| # taz.de -- Diskussion über Kunst in Coronakrise: Lieber Maler, male mir! | |
| > Die Bundestagsfraktion der Grünen lud zu einer Diskussion über „Kunst in | |
| > der Coronakrise“. Gestritten wurde im Internet. | |
| Bild: Seit der Coronapandemie ruhen bei vielen Künstler*innen die Pinsel | |
| „Hört auf zu malen!“ Als der Maler Jörg Immendorff 1966 seine Zunft | |
| aufforderte, die Kunst für den politischen Kampf aufzugeben, sorgte das | |
| natürlich für Aufsehen. Es folgte ihm aber niemand. | |
| Über 50 Jahre nach dem militanten Slogan könnte es womöglich doch noch zur | |
| Malverweigerung kommen. Weniger, weil der böse Kapitalismus, den Immendorff | |
| damals bekämpfen wollte, nun noch böser geworden wäre. Schuld ist diesmal | |
| ein besonders böses Virus. | |
| Eine Milliarde Euro, die Summe, die die Bundesregierung gerade in einem | |
| Nachtragshaushalt für das „Neustart“-Programm als Hilfe für die von der | |
| Pandemie bedrängte Kulturszene zur Verfügung gestellt hat, sind natürlich | |
| eine fette Summe. | |
| ## Geld für Besuchersteuerung | |
| Museen und Theater können Geld beantragen, um wieder öffnen zu können. Fast | |
| die Hälfte der gewaltigen Summe geht an privatwirtschaftliche | |
| Kulturstätten. Es gibt Geld für Digitalprojekte, Besuchersteuerung, neue | |
| Belüftungssysteme. Selbst dem privaten Hörfunk will die Regierung unter die | |
| Arme greifen. | |
| Die Einzigen, die das Programm nicht, kaum oder höchstens indirekt | |
| erreicht, sind die Künstler*innen, die die Inhalte schaffen sollen, die | |
| das Publikum dann in diesen „neugestarteten“ Häusern genießen sollen. | |
| Dass die Bundeshilfe für die Kultur nicht allein in die Infrastruktur gehen | |
| darf, sondern in allererster Linie an die Künstler*innen gehen müsse, | |
| stand denn auch im Mittelpunkt der Diskussion „Malen nach Zahlen – Kunst in | |
| der Coronakrise“, die die [1][Bundestagsfraktion der Grünen] am | |
| Dienstagabend im Netz veranstaltete. | |
| ## Lobby-Veranstaltung der bildenden Kunst | |
| Die von Erhard Grundl, dem Sprecher der Fraktion für Kulturpolitik, | |
| initiierte Runde verstand sich vor allem als Lobby-Veranstaltung für eine | |
| Unterabteilung der Kunst, die neben Theater, Musik oder Festivals weniger | |
| im Fokus der Debatte steht: die bildende Kunst. | |
| Glaubt man dem Künstler Albert Weis, im Nebenberuf Sprecher des Deutschen | |
| Künstlerbundes, dann sieht die Lage in diesem Sektor „düster“ aus. Vielen | |
| der 65.000 in der Künstlersozialkasse (KSK) registrierten bildenden | |
| Künstler*innen seien Ausstellungen und Aufträge weggebrochen. | |
| Marcel Noack vom Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) | |
| lobte zwar die schnellen Corona-Soforthilfen direkt nach der Krise, | |
| besonders in Berlin. Wer als Soloselbstständige:r danach aber den um die | |
| Vermögensprüfung erleichterten Zugang zur Grundsicherung in Anspruch nehmen | |
| wolle, laufe Gefahr, seinen Künstlerstatus zu verlieren. | |
| ## Grundeinkommen braucht Zeit | |
| Und die „krisenfesten Einkommensmodelle“, gar das oft [2][geforderte | |
| Grundeinkommen], wie es Noack forderte, dürften ihre Zeit brauchen. Der | |
| Fotokünstler sprach sich vehement für verbindliche, an die europäischen | |
| Standards angelehnte Honorarregeln und Ausstellungsvergütungen für | |
| Künstler*innen aus. | |
| Die Malerin Andrea Büttner, Kunstprofessorin in Kassel, brach eine Lanze | |
| für die Lösung uralter Strukturprobleme: den Ankaufsetat der öffentlichen | |
| Museen zu erhöhen, die Atelierförderung auf stabile Füße zu stellen und die | |
| Gewerbemieten zu stabilisieren. | |
| Und bis sich der Bund entschließen sollte, den Mehrwertsteuersatz für | |
| Kunst, die in Galerien verkauft wird, von 19 auf die 7 Prozent zu senken, | |
| die Künstler für Eigenverkäufe nehmen dürfen, wird noch viel Wasser die | |
| Spree hinunterfließen. | |
| Der Berliner Galerist Johann König sähe dadurch die Funktion der Galerien | |
| als „Agenturen“ für die Künstler gestärkt. Die deutschen Galerien seien … | |
| Vertrieb und Verkauf im internationalen Vergleich benachteiligt. König | |
| sprach sich auch dafür aus, jungen Galerist*innen den Zugang zur KSK zu | |
| ermöglichen, ebenso wie Kurator*innen. | |
| ## Regierung als Auftraggeber für Künstler*innen | |
| Keine große Rolle in der Diskussion, außer bei Andrea Büttner, spielte die | |
| Idee, die Regierung selbst solle als Auftraggeber im großen Stil für die | |
| Künstler*innen auftreten. Das berühmte Vorbild: Franklin Delano | |
| Roosevelts „Public Works of Art Project (PWAP)“, eine Art Kulturabteilung | |
| von dessen „New Deal“-Politik der 30er Jahre. | |
| 3.749 Künstler*innen produzierten damals 15.663 Bilder, Drucke und | |
| Skulpturen für Regierungsgebäude. Ein Fotoprojekt dokumentierte die | |
| ländliche Armut. Im April hatte der Kurator Hans Ulrich Obrist die alte | |
| Idee ventiliert. Die Debatte darüber ebbte aber schnell wieder ab und fand | |
| keinen Eingang in das jetzt verabschiedete Hilfspaket. | |
| Zwar sollen die vielen Millionen, die Kulturstaatsministerin Monika | |
| Grütters (CDU) darin über der Kultur ausgeschüttet hat, auch dazu dienen, | |
| „neue Aufträge an freiberuflich Tätige und Soloselbstständige zu vergeben�… | |
| wie es im „Neustart“-Programm heißt. Ob diese Maßnahme am Ende wirklich d… | |
| Löwenanteil ausmachen wird oder doch eher in Plexiglasscheiben für alle | |
| investiert wird, bleibt abzuwarten. | |
| Aber vielleicht wäre die New-Art-Deal-Idee bei späteren Nachbesserungen | |
| doch noch mal eine Überlegung wert. Dann würde der Slogan, den Jörg | |
| Immendorffs Maler-Kumpel Martin Kippenberger einst einer Bilderserie gab, | |
| womöglich doch noch Wirklichkeit: „Lieber Maler, male mir!“ | |
| 8 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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