# taz.de -- Aktivismus und Migration: Willkommen in Deutschland! | |
> Es ist ein Privileg, Aktivist*in zu sein. Unser Autor fragt sich: Wie | |
> kann ich Aktivist sein, während ich nur zu überleben versuche? | |
Bild: Das Essen ist zu wenig, trotzdem wird jeden Tag eine Menge weggeworfen | |
Ich habe zweimal in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete gelebt. | |
Beim ersten Mal schien alles perfekt, das zweite Mal war ganz anders, denn | |
ich verstand nicht nur, was sie sagten, sondern ich beobachtete alles viel | |
genauer. | |
Ich kam im Februar 2019 aus Spanien und habe in derselben Woche Asyl | |
beantragt. Ich gebe zu, dass ich nicht alles genau verstanden habe und dass | |
alles blitzschnell vorbei war. Das Interview, in dem ich meine Fluchtgründe | |
darlegen sollte, lief nicht sehr gut, weil ich nicht darauf vorbereitet | |
war, wie ich meine Geschichte so erzählen kann, dass der Richter sie | |
versteht. Die Konsequenzen folgten bald. | |
Nach drei Monaten teilte mir das BAMF, das Bundesamt für Migration und | |
Flüchtlinge, mit, dass ich Dublin-III habe, also dass ich nach langen | |
Monaten des Stresses und Nahrungsmangels nach Spanien zurückkehren müsse. | |
Trotz der Warnung meiner Freund*innen ging ich jeden Monat zur | |
Ausländerbehörde. Ich konnte es nicht mit 74 Euro im Monat aushalten und | |
musste meinen Ausweis verlängern lassen, um die zweite Hälfte meines Geldes | |
zu bekommen. Ja, so ist das im Land von Goethe. | |
## Privatjet für 2 Migranten | |
Die Behörden verhafteten mich Ende November in der Ausländerbehörde und | |
brachten mich für mehrere Tage in ein Abschiebegefängnis. Dann kam ich zum | |
Flughafen in Frankfurt. Ich wurde von sieben Polizisten erwartet. Sie | |
teilten mir sofort mit, dass ich mit einem Sonderflug und in keinem | |
öffentlichen Flugzeug fliegen sollte. Ich leistete keinen Widerstand, denn | |
ich wollte nicht verletzt werden. Es war ein Privatjet für mich, eine | |
weitere Person und 15 Polizisten, unglaublich. Ja, in einem Land, das | |
seinen CO2-Ausstoß reduzieren will, wird ein Privatjet für zwei Migranten | |
gechartert. Wer weiß, seit wann und wie oft das passiert. | |
Bei unserer Ankunft in Madrid warteten zwei Polizisten auf uns, und später | |
gab uns das Rote Kreuz etwas Essen und eine Transportkarte für den ÖPNV und | |
wünschte uns viel Glück. Die Unterkünfte waren voll, selbst Familien mit | |
Kindern schliefen auf der Straße, und so schlief ich am Bahnhof und | |
versuchte zu überleben. Als ich jedoch einige Monate später die | |
Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Madrid sah, kam ich über Bordeaux, | |
Paris, Brüssel und Lüttich nach Köln und dann nach Frankfurt und Gießen. | |
GOTT sei Dank wurde ich weder von der Polizei kontrolliert noch verhaftet. | |
## Es ist nie Nacht | |
In Gießen ging ich ins Ankunftszentrum, und glücklicherweise war mein | |
Deutsch gut genug, um dieses Mal alles gut zu verstehen. Für den ersten | |
Check-in und das Stellen des Asylantrags waren wenig Leute da wegen der | |
Pandemie. Am Anfang erhielt ich als Ausweis ein A4-Papier, das mir erlaubt, | |
im Zentrum ein- und auszugehen. Ein Sozialarbeiter begleitete mich in einen | |
Raum, in dem bereits drei weitere fremde Personen wohnten. | |
In diesem zweistöckigen L-förmigen Gebäude sind alle Kulturen und Sprachen | |
präsent, genau wie in der UNO. Leider ist es dort nie Nacht. Es gibt immer | |
Geschrei und vor allem nächtliche Auseinandersetzungen. Oft kommt auch die | |
Polizei, um Menschen zu verhaften, und dann rennen alle aufgeregt | |
durcheinander und versuchen, sich zu verstecken. | |
In einer Nacht wachte ich auf und sah fünf Polizisten über mir um mein Bett | |
herum. Obwohl das Licht im Zimmer an war, leuchteten sie mir mit einer | |
Taschenlampe ins Gesicht und fragten nach meinem Ausweis. Ich gab ihnen den | |
Ausweis und sie verglichen ihn mit einem Bild von einer Person, die sie | |
abschieben wollten. Es war offensichtlich, dass es nicht ich war, dennoch | |
blieben sie noch eine weitere Viertelstunde bei mir, stellten mir Fragen | |
und behandelten mich sehr grob. Danach konnte ich nicht mehr schlafen. | |
Einige Tage später brach ich zusammen und musste ins Krankenhaus. | |
## „Einmal, bitte“, sagt die Dame | |
Um im Camp zu essen, muss man zwischen 7 Uhr und 9 Uhr aufstehen und | |
frühstücken. Von 11.30 Uhr bis 14 Uhr gibt es Mittagessen und abends | |
normalerweise ein Sardinenbrot oder so etwas. Es stört nicht nur, dass das | |
Essen sehr eklig schmeckt, sondern auch, dass es viel zu wenig ist. In der | |
Kantine gibt es sogar immer eine Dame, die sagt: „Einmal, bitte“. Man nimmt | |
sich nur ein Mal, weil tausend andere hinter einem stehen. Trotzdem vergeht | |
kein Tag, an dem kein Essen weggeworfen wird. | |
In diesem Zentrum, wo man zweimal von Securities kontrolliert werden muss, | |
um hineinzukommen, und einmal, um herauszukommen, und wo man nie länger als | |
zwei Nächte abwesend sein darf, an diesem Ort brodeln immer Ärger, Stress, | |
Angst und Unklarheit über das Asylverfahren unter der Oberfläche. | |
Von außen wirkt es wie ein gigantisches logistisches Wunder, doch bei | |
näherem Betrachten ist es eher ein Wunder, dass überhaupt etwas | |
funktioniert. Ich habe die Sozialarbeiter*innen meistens nur rauchen oder | |
sich unterhalten gesehen, und wenn man sie etwas fragt, dann ist die | |
Antwort: „Ich weiß nicht.“ Dabei wissen sie ganz genau, dass wir | |
verletzlich und schutzlos sind. Dennoch gibt es auch echte Profis, die mit | |
Leidenschaft versuchen, den Bewohner*innen ihre Situation verständlich zu | |
machen. | |
Kurzum, Asylsuchender zu sein bedeutet heute in Deutschland nicht nur, sich | |
in einem ultralangen und nervenaufreibenden Verfahren zu befinden, sondern | |
täglich einem unerträglichen physischen und psychischen Druck ausgesetzt zu | |
sein. Viele haben bereits die Hoffnung verloren und sind dabei, den | |
Verstand zu verlieren. Das System bringt dich direkt in eine hoffnungslose | |
Situation, und du verlässt das Land entweder selbst oder du bist für immer | |
verloren. Die Traumata der Flucht multiplizieren sich mit den neuen | |
Traumata in den Camps. Die Deutschen wissen es, und sie haben die Macht, es | |
zu ändern, aber in ihren Augen sind wir nur Zahlen. WILLKOMMEN IN | |
DEUTSCHLAND. | |
25 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Mamadou Sarafou Diallo | |
## TAGS | |
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