# taz.de -- Zora del Buonos „Die Marshallin“: Stilvolle Kommunistin | |
> Zora del Buono hat mit „Die Marschallin“ ihrer Großmutter einen Roman | |
> gewidmet. Die Arztgattin machte ihr Haus zum Treffpunkt für Kommunisten. | |
Bild: Die Autorin als Kind mit ihrer Mutter und den Großeltern | |
Wer [1][„Die rote Zora“] kennt, wird aus dem Staunen nicht mehr rauskommen, | |
wenn er „Die Marschallin“ liest. Der 1941 in der Schweiz erschienene, an | |
eine wahre Geschichte angelehnte Jugendroman über ein rothaariges | |
kroatisches Waisenkind, das mit seiner sozialrevolutionären Bande in einer | |
verfallenen Burg lebt, ist wie das subproletarische Pendant zu den | |
Abenteuern der slowenischen kommunistischen und großbürgerlichen Zora Del | |
Buono alias „Marschallin“. | |
Diese lebt zur selben Zeit wie die rote Zora, nur auf der anderen [2][Seite | |
der Adria] und als Arztgattin in einem mondänen Haus in Süditalien. Die | |
Enkelin dieser großbürgerlichen Zora hat deren Geschichte nun in einem | |
Roman verarbeitet. Sie ist in der Schweiz geboren, hat von Natur aus | |
feuerrote Locken und trägt denselben Namen wie ihre Großmutter. Fast. Sie | |
heißt Zora del Buono. | |
Großmutter Zora hatte das del in Del verwandelt, um deutlich zu machen, | |
dass sie den bourgeoisen Adelsstand ablehnte. Großmutter Zoras Sohn | |
Manfredi, der Vater der Erzählerin, hatte seinem Namen wiederum das kleine | |
d zurückgegeben. Er hatte schlechte Erfahrungen im tschechischen | |
Sozialismus gemacht und wollte die Konzession seiner Mutter an den | |
Kommunismus nicht mehr im Namen tragen. | |
## Inneres Glühen | |
„Zora jammerte nie“, schreibt Zora del Buono über Zora Del Buono. „Sie | |
packte an. Sie schien eine Spur heller zu leuchten als die Menschen um sie | |
herum, es war ein ständiges inneres Glühen, sie glühte sogar wenn sie sich | |
unbeobachtet fühlte, als ob sie darauf brennen würde, etwas ganz Großes zu | |
tun.“ | |
1896 wird Zora Ostan im slowenischen, später jugoslawischen Städtchen Bovec | |
geboren und erlebt mit ihren drei Brüdern, wie ihr Heimatort während der | |
Isonzo-Schlachten im Ersten Weltkrieg vollständig zerstört wird und unter | |
italienische Hoheit gelangt. | |
Dadurch lernt sie den sizilianischen und rothaarigen Arzt Pietro Del Buono | |
kennen, zieht mit ihm ins apulische Bari, wo sie drei Söhne kriegen und ihr | |
großbürgerliches Haus Treffpunkt der kommunistischen Avantgarde Italiens | |
und Jugoslawiens und später Lazarett für Kriegsversehrte wird, bis sie nach | |
dem Zweiten Weltkrieg von den italienischen Kommunisten aus dem Haus | |
vertrieben werden – was als „große Demütigung“ in die Familiengeschichte | |
eingeht. | |
Großmutter Zoras Spitzname „Marschallin“ rührt von ihrer großen Bewunder… | |
des Partisanen und jugoslawischen Präsidenten Josip Broz her, besser | |
bekannt als Marschall Tito. Zora erkannte im Titoismus ihre Definition des | |
„Kommunismus ist Aristokratie für alle“. Tito liebte so wie Zora den guten | |
Geschmack. Er hatte eine Vorliebe für schöne Uniformen, Yachten und Frauen. | |
Und er pflegte nicht nur Denkmäler für sich selbst, sondern auch stilvolle | |
Hotels und öffentliche Einrichtungen in ganz Jugoslawien zu errichten. | |
## Ein passendes Kostüm für die Agitation | |
Auch Zora entwarf mit Stil und Akribie ihr Haus in Bari – „Intarsienwände, | |
geometrische Kassetten aus dunklem Mahagoni, leuchtendem Zitronenholz und | |
Schildpatt auf blauer Seide“. Für einen Agitationsauftritt für die KPI vor | |
dem Bahnhof von Bari lässt sie sich ein Kostüm schneidern, dass mit der | |
Farbe des Gebäudes hinter ihr – „apricotfarben, aber dunkler“ – | |
korrespondiert. | |
[3][Zora del Buono], die neben ihrer [4][schriftstellerischen Arbeiten] | |
auch Architektin und Gründerin der Zeitschrift mare ist, hat ihren Roman so | |
detailgenau, vielschichtig und raffiniert gebaut wie Zoras Haus in Bari. | |
Betritt man ein neues Kapitel in ihrem Roman, ist es, als öffne sich eine | |
Tür zu einem neuen Zimmer in Großmutter Zoras Leben, in dem sich ungekannte | |
Abgründe auftun: Kriminelle und Faschisten, politische Verbannung und | |
ideologische Verblendung, Homophobie und Korruption, Misogynie und als | |
Kosmopolitismus getarnter Elitismus. Um diese Türen zu finden, muss man | |
durch lange Flure, Säle und Gärten laufen, damit sich die dunklen | |
Verbindungen der Mitglieder, Freunde und Feinde der Familie auftun. | |
Bei Netflix würde „Die Marschallin“ unter „Filme mit starken Frauen“ | |
einsortiert werden. „Wäre sie ein Mann gewesen, sie wäre Major geworden, | |
eher noch Marschall, vielleicht sogar Staatspräsident“, schreibt Zora del | |
Buno über Zora Del Buono. Aber del Buono lässt ihre Großmutter nicht als | |
Superheldin auftreten, sondern hinterfragt, woher die Stärke kommt, welche | |
Verletzungen, welche Erfahrungen hinter dieser Stärke stehen und welche | |
Schwäche diese Stärke bei den Menschen um sie herum erzeugt. | |
## Sie sucht die Ehefrauen für die Männer aus | |
Großmutter Zoras Erklärung für ihre Stärke ist, dass sie ohne Mutterliebe | |
aufgewachsen ist, weswegen sie die auch ihren eigenen Kindern gegenüber | |
nicht hat und darüber hinaus allen Frauen misstraut und aufmüpfige | |
Schwägerinnen und starke Schwiegertöchter an ihrer Seite zu verhindern | |
sucht, indem sie nicht nur ihren Söhnen, sondern auch ihren Brüdern die | |
Frauen selbst besorgt. | |
Trotz ihrer kommunistischen Überzeugung hängt Großmutter Zora | |
traditionellen Geschlechter- und letztlich auch Klassenrollen an: „una | |
signora non lavora“ („Eine Dame arbeitet nicht“), sondern gibt Befehle. | |
Beispielsweise ihren Hausangestellten, die sie behandelt wie Leibeigene. | |
Auch im Kommunismus muss jemand das Klo sauber machen. Und in Großmutter | |
Zoras Kommunismus ist es nicht die Signora, sondern die Putzfrau. | |
Über ihrem Kaminsims hat sie auf Latein die Worte einmeißeln lassen: „Diese | |
Mauern seien dein unbezwingbarer Schutzwall; sei dir keines Unrechts | |
bewusst, erblasse nie in Schuld.“ Diese Motto hält sie fast 300 Seiten des | |
Romans und über 50 Jahre ihres Lebens durch. Bis 1948, dem Jahr, in dem | |
Tito mit Stalin brach, Zora Del Buono Diabetes kriegt und ein Bekannter | |
mit ihrer Pistole einen Mord an einem Unschuldigen begeht. | |
In den Jahren danach fällt die Familie Del Buono bei den Kommunisten in | |
Ungnade, verliert fünf Mitglieder bei fünf Autounfällen. Auch der Vater | |
der Autorin Zora del Buono kommt so um. Die Großmutter aber lebt bis 1980. | |
Tito stirbt drei Monate nach ihr. | |
11 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Rote_Zora | |
[2] /Kurzgeschichten-zum-Meer/!5695276 | |
[3] /Kolumne-Generation-Camper/!5282951 | |
[4] /Hier-laechelt-die-Schoenheit-der-Welt/!5185838 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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