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# taz.de -- Wiederaufbau in Syrien: Assad nicht belohnen!
> Eine Studie empfiehlt der Bundesregierung, sich am Wiederaufbau Syriens
> unter Diktator Assad zu beteiligen. Es wäre ein fatales Signal.
Bild: Zeichen der Hoffnung in einem zerstörten Land: Puppenspieler vor einer S…
Syrien liegt wortwörtlich in Trümmern. Nicht nur die Städte und die
Infrastruktur sind zerstört, auch die Wirtschaft liegt am Boden. Das
syrische Pfund hat gerade binnen einer Woche gut die Hälfte seines Werts
verloren, die von den USA angekündigten neuen Sanktionen dürften die Lage
im Land noch einmal verschärfen.
Es wirkt logisch, dass die europäischen Staaten einen Beitrag für eine
Stabilisierung und finanzielle [1][Hilfe beim Wiederaufbau] des Landes
leisten sollten. Wäre nicht auch der Zusammenhalt der syrischen
Gesellschaft nachhaltig zerstört. Weiterhin setzen das Assad-Regime und
seine russischen und iranischen Verbündeten eine Politik fort, mit der sie
seit Jahren einen [2][Krieg gegen die eigene Bevölkerung] führen – und die
mittels willfähriger Gesetzgebung die Vertreibung und Ausbeutung zugunsten
der Kriegselite noch zementiert.
Es ist ein fatales Signal, dass eine kürzlich erschienene Studie der
Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) der Bundesregierung als
Strategiewechsel in der Syrien-Politik eine Beteiligung am Wiederaufbau des
syrischen Staats empfiehlt. Denn für die Assad-Diktatur wären westliche
Gelder nichts anderes als eine Belohnung für eine Politik aus Verfolgung,
Folter, Zerstörung und Mord, mit der sie fast die Hälfte der Bewohner*innen
des Landes zur Flucht gezwungen hat.
Die bisherige Syrien-Politik der Bundesregierung sei gescheitert, so das
Kernargument der Politikberater*innen der SWP. Die veränderten
Kräfteverhältnisse vor Ort machten einen politischen Wandel im Land
unrealistisch. Wenn Deutschland und Europa finanzielle Unterstützung an die
Bedingung einer [3][Ablösung des Assad-Regime] knüpften, dann riskiere der
Westen, dass sein ohnehin geringer politischer Einfluss weiter erodiere.
## Zweckentfremdete Hilfsmittel
Dabei lehren schon die Erfahrungen der letzten Jahre in der humanitären
Hilfe, dass Geldflüsse über das Assad-Regime eher das Gegenteil von
positivem Einfluss erreichen. So wurden Hilfsgelder systematisch vom
syrischen Staat zweckentfremdet und mutmaßlich für Kriegsverbrechen
eingesetzt, wie Human Rights Watch recherchiert hat.
Schaut man sich die Masterpläne für den Wiederaufbau des Regimes an, fällt
auf: Es geht nicht darum, den Vertriebenen und Ausgebombten die Rückkehr zu
ermöglichen. Dreieinhalb Jahre nach der Rückeroberung durch
Regierungstruppen müssen Rückkehrer in Ost-Aleppo weiter in Ruinen ohne
Strom- und Wasseranschluss hausen. Gleichzeitig existieren aberwitzige
Bebauungspläne für Luxuswohnviertel im Stil von Dubai.
Am SWP-Papier offenbart sich ein grundlegendes Manko der Politikberatung.
Statt die strategische Frage zu beantworten, wie wir überhaupt zu einer
aktiven Syrien-Politik kommen können, die Kriegsverbrechen und humanitäre
Katastrophe nicht nur verwaltet, sondern darauf drängt, diese nachhaltig zu
beenden, gehen die Berater*innen die untergeordnete taktische Frage an, wie
die deutsche und europäische Politik in Syrien einen Fuß in der Tür
behalten kann. Denn knapp zehn Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings
fehlt Europa nach wie vor eine Außenpolitik mit politischem
Gestaltungswillen im Sinne von global gültigen Menschenrechten.
## Kurdische Selbstverwaltung stärken
Um hier im Fall Syrien nicht direkt mit dem großen Wurf beginnen zu müssen,
könnte die Bundesregierung ja einmal einen Anfang wagen: Statt syrische
Autobahnen zu sanieren, über die dann die Panzer des Assad-Militärs rollen,
könnte Deutschland versuchen, die kurdische Selbstverwaltung in
Nordost-Syrien zu stabilisieren. Noch gibt es Chancen, die demokratischen
Ansätze und die Idee einer multiethnischen, multikonfessionellen
Gesellschaft zu erhalten, bei aller berechtigten Kritik an der
dominierenden PYD. Als Teil der Anti-IS-Koalition haben die Kurd*innen im
Kampf gegen den „Islamischen Staat“ westliche Werte verteidigt und dafür
einen hohen Preis bezahlt. Weil die europäischen Regierungen den Konflikt
mit der Türkei scheuen, riskieren sie, dass noch die letzte halbwegs
stabile Region Syriens zwischen türkischer Militärintervention und
Verhandlungen mit dem Assad-Regime zerrieben wird.
Oder wie wäre es damit, bei Russland und dem Assad-Regime ernsthaft Druck
dafür zu machen, dass humanitäre Hilfe wirklich bei den am schwersten
Betroffenen ankommt? Im Januar hatte Russland mit einem Veto den Zugang von
UN-Organisationen in oppositionelle Gebiete Syriens deutlich reduziert.
Mehr als eine Million Menschen im Nordosten des Landes können jetzt nur
noch via Damaskus versorgt werden, was der politischen Einflussnahme des
Regimes Tür und Tor öffnet. Mit entsprechendem diplomatischen Druck sollte
es doch möglich sein, Cross-Border-Hilfslieferungen auch gegen den Willen
Russlands durchzuführen, zur Not im Rahmen der Anti-IS-Koalition.
Dass die Bundesrepublik unter Angela Merkel über politisches Gewicht
verfügt und dieses auch einsetzen kann, zeigte der Libyen-Gipfel Anfang des
Jahres. Den Krieg hat er nicht beendet. Trotzdem galt es als Durchbruch,
dass sich alle Seiten überhaupt an einen Tisch gesetzt haben – und die
Bundesregierung hat wenigstens den Versuch unternommen, ihr diplomatisches
Gewicht für eine politische Lösung zu nutzen.
Sollte der Konflikt in Syrien einmal Chefinnensache werden, könnte das
Angebot von Wiederaufbauhilfen ein Baustein in einer Strategie für eine
friedliche und nachhaltige Lösung des Syrien-Konflikts sein. Aber solange
der deutschen und der europäischen Außenpolitik dieser politische Wille
fehlt, sollte die Politikberatung die Finger davon lassen,
Wiederaufbauhilfen zu empfehlen. Zu groß ist die Gefahr, dass sie damit
letztlich zur Stabilisierung einer der brutalsten Diktaturen der Welt
beitragen, statt Syrer*innen ein Leben in Freiheit und Sicherheit zu
ermöglichen.
15 Jun 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Christin Lüttich
Ferdinand Dürr
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