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# taz.de -- Studie zu Gewalt gegen Polizei: Nicht witzig, Herr Seehofer
> Die Forderung des Innenministers nach einer Studie über Gewalt gegen
> Polizisten ist mehr als ein schlechter Scherz. Es geht um ihre
> Unantastbarkeit.
Bild: Witz, komm raus: Horst Seehofer letzte Woche im Bundeskabinett
Es gibt Witze, die schreiben sich von selbst. Die allerbesten davon können
jederzeit aktualisiert abgerufen werden. Als Bundesinnenminister Horst
[1][Seehofer vor gerade einmal zwei Wochen der Idee einer Studie zu Racial
Profiling eine Absage erteilte], weil diese Ermittlungstechnik ja verboten
sei und es deshalb einer Untersuchung nicht bedürfe, war so ein Witz
geboren.
Innerhalb kürzester Zeit war das Netz voll von Dingen, die nicht mehr
untersucht oder ermittelt werden müssten, weil sie schließlich nicht
erlaubt seien: Einbruch, Totschlag, Diebstahl – alles verboten. Man fragte
sich, wozu es überhaupt noch eine Polizei brauche, untersuche die doch im
Wesentlichen Dinge, die es gar nicht geben dürfe.
Horst Seehofer, dieser Mario Barth der deutschen Innenpolitik, lässt sich
angesichts dieses Selbstläufers nicht lumpen und legt nun nach. Nach
Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei in Frankfurt am Main
am vergangenen Wochenende [2][will der Minister eine Studie über Gewalt
gegen die Polizei beauftragen]. Seehofers Fans erkennen den klassischen
Recall, wie die Technik der variierenden Wiederholung eines Gags in der
Stand-up-Comedy genannt wird, und füllen die Timelines auf Twitter und
Facebook zügig mit Kommentaren, wie: [3][„gewalt gegen beamte ist doch
verboten, wozu dann eine studie?“]
Zunächst aber spricht natürlich gar nichts gegen eine entsprechende
Erhebung. Solide Empirie ist zweifellos die Grundlage einer informierten
Debatte. Dass verschiedene Polizeibehörden bereits entsprechende Daten
sammeln und veröffentlichen, geschenkt. Eine ausführliche bundesweite
Untersuchung könnte die Zahlen schließlich sammeln, eine einheitliche
Erfassung fördern, ihre Entstehung, ihre interne und mediale Verwertung
einer kritischen Betrachtung unterziehen.
Denn allein die Meldungen bei Einsätzen verletzter Uniformierter halten
einer detaillierten Überprüfung selten stand. Ein genauerer Blick auf die
[4][Zahlen während des G20-Gipfels] zum Beispiel ließ diese deutlich
schrumpfen, um mehr als die Hälfte nämlich.
## Populistische Abwehr jeglicher Kritik
Aber Seehofer geht es bei seinem Vorschlag gar nicht um Genauigkeit oder
überhaupt um die Durchführung einer soliden Studie, sondern nur um den
kurzfristigen Lacher, respektive den Propagandaerfolg. Schließlich stehen
die Polizeibehörden spätesten seit dem Schub der
Black-Lives-Matter-Bewegung auch in Deutschland unter ungewöhnlich
kritischer Beobachtung.
Die abzuwehren haben sich weite Teile der politischen Klasse, allen voran
der Innenminister, zur vordringlichen Aufgabe gemacht. Und so werden
[5][ein paar zerschlagene Scheiben in Stuttgart zum drohenden Untergang des
Abendlandes stilisiert], um nicht über Polizeigewalt diskutieren zu müssen.
Der Frankfurter Rabatz wird zur Gefährdung der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung hochgejuxt, um über rassistische
Ermittlungspraxis den Mantel des Schweigens zu legen. Eine [6][satirische
taz-Kolumne wird zur menschenverachtenden Gewaltfantasie] umgedeutet, um
jeden Gedanken über die Asymmetrie der Macht zwischen bewaffneten
Uniformierten auf der einen, ihren Opfern und Kritiker*innen auf der
anderen Seite als Angriff auf eine demokratische Gesellschaft denunzieren
zu können.
Gewiss: Die besinnungslose Liebe zur Polizei ist immer gut für einen
bitteren Scherz, wächst sich aber zur sehr ernsten Gefahr aus. Denn sie ist
auch stillschweigende Kumpanei mit [7][den rechtsextremen] und
[8][tatsächlich demokratiegefährdenden Netzwerken] in den
Sicherheitsorganen. Deren Aufklärung obliegt bislang vornehmlich
Journalist*innen. Wie auch die, wie wir ja nun wissen, verbotene Praxis des
Racial Profiling, nur wegen der [9][geduldigen Selbstorganisation
rassifizierter Betroffener] und der medialen Berichterstattung darüber
überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit kommt.
Hier: Studie ja. Dort: Studie nein – die Begründungen sind gleichgültig, da
austauschbar. Seehofer geht es letztlich nicht darum, gesellschaftlichen
Problemen und ihren Ursachen auf die Spur zu kommen, sondern nur darum, die
Unantastbarkeit der Institution Polizei und [10][die von ihr geschützte
Ordnung] zu verteidigen. „Warum denn untersuchen, es ist doch verboten …“
Der Witz funktioniert, weil er wahr ist. Glücklich, wer noch befreit
darüber lachen kann.
21 Jul 2020
## LINKS
[1] /Racial-Profiling-bei-der-Polizei/!5698271
[2] /Folgen-von-Krawall-in-Frankfurt-am-Main/!5701468
[3] https://twitter.com/habibitus/status/1285481233347153921
[4] https://www.buzzfeed.com/de/marcusengert/bei-g20-protesten-weniger-polizist…
[5] /Jugendgewalt-in-Stuttgart/!5691509
[6] /Angekuendigte-Anzeige-wegen-taz-Kolumne/!5691090
[7] /!t5549502/
[8] /Polizei-und-rechtsextreme-Drohschreiben/!5700789
[9] /Diskussion-zu-Polizeiwillkuer/!5548374
[10] /Struktureller-Rassismus-bei-der-Polizei/!5688344
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
Horst Seehofer
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Polizei
Racial Profiling
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Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Krawalle
Deutsche Polizeigewerkschaft DPolG
Rechtsextremismus
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