angehalten und sehr unhöflich aufgefordert, sich auszuweisen. „Das ist so
respektlos“, sagt H.
Der südliche Teil von St. Pauli gilt als [2][„gefährlicher Ort“] – das
heißt, dass die Polizei hier mehr Rechte hat, während die
Bürger*innenrechte eingeschränkt sind. Unter anderem sind
verdachtsunabhängige Kontrollen erlaubt, allerdings nicht aufgrund einer
Hautfarbe; die verbietet das Grundgesetz: „Niemand darf wegen seines
Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Heimat und Herkunft (...)
benachteiligt werden“, heißt es da. Doch die Polizei hält sich oft nicht
daran.
Das Gremium des Europarats gegen Rassismus und Intoleranz hat der
Bundesregierung deshalb empfohlen, eine Studie über Racial Profiling bei
der Polizei zu erstellen. Auch das [3][Deutsche Institut für
Menschenrechte] rät Bund und Ländern dringend, sich mit dem Thema zu
beschäftigen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verhindert das.
## Polizei hatte Fehler schon 2017 anerkannt
Den Weg, seine Rechte einzuklagen, hatte der Wahl-St.-Paulianer Barakat H.
bereits 2017 gewählt. Vor dem Verwaltungsgericht hatte er die Stadt wegen
einer rassistischen Kontrolle verklagt – [4][und Recht bekommen]. H. war im
Januar 2017 zusammen mit einem Freund auf dem Weg nach Hause gewesen und
mal wieder ohne Anlass von der Polizei kontrolliert worden. Weil keine
Auffälligkeiten vorgelegen hatten, die eine Kontrolle rechtfertigten, hatte
die Polizei ihren Fehler eingeräumt.
Laut H.s Anwalt Carsten Gericke, der das Urteil erstritten hat, passte die
Polizei daraufhin eine interne Dienstanweisung an. Personen, die erkennbar
Anwohner*innen sind, sollen demnach nicht kontrolliert werden. Nur setzen
die Polizist*innen diese Anweisung offensichtlich nicht um.
Deshalb erweiterten Gericke und H. die Klage von damals um drei Fälle und
brachten sie erneut vor Gericht. Dabei ist es nicht so, dass H. seit 2017
lediglich dreimal kontrolliert worden wäre. Sein Anwalt und er haben nur
irgendwann entschieden, dass das Verfahren zu unübersichtlich würde, wenn
sie jede weitere ungerechtfertigte Kontrolle zur Anklage brächten.
Am Mittwoch nun läuft die Verhandlung zäh: Bei rund 30 Grad Raumtemperatur
schwitzen 20 Personen im Gerichtssaal, obwohl die Infektionszahlen in
Hamburg längst wieder eine bedenkliche Höhe erreicht haben. Sieben
Zeug*innen sind geladen, von denen zwei am Mittag nach Hause geschickt
werden. Dass heute kein Urteil fallen wird, ist längst klar.
Zuerst geht es um eine Situation im November 2016. H. war mit dem Fahrrad
auf dem Rückweg vom Deutschkurs gewesen, schildert er dem Gericht. Es sei
kalt gewesen und er habe Hunger gehabt, deshalb habe er schnell nach Hause
gewollt. An der Ecke Reeperbahn habe ein Polizist ihn aufgehalten.
Plötzlich hätten ihn Zivilpolizist*innen umzingelt und seine Papiere
verlangt.
## Von der Ordnungswidrigkeit zum Aufenthaltsdelikt
H. verweigerte die Herausgabe. „Sie dürfen mich nicht grundlos
kontrollieren, ich komme von der Schule und will nach Hause“, habe er
gesagt. Nach einigem Hin und Her habe er dann doch seine
Fiktionsbescheinigung, ein vorläufiges Aufenthaltsdokument, aus dem
Portemonnaie gezogen und vorgezeigt. „Wenn du ein falsches Wort sagst,
nehmen wir dich mit“, habe ein Polizist erwidert. „Warum, ich habe nichts
getan“, habe H. protestiert. Daraufhin fesselte der Beamte H. die Hände auf
dem Rücken und brachte ihn zur Davidwache.
Der Polizist Michael J., der als Zeuge aussagt, schildert die Situation
anders. Er sei im Rahmen einer Kontrolle von Betäubungsmittelhändlern im
Einsatz gewesen, als H. an der Reeperbahn mit dem Fahrrad auf dem Fußweg
gefahren sei. „Eine Ordnungswidrigkeit“, sagt J. Deshalb habe er H.
angehalten. „Mit seiner Hautfarbe hatte das nichts zu tun.“
Dann allerdings, nachdem H. aufgebracht reagiert und sich geweigert habe,
seine Personalien vorzuzeigen, habe J. „das Rechtsgebiet gewechselt“ – von
der Ordnungswidrigkeit, auf dem Gehweg zu fahren, hin zum Verdacht des
Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz.
In dem Einsatzbericht, den J. nach der Kontrolle anfertigte, steht:
„Aufgrund der Tatsache, dass H. offensichtlich kein deutscher Staatsbürger
war (Schwarzafrikaner mit schlechten Deutschkenntnissen)“, und weil H. sich
nicht ausweisen wollte, habe sich der Verdacht ergeben, dass H. sich
illegal im Land aufhalte. Die Fiktionsbescheinigung habe er erst im
Polizeikommissariat zu sehen bekommen.
H. sagt: Selbst wenn es wirklich um das Radfahren auf dem Gehweg gegangen
wäre, sei es rassistisch gewesen, ausgerechnet ihn zu kontrollieren. „Jeder
fährt dort auf dem Bürgersteig, auf der Straße ist die Ecke für Radfahrer
sehr gefährlich“, sagt er. Der Prozess soll in den kommenden Wochen
fortgesetzt werden.
12 Aug 2020
## LINKS
[1] /Racial-Profiling-auf-St-Pauli/!5668319
[2] /Streit-um-Hamburger-Gefahrengebiete/!5332840
[3] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/show/racial-profi…
[4] /Stigmatisierende-Kontrollen/!5456780
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Racial Profiling
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St. Pauli
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Horst Seehofer
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