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# taz.de -- Protokoll eines Greenpeace-Mitarbeiters: „Wir sind Gegen-Lobbyist…
> Tobias Austrup von Greenpeace erklärt seinen Job in deren „politischer
> Vertretung“ in Berlin. Und der sei eben kein normaler Lobbyismus.
Bild: Der Erfolg von spektakulären Aktionen wird erst am Telefon gemacht
BREMEN taz | Auf meinem Schreibtisch liegt gerade die Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zudem steht der nationale Klimaschutzplan
2050 an. Die Bundesregierung will darin definieren, wie der Klimaschutz bis
zum Jahr 2050 vonstatten gehen soll. Mein drittes Thema ist der
Abgas-Skandal. Wir haben vor ein paar Tagen das „Schwarzbuch Autolobby“
herausgegeben, wo wir zeigen, wie die Autoindustrie auf die politische
Gesetzgebung Einfluss nimmt, sich Zugänge und Wissen einkauft, etwa durch
ehemalige hochrangige Mitarbeiter der Kanzlerin. Deren Lobbyismus findet
auf einem sehr viel höherrangigen Niveau und mit direkteren Kontakten
statt, als wir es jemals könnten.
Wir sind eine kleine Abteilung in der Greenpeace-Welt – sechs Leute in
Berlin im Vergleich zu den rund 200, die in Hamburg arbeiten. Man nennt uns
die „politische Vertretung“ von Greenpeace in Berlin. Wir beobachten den
politischen Prozess, um zu wissen, welche Gesetzesvorhaben da in den
nächsten Wochen und Monaten auf uns zukommen. Das Hauptquartier, die
Fachreferenten und Campaigner, erarbeiten dann eine Position.
Unsere andere Aufgabe ist es, diese Position von Greenpeace in die Politik
einzubringen – in die Ministerien, bei den Referenten, die an dem Entwurf
arbeiten, aber natürlich auch gegenüber Abgeordneten. Im Grunde sind wir
die Lautsprecher für Umweltbelange im politischen System, die Anwälte der
Umwelt.
## Verständnis für den Gesetzgebungsprozess
Dafür ist ein politisches Verständnis wichtig, wie ein Gesetzgebungsprozess
funktioniert, wer der relevante Akteur ist und zu welchem Zeitpunkt ich
eingreifen muss. Wir sprechen zumeist mit der Arbeitsebene – den Referenten
in Ministerien und Mitarbeitern der Abgeordneten.
Man darf sich keine falsche Vorstellungen machen: dass ich einen Sigmar
Gabriel treffe, kommt vielleicht einmal im Jahr vor und dann in einer
großen Runde mit anderen Umweltorganisationen. Ich darf dann vielleicht
fünf Minuten sprechen. Ins Kaminzimmer werde ich nicht eingeladen.
Gerade im deutschsprachigen Raum hat der Lobbyismus keinen guten Ruf. Und
wir haben zwar Instrumente, wie sie ein Industrie-Lobbyist auch nutzt: das
bilaterale Gespräch, Veranstaltungen, Briefe, Positionspapiere, aber der
große Unterschied ist – und der ist uns sehr wichtig –, dass wir ein
anderes Ziel haben. Der normale Unternehmens-Lobbyist tritt gegen stärkere
Regulierungen und für höhere Gewinne seines Unternehmens ein.
## Für die Allgemeinheit
Ein klarer Eigennutz. Wir hingegen lobbyieren nicht dafür, dass Greenpeace
als Organisation einen Vorteil hat. Es geht uns zum Beispiel nicht um
irgendwelche Fördertöpfe – weil wir uns nicht fördern lassen und weder Geld
vom Staat, noch von Unternehmen annehmen. Wir versuchen, einem
Gemeinwohl-Interesse eine Stimme zu geben. Denn von gesunder Luft, sauberen
Flüssen, einem eingedämmten Klimawandel profitiert die Allgemeinheit.
Insofern sind wir eher Gegen-Lobbyisten.
Von der Politik werden wir ernst genommen, weil wir sinnvolle Argumente und
Lösungsvorschläge vorbringen können. Dafür, Interessensgruppen anzuhören,
gibt es gute Gründe, das ist pluralistischer Austausch und kann die
Politikergebnisse verbessern. Im Wirtschaftsministerium kümmern sich zum
Beispiel zehn oder zwanzig Leute um erneuerbare Energien – um alle
Detailfragen. Die können nicht alles wissen. Das Problem ist vielmehr, dass
die Ressourcen im Lobbyismus nicht gleich verteilt sind und es nicht
transparent zugeht. Wir wollen das ändern und veröffentlichen unsere
Positionspapiere und Studien.
## Es geht um Vertrauen
Es geht beim Lobbying immer auch um Vertrauen. Das ist ein wichtiger Punkt,
warum die Politiker und Ministeriumsmitarbeiter mit uns sprechen wollen.
Und natürlich, weil wir eine Unterstützung durch die Öffentlichkeit
erfahren: Greenpeace hat knapp 600.000 Fördermitglieder – die meisten
Volksparteien haben weniger Mitglieder.
Wenn Greenpeace nicht in der Lage wäre, für die Gegenseite schmerzhafte
Kampagnen und Aktionen durchzuführen, würde so manche Tür im politischen
Berlin verschlossen bleiben und ich würde eingeordnet wie der normale
Bürger, der eine nette, allgemein gehaltene Briefantwort bekommt – aber
eben keinen Gesprächstermin.
Erpressungsargumente, wie sie ein Industrie-Lobbyist bemüht, können wir
nicht vorbringen. Wir können nicht damit drohen, Arbeitsplätze zu verlagern
und für Deals haben wir nichts anzubieten. Das einzige, womit wir Druck
erzeugen können, ist die Skandalisierung. Das heißt, die Ehrenamtlichen und
Aktivisten, die hinter uns stehen, sind ein wichtiges Instrument, um
unseren Argumenten Gehör zu verschaffen.
## Sich nicht reinziehen lassen
Natürlich gibt es immer wieder Versuche, uns von unserer Position
abzubringen, aber man darf sich da nicht reinziehen lassen. Das ist auch
einer der Gründe, warum der Hauptsitz von Greenpeace in Hamburg ist.
Einerseits gab es bei der Gründung von Greenpeace Deutschland sehr aktive
Leute in Hamburg. Hinzu kommt die enge Verbindung zum Wasser – wir sind auf
Schiffen groß geworden. Hamburg ist da ein identitätsstiftender Standort.
Aber ein wichtiger Punkt ist eben auch die geografische Entfernung von
dieser Käseglocke des politischen Kosmos in Berlin. Dass man davon einen
gewissen Abstand hält und sich nicht in den Konsens-Sog der Berliner
Politik reinziehen lässt, sondern den kühlen, analytischen Blick behält.
Wir sind keine Lobby-Organisation, sondern eine Kampagnen-Organisation. Die
beiden Instrumente spielen jedoch zusammen: Ohne Kampagnen kann ich nicht
lobbyieren, ohne Lobbying versanden die Kampagnen. Denn es bringt oft mehr,
umweltpolitische Auflagen für eine ganze Branche zu verbessern, als ein
einzelnes Umweltverbrechen zu verhindern.
## Hohe Frustrationstoleranz
Ich habe Politik studiert und über Interessensvertretung in Umweltverbänden
meine Abschlussarbeit geschrieben. Zunächst war ich bei einer kleineren
Umwelt- und Entwicklungsorganisation: Germanwatch. Mit einem Umweg über
Campact bin ich dann zu Greenpeace gekommen. Man braucht eine Überzeugung
und muss für die Sache einstehen. Sonst ist man kein guter Lobbyist. Ich
kann mir nicht vorstellen, irgendwann in einer Lobby-Kanzlei zu arbeiten,
die zehn Auftraggeber aus der Industrie hat, um da völlig willkürlich
Politik-Prozesse zu beeinflussen.
Allerdings muss man eine hohe Frustrationstoleranz besitzen. Auch wenn wir
uns professionalisiert haben, ist es immer noch ein Kampf David gegen
Goliath. Unsere Themen sind meist nicht an der ersten Stelle, oftmals
verliert man. Aber wenn man sich die Energiewende anschaut oder das, was in
Fragen der Atompolitik passiert ist, sieht man, dass wir langfristig
richtig lagen und etwas zum Besseren verändern können.
Den ganzen Umweltlobby-Schwerpunkt lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der
taz.nord oder [1][hier].
22 Apr 2016
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## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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