# taz.de -- Protest gegen EU-Milliardenpaket: 1. Corona, 2. Wirtschaft, 3. Klima | |
> Umweltverbände kritisieren die Beschlüsse des EU-Gipfels scharf. Mit dem | |
> Rettungspaket könne Europa bis 2050 nicht klimaneutral werden. | |
Bild: Klima nicht im Blick: Rutte, Michel, von der Leyen und Macron (v. l.) bei… | |
Einen Durchbruch hat die Europäische Union bei ihrem jüngsten Gipfel | |
geschafft. Dank gemeinsamer Schulden können [1][von Corona besonders | |
betroffene Staaten wie Italien] hunderte Milliarden Euro nicht | |
zurückzuzahlender Zuschüsse erhalten. Aber gibt es auch einen Durchbruch in | |
der Klimapolitik? | |
Während Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Ergebnisse | |
vorsichtig positiv wertete, überwiegt bei den Umweltverbänden die Kritik. | |
„Für zukünftige Generationen ist das ein schlechter Deal“, sagte Kai | |
Niebert, Chef des Dachverbands [2][Deutscher Naturschutzring] (DNR). Und | |
[3][WWF]-Vorstand Christoph Heinrich bemängelte, es stehe zu wenig Geld zur | |
Verfügung, um die angestrebte Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. | |
Vier Tage brauchten die Regierungschef*innen, um ein Paket mit über 1.800 | |
Milliarden Euro zu packen. Darin enthalten sind die EU-Haushalte der | |
nächsten sieben Jahre mit rund 1,074 Billionen und das Programm zur | |
Überwindung der Coronakrise mit 750 Milliarden Euro. Dabei geht es vor | |
allem darum, die von der Pandemie schwer getroffene Wirtschaft wieder | |
anzukurbeln. Klimaschutz kommt auch vor, spielt aber keine zentrale Rolle. | |
Im Ratsbeschluss heißt es, dass 30 Prozent der insgesamt 1,8 Billionen Euro | |
für „Klimaschutzmaßnahmen“ ausgegeben werden müssen, die dem „Ziel ein… | |
klimaneutralen EU bis 2050“ dienen. Um das sicherzustellen und zu | |
überprüfen, will die EU eine „wirksame Methode“ entwickeln, die allerdings | |
nicht näher beschrieben wird. | |
## Mittel für Kohleregionen | |
Zusätzlich wird ein neuer „Fonds für gerechten Übergang“ eingerichtet, | |
dessen Mittel Kohleregionen vor allem in Bulgarien, Deutschland, | |
Griechenland und Polen helfen sollen, nach dem Ausstieg aus den fossilen | |
Energien neue Arbeitsplätze zu schaffen. 17,5 Milliarden Euro stehen dafür | |
zur Verfügung. | |
Schließlich plant die EU, neue Geldquellen zu erschließen, die auch dem | |
Klimaschutz zugutekommen können. Dazu gehören ein „Grenzausgleichssystem“, | |
um kohlendioxidintensive Importprodukte zu besteuern, die Einbeziehung des | |
Luft- und Seeverkehrs in den Emissionshandel und eine Abgabe auf nicht | |
recycelte Kunststoffabfälle. | |
Die Umweltverbände kritisieren vor allem den Umfang der Mittel für den | |
Klimaschutz. „30 Prozent der geplanten EU-Ausgaben an die Klimaneutralität | |
zu binden, reicht bei weitem nicht aus“, sagte WWF-Sprecher Julian Philipp. | |
„Will die EU bis 2050 klimaneutral sein und das 1,5-Grad-Ziel einhalten, | |
muss sie mindestens 40 Prozent dafür einsetzen.“ | |
Diese Zahl ist allerdings eher gegriffen als gerechnet. „Die Forderung ist | |
als Größenordnung zu verstehen, um die Umsetzung eines höheren | |
EU-Klimaziels bis 2030 sicherzustellen“, sagte Philipp. Umweltministerin | |
Schulze dagegen betonte, dass immerhin mehr Geld als bisher vorhanden sei: | |
„Die Klimaquote im EU-Haushalt wird von derzeit 20 auf 30 Prozent erhöht.“ | |
## Ampel für Nachhaltigkeit | |
Das freilich ist erst mal nur eine Absichtserklärung. Fraglich erscheint, | |
ob die Milliarden später auch wirklich dem Klimaschutz dienen. Zweifel | |
scheint da auch das Umweltministerium zu hegen. „Die Bekenntnisse zu Klima- | |
und Umweltschutz sind wichtig und nötig, aber auch die konkrete Verteilung | |
der Mittel muss dazu passen“, mahnte Schulze. | |
WWF-Sprecher Philipp wird konkreter: Er bemängelte, die Klima-Milliarden | |
seien nicht ausdrücklich an das neue Bewertungssystem der EU-Taxonomie | |
gebunden. Diese Einstuftung für Investitionen funktioniert wie eine Art | |
Ampel für Nachhaltigkeit. Dass das EU-eigene Klassifikationssystem im | |
Ratsbeschluss nicht angesprochen wird, mag dem Widerstand von Ländern wie | |
Polen geschuldet sein. | |
Beim Fonds für gerechten Übergang ist den Umweltverbänden ein Dorn im Auge, | |
dass der Ansatz von 17,5 Milliarden Euro weit unter der ursprünglich | |
genannten Größenordnung blieb. Im Green-Deal-Beschluss der Kommission vom | |
Januar 2020 war noch von „30 bis 50 Milliarden Euro“ die Rede. | |
## Hoffen auf EU-Parlament | |
„Kanzlerin Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs haben an den | |
falschen Ecken gespart. Das EU-Parlament muss die Schwachstellen nun soweit | |
es geht ausbügeln“, sagt Germanwatch-Klimaexpertin Audrey Mathieu. Dafür | |
sollen die Verhandlungen Ende September beendet sein. Das | |
Bundeswirtschaftsministerium erklärt das Glas des „Just Transition Fonds“ | |
hingegen für halb voll: Bisher habe es schließlich gar keinen Übergangstopf | |
gegeben. | |
Eine Lücke tut sich im aktuellen Beschluss außerdem an einer entscheidenden | |
Stelle auf. Noch konnten sich die Regierungschef*innen nicht dazu | |
durchringen, das Reduktionsziel für Treibhausgase von derzeit minus 40 | |
Prozent im Vergleich zu 1990 auf bis zu 55 Prozent bis 2030 zu erhöhen. | |
Die Umweltverbände fordern sogar, der Ausstoß klimaschädlicher Gase müsse | |
in 10 Jahren um 65 Prozent gesunken sein. In ihrer Erklärung vom | |
vergangenen Wochenende betonen die Regierungen lediglich, dass sie das neue | |
Klimaziel für 2030 noch in diesem Jahr festlegen wollen. | |
27 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Italien-nach-dem-EU-Gipfel/!5700627 | |
[2] https://www.dnr.de/presse/pressemitteilungen/pm-2020/euco-statement/ | |
[3] https://www.wwf.de/2020/juli/der-klimaschutz-kommt-zu-kurz/ | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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