# taz.de -- Richtungskampf beim Umweltverband DNR: Honorar statt Honoratioren | |
> Bei Deutschlands größtem Umweltverband DNR fliegen die Fetzen: Soll der | |
> Präsident Profilobbyist werden oder Ehrenamtlicher bleiben? | |
Bild: Der DNR streitet nicht über Vogelschutz, etwa von Graugänsen, sondern d… | |
BERLIN taz | Am letzten Montag im Oktober beschloss die CDU, ihren | |
Parteitag zur Wahl eines neuen Vorsitzenden zu verschieben. Begründung: die | |
Coronapandemie. Hinter den Kulissen läuft ein Machtkampf. | |
Am Tag darauf machte es der größte deutsche Umweltverband, der Deutsche | |
Naturschutzring (DNR), der Regierungspartei nach: Die | |
Mitgliederversammlung, für den 27. November geplant, fällt bis auf Weiteres | |
aus. Mit dieser überraschenden Entscheidung stellte sich das DNR-Präsidium | |
mit sieben zu vier Stimmen gegen seinen Präsidenten und gegen eine Mehrheit | |
der Mitglieder. Auch im DNR tobt ein Machtkampf um Geld, Strukturen, | |
Modernisierung, die richtige Nähe zur Politik und persönliche | |
Feindschaften. | |
Eigentlich sollten diese Probleme am 27. November gelöst werden. Ein Saal | |
in Berlin war gemietet, die Anträge waren geschrieben. Denn der [1][DNR, | |
als Dachverband von 92 Verbänden aus Natur-, Umwelt- und Tierschutz seit 70 | |
Jahren] so etwas wie der DGB der Öko-Szene, wollte wichtige Entscheidungen | |
treffen. Dazu gehören [2][Satzungsänderungen] zum Umgang mit rechtsextremen | |
Umweltschützern und zur Gemeinnützigkeit – vor allem aber ein Wechsel in | |
der internen Struktur. An der Spitze des DNR, der etwa 10 Millionen | |
Menschen vertritt, soll statt ehrenamtlicher in Zukunft bezahlte Arbeit | |
geleistet werden, der DNR-Präsident soll für seine Aufgaben entlohnt | |
werden. Das Thema hat den Verband seit einem Jahr dominiert und aufgewühlt | |
und nun praktisch lahmgelegt. | |
Es geht um knapp 50.000 Euro im Jahr, aber auch um Tradition, | |
Selbstverständnis und Misstrauen. Diese explosive Mischung sorgt dafür, | |
dass mitten in der heißen Debatte über ein neues EU-Klimaziel, [3][die | |
Zukunft der Landwirtschaft] und kurz vor einem entscheidenden Wahljahr der | |
Dachverband der deutschen Umweltszene vor allem mit der eigenen | |
Zukunftsfähigkeit beschäftigt ist. | |
Die Pläne seien ein Abschied von den Prinzipien des DNR, kritisieren | |
Präsidiumsmitglieder, die seit Jahrzehnten die Organisation leiten; manche | |
Kritiker fürchten um die Unabhängigkeit des größten deutschen Öko-Verbands | |
und um das Engagement der Mitglieder. Andere werfen dem DNR-Präsidenten Kai | |
Niebert Karrierismus vor. Der kontert, die Strukturen müssten modernisiert | |
werden, „um die Breite der Umweltbewegung mitzunehmen“. | |
## Mehr als eine abgesagte Veranstaltung | |
Mit dem überraschenden Stopp der Mitgliederversammlung liegen nun erst | |
einmal alle Entscheidungen auf Eis. Als Gründe für die Verschiebung nennt | |
Präsidiumsmitglied Undine Kurth eine „starke Minderheit bei den | |
Mitgliedern“, die Abstimmung und Kandidatenkür nicht online durchführen | |
wollte. Niebert wiederum will „neu aufgestellt“ ins Wahljahr 2021 gehen, um | |
Umweltthemen zu platzieren. Er sieht die Mehrheit der Verbände hinter sich | |
und will zumindest ein neues Präsidium wählen lassen. Und der Vorsitzende | |
des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), Olaf Bandt, hat jetzt dem | |
Präsidium per Brief ein Ultimatum gestellt: Gibt es bei der | |
Präsidiumssitzung am 12. November keine Lösung, will er eine | |
außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen. | |
Doch der Streit dreht sich um mehr als eine abgesagte Versammlung. „Ich | |
bezweifle die Notwendigkeit einer Satzungsänderung zur Honorierung des | |
Präsidentenamts“, sagt etwa Ludwig Wucherpfennig, seit zehn Jahren für den | |
Deutschen Alpenverein im DNR-Präsidium. Dabei haben die Mitglieder genau | |
diese Änderung schon vor einem Jahr einstimmig beschlossen. | |
Konsequenterweise tritt Wucherpfennig nicht mehr zur Wahl an – bleibt aber | |
bis zur Wahl eines neuen Gremiums im Amt. | |
## Mehr Schlagkraft ist gewünscht | |
Nieberts Unterstützer dagegen wollen den „Intrigantenstadel DNR“ zu einer | |
schlagkräftigen Stimme der Umweltbewegung machen. Für sie gilt: weniger | |
pensionierte Professoren in der Leitung, mehr Professionalismus. Honorar | |
statt Honoratioren. „Die Aufgaben und die Bedeutung von Tier- und | |
Naturschutz sind so gewachsen, dass so ein Verband nicht mehr ehrenamtlich | |
und nebenher zu führen ist“, sagt Olaf Bandt. | |
Umstritten ist vor allem der amtierende DNR-Präsident Kai Niebert, der für | |
eine zweite Amtszeit antritt. Der 41-Jährige kam 2015 überraschend ins Amt. | |
Niebert ist Professor für Didaktik der Nachhaltigkeit an der Universität | |
Zürich. Unter ihm ist der DNR in politischen Debatten rund um Klima, | |
Artenvielfalt und Fridays for Future deutlich sichtbarer geworden. Er hat | |
es geschafft, die vielen verschiedenen Verbände immer wieder bei aktuellen | |
Themen auf eine Linie festzulegen. „Niebert koordiniert geschickt die | |
Verbände, schenkt den Kleinen Gehör und nimmt den Großen die Bühne nicht | |
weg“, sagt ein langjähriges Präsidiumsmitglied. Wichtige Verbände wie die | |
Deutsche Umwelthilfe oder der WWF, die den DNR wegen der ewigen | |
Streitereien entnervt verlassen hatten, sind zurückgekehrt. | |
SPD-Mitglied Niebert lässt seine Verbindungen ins politische Berlin | |
spielen. Er hat eine deutliche Aufstockung der jährlichen DNR-Mittel aus | |
dem Bundeshaushalt von 1,1 auf knapp 2 Millionen Euro erreicht und deutet | |
gern an, dass er mit „Svenja“, der Genossin Umweltministerin, auf | |
vertrautem Fuß steht. Der dynamische Grenzgänger zwischen Lehre, Aktivismus | |
und Politik saß nicht nur in der „Kohlekommission“, sondern vertritt die | |
Umweltseite auch in der „Zukunftskommission Landwirtschaft“. „Wir müssen… | |
auf Augenhöhe mitverhandeln“, sagt Niebert, „das geht nicht mit einer rein | |
ehrenamtlichen Verbandsspitze, wenn man gut ausgestatteten Stäben | |
gegenübersitzt.“ | |
## Vorgeschlagenes Jahresbrutto: 47.000 Euro | |
Das kostet alles Zeit und Kraft. Er habe eine Beförderung in Zürich | |
abgelehnt, um sich dem DNR zu widmen, sagt Niebert, und seine gut bezahlte | |
Stelle reduziert. Bisher bekommt er 500 Euro im Monat als | |
Aufwandsentschädigung. Er wollte seine Stelle in Zürich um 40 Prozent | |
reduzieren und den Verdienstausfall von etwa 60.000 Euro brutto dem DNR in | |
Rechnung stellen. Mit dieser Idee ist er gescheitert. Inzwischen ist | |
geplant, den Job des DNR-Präsidenten mit 40 Prozent einer A15-Stelle im | |
öffentlichen Dienst auszustatten. Das wären etwa 47.000 Euro brutto im Jahr | |
– eine Summe, die mit dem Umweltministerium abgestimmt ist, das etwa 90 | |
Prozent des DNR-Etats zahlt. Und eine Summe, die anteilig etwa bei dem | |
liegt, was die Chefs der anderen großen Umweltverbände verdienen. Seinem | |
Chef Olaf Bandt zahlt etwa der BUND 120.000 Euro im Jahr. | |
Dass jetzt auch im DNR ähnlich entlohnt werden soll, stört viele Kritiker. | |
„Diese Dimensionen sind meiner Meinung nach falsch“, sagt Undine Kurth, | |
Ex-Bundestagsabgeordnete für die Grünen und im DNR-Präsidium. „Wir sind ein | |
Verband, in dem Millionen Menschen wichtige Arbeit ohne Bezahlung machen, | |
wie etwa Vögel zählen oder Brutstätten schützen.“ Auch für Leif Miller, … | |
die Grüne Liga im DNR-Präsidium vertritt, war „der Beginn dieser | |
Entlohnungsdebatte des DNR-Präsidenten das Ende der bis dato super | |
erfolgreichen Arbeit des Präsidiums“, schreibt er in einer internen Mail, | |
die der taz vorliegt. Er könne „mit dem sogenannten „neuen DNR“, den Kai | |
seit einiger Zeit für sich proklamiert, wenig anfangen“. Ein Dachverband, | |
der auf die anderen großen Umweltverbände fokussiert sei und „der zunehmend | |
die Interessen aller seiner Mitglieder aus den Augen verliert, ist nicht | |
mehr ‚mein DNR‘“, so Miller. Auch er tritt bei den Wahlen nicht mehr an. | |
Das tun nun aber BUND-Chef Bandt und WWF-Geschäftsführer Christoph | |
Heinrich. So wollen die Großen ihre Stellung und Nieberts Kurs stützen. Für | |
sie ist die gewachsene Bedeutung des DNR-Chefs auch ein Beweis für ihre | |
eigene Wichtigkeit. „Früher waren wir ganz aufgeregt, wenn wir mal von der | |
Umweltministerin empfangen wurden“, sagt Bandt, „heute ist der Austausch | |
auch mit Unternehmensverbänden und Gewerkschaften normal geworden.“ | |
Heinrich meint: „Die Berliner Politik und die Probleme beim Klima- und | |
Artenschutz haben dermaßen an Fahrt gewonnen, dass so ein Job nicht mehr | |
nebenbei zu machen ist.“ Und für die Deutsche Umwelthilfe sagt | |
Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Wir unterstützen die Verjüngung | |
und die Professionalisierung im Präsidium. Der DNR muss als Dienstleister | |
der Verbände zur zentralen Stimme der Umweltbewegung werden.“ | |
Auch an Geld solle das nicht scheitern, meinen die großen Verbände, | |
notfalls müssten eben die Mitgliedsverbände mehr Geld geben. Der BUND ist | |
dazu schon bereit, heißt es. Verglichen mit den Großen der Öko-Branche ist | |
der DNR ein armer Schlucker: Der [4][WWF Deutschland etwa verfügte 2019 | |
über Einkommen von 92 Millionen] Euro, [5][Greenpeace über 71 Millionen.] | |
Und für sich haben viele Verbände längst geklärt, dass auch Engagement für | |
die Umwelt bezahlt werden kann: Ihre Mitarbeiter bekommen Lohn wie in | |
anderen Firmen. Auch die Leitungsebene wird „ordentlich und | |
wettbewerbsfähig“ bezahlt, sagt Müller-Kraenner für die DUH, „wie es für | |
einen Mittelständler mit 150 Angestellten üblich ist.“ | |
Ein Teil des DNR-Präsidiums will diesen Weg nicht gehen. Auch Undine Kurth | |
hält Nieberts Strategie für falsch: „Wir sind das Dach für die Großen und | |
die Kleinen, anders als die großen Verbände.“ Dazu kommt bei ihr und | |
manchen anderen noch eine andere Befürchtung: Durch das Staatsgeld seien | |
die Verbände in ihrer Kritik an der Regierung möglicherweise nicht mehr | |
frei. Die Finanzierung der Präsidentenstelle durch das Ministerium könne zu | |
„Beißhemmung“ in der politischen Debatte führen. | |
Davon merkt zumindest das Bundesumweltministerium wenig. [6][Niebert hat | |
für den DNR das „Klimapaket“ der Bundesregierung von September 2019 scharf | |
attackiert]. Den Vorwurf, das Ministerium kaufe sich von Kritik frei, hält | |
man dort für „absurd“. Er „lässt sich auch nicht aus den öffentlichen | |
Äußerungen des DNR ableiten“, sagte ein Sprecher. „Zudem ist der DNR ein | |
binnenpluraler demokratischer Verband mit einer großen Bandbreite an | |
Umweltorganisationen als Mitgliedern.“ | |
Das Staatsgeld für die Umwelt-NGOs wird auch immer wieder gern von FDP und | |
AfD kritisiert. Dabei ist die „Verbändeförderung“ von insgesamt 4,5 | |
Millionen Euro im Bundeshaushalt extra erklärt: „Durch Zuwendungen sollen | |
Maßnahmen von Verbänden gefördert werden, die geeignet sind, das Umwelt- | |
und Naturschutzbewusstsein breiter Schichten der Bevölkerung zu stärken und | |
Sachverstand in Umwelt- und Naturschutzfragen auch außerhalb der | |
öffentlichen Verwaltung zu entwickeln.“ Diesen „Sachverstand“ setzt das | |
Umweltministerium in harten Debatten oft strategisch ein: Je lauter die | |
Regierung von den NGOs kritisiert wird, desto stärker wird die Position der | |
ministeriellen Umweltschützer gegenüber anderen Ressorts. | |
Dabei kennt eine zentrale Figur des Ministeriums die momentane Debatte im | |
DNR aus eigener Erfahrung: Staatssekretär Jochen Flasbarth war vor seinem | |
Wechsel ins Ministerium von 1992 bis 2003 Präsident des Naturschutzbunds. | |
Erst als Ehrenamtlicher, ab 1994 aber mit einem bezahlten Vollzeitjob. | |
3 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dnr.de/ | |
[2] https://www.dnr.de/der-dnr/satzung/ | |
[3] /Reaktionen-auf-Agrarreform/!5720690&s=agrarreform&SuchRahmen=Print/ | |
[4] https://www.wwf.de/ueber-uns/jahresbericht/?gclid=CjwKCAiAnIT9BRAmEiwANaoE1… | |
[5] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/gp003_… | |
[6] https://www.dnr.de/presse/pressemitteilungen/pm-2019/regierung-verweigert-n… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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