| # taz.de -- Dürre im Harz: Der scheintote Wald | |
| > Stürme, Trockenheit, fehlender Schnee, zwei heiße Sommer in Folge. All | |
| > das lässt die Fichten im Harz sterben. Aber: Das ist nicht das Ende des | |
| > Waldes. | |
| Bild: Ödes Chaos aus Baumstümpfen: Der Fichte im Harz geht es nicht gut | |
| Harz taz | Dieses Wettrennen ist verloren. [1][Der Wald hatte keine | |
| Chance]. Als Zielgeraden ziehen sich breite, graubraune Schneisen | |
| verdorrter Fichtenwipfel bis zum Horizont. Statt sich auf seinem Sieg | |
| auszuruhen, [2][frisst sich der Borkenkäfer aber schon durch die nächsten | |
| Baumrinden]. | |
| „Auf den ersten Blick sieht das schrecklich aus.“ Friedhart Knolle kneift | |
| die Augen zusammen und blinzelt über die sanften Hügel bis hoch zur Kuppe | |
| des Brocken, dem höchsten Punkt des Harzes. „Wir haben natürlich versucht, | |
| den Borkenkäfer in diesem Komplex aufzuhalten, aber wir haben es nicht | |
| geschafft. Es wurde zu schnell zu warm.“ | |
| Mit „wir“ meint Knolle die Verantwortlichen des [3][Nationalparks Harz], zu | |
| denen der Goslaer als Gründungsmitglied und jetzt Pressesprecher zählt. | |
| „In der Kernzone des Nationalparks greifen wir Menschen nicht mehr ein, das | |
| abgestorbene Holz bleibt, wo es ist.“ | |
| „Alles muss raus“ ist dagegen die Devise der [4][niedersächsischen | |
| Landesforsten]. Michael Rudolph steht auf einer kahlgeschlagenen Fläche, | |
| hinter ihm verläuft die Grenze zum Nationalpark. Vor ihm erstreckt sich ein | |
| ödes Chaos aus Baumstümpfen, was sich am Hang gegenüber fortsetzt. Er | |
| deutet auf die kahlen Flächen: „Wir haben immer gedacht, ein 500 Meter | |
| breiter Pufferstreifen zum Nationalpark reicht aus, damit der Borkenkäfer | |
| den Wirtschaftswald nicht angreifen kann. Aber das reicht nicht aus.“ | |
| ## Sie nennen das Phänomen „Klimaschlag“ | |
| An den Rändern der Schotterwege türmen sich die Stämme meterhoch. Die | |
| Forstmaschinen können gar nicht so schnell schneiden, wie die Käfer | |
| ausschwärmen. „Bis zu 200.000 Nachkommen kann ein einziges Weibchen pro | |
| Jahr unter guten Voraussetzungen hervorbringen“, sagt Förster Rudolph. | |
| Und die Bedingungen für das verfressene, kleine, braun glänzende Insekt | |
| waren nie günstiger. Die Harzer Fichten sind geschwächt durch [5][Stürme | |
| wie Orkan „Sabine“ Anfang Februar] oder „Friederike“ im Januar 2018. Hi… | |
| kommt die Trockenheit, kaum Niederschläge, fehlender Schnee im Winter, zwei | |
| heiße Sommer infolge. Der Regen im Februar konnte die Grundwasserspeicher | |
| nicht ausreichend füllen. | |
| Klimaforscher Mojib Latif vom [6][Helmholtz-Zentrum] in Kiel | |
| prognostizierte Deutschland kürzlich die nächste Dürre für 2020. Vom | |
| Klimawandel sprechen Naturschützer Knolle und Förster Rudolph nicht mehr, | |
| sie nennen das Phänomen „Klimaschlag“ und „Klimakrise“. | |
| ## Bäume im Trockenstress | |
| Und nicht nur die Fichten sind im Trockenstress. Legt man den Kopf in den | |
| Nacken, sieht auch ein Laie hier und da lichte Buchenkronen. Laubfreie Äste | |
| ragen hervor, als würden sie Hilfe heranwinken wollen. „Den jungen Bäumen | |
| geht es gut, aber die älteren leiden unter der Trockenheit, sie fallen den | |
| Stürmen zum Opfer“, sagt Bernd Gutjahr. | |
| Sonst für die Fütterungen im Luchsgehege zuständig war die vergangenen | |
| Wochen damit beschäftigt, die alten Buchen zu entfernen, die während des | |
| Februarsturms auf das Gehege gefallen waren. „Wir haben sicherheitshalber | |
| noch ein paar mehr gefällt. Schade um die schönen, alten Bäume.“ | |
| Michael Rudolph schält ein Stück Rinde von einem gefällten Baumstamm, auf | |
| der Innenseite deutet er auf die fächerförmigen Gänge, die der Borkenkäfer | |
| hineingefräst hat. „Keiner meiner älteren Kollegen hat so etwas schon mal | |
| erlebt.“ | |
| Rund zehn Kilometer weiter nordöstlich lehnt Friedhart Knolle am Geländer | |
| auf dem Aussichtspunkt Rabenklippe: „In den 90er-Jahren waren viele | |
| Forstwissenschaftler und Politiker der Meinung, der Klimawandel käme | |
| schleichend, das würde man gar nicht wahrnehmen.“ Der 63-Jährige lacht | |
| zynisch auf. „Jetzt kommt die Krise in Turbogeschwindigkeit und plötzlich | |
| merken wir, wir haben 40 Jahre verpennt.“ | |
| Zwei Frauen in Funktionskleidung bemerken Apfel und Banane verzehrend: „Der | |
| Ausblick von der Rabenklippe war schon mal schöner.“ Harmlos im Gegensatz | |
| zu dem, was sonst an Kritik auf Friedhart Knolle niederprasselt. „Die Leute | |
| sind vom Anblick des Waldes entsetzt. Wir vom Nationalpark stehen am | |
| Pranger: „Warum tut ihr nichts?“, heißt es. Oder: „Ihr lasst den Wald | |
| sterben.“ | |
| ## „Warum hackt ihr denn all die Bäume ab?“ | |
| Ein pensionierter Forstoberrat erstattete im August 2019 [7][Strafanzeige | |
| wegen Untreue gegen den Nationalpark], der Vorwurf: „großflächige und | |
| vorsätzliche Waldzerstörung“. Die Staatsanwaltschaft in Halberstadt stellte | |
| die Ermittlungen ein. Es liege kein Anhaltspunkt für eine Straftat vor. | |
| Nationalparks seien nun einmal „Naturschutzgebiete, in die nicht | |
| eingegriffen werden darf“. | |
| Auch Forstsprecher Michael Rudolph ist in Erklärungsnot. „Die Leute fragen | |
| uns immer wieder: Warum hackt ihr denn all die Bäume ab?“ Abhacken, | |
| stehenlassen, Kahlschlag, undurchdringliche Wildnis. Dem erholungssüchtigen | |
| Harzbesucher scheint nichts recht. Und Friedhart Knolle weiß, warum: „Das | |
| Bild vom Wald, welches wir in unseren Köpfen haben, ist völlig überholt.“ | |
| Das Idealbild vom Harz: Sonnenstrahl durchbricht sattgrüne Fichtenkronen | |
| und wirft Lichtkegel auf den mit Moos bewachsenen Boden, im Hintergrund | |
| steht ein röhrender Hirsch. „So etwas wird es nicht mehr geben. Das, was | |
| wir jetzt hier sehen, ist echte Natur.“ | |
| Er kämpft sich durch ein paar Brombeerbüsche und hält zwischen moderndem | |
| Totholz und mannshohen, maigrünen Buchen und Ebereschen. „Hier regiert die | |
| Natur. Sie entscheidet, wo es hingeht, und für manche Menschen ist das | |
| schwer zu akzeptieren.“ | |
| ## Anderer Weg in den Zukunftswald | |
| „Wir müssen handeln“, sagt Michael Rudolph und meint damit den | |
| niedersächsischen Forstbetrieb. „Wir können nicht sagen: Die Natur wird’s | |
| schon richten. Wir haben den Auftrag, unseren Nachfahren einen intakten | |
| Wirtschaftswald zu übergeben.“ Rudolph hat den Forstweg verlassen und | |
| stapft quer durchs Unterholz. „Hier hätten wir so einen Zukunftswald, wie | |
| er in ein, zwei Generationen aussehen könnte.“ | |
| Neben dem 55-Jährigen ragen einige stattliche Lärchen, Douglasien und | |
| Buchen in den Himmel, auf Augenhöhe stehen junge Eschen, Buchen. Was nach | |
| Zufall aussieht, ist gezielt gepflanzt und durchdacht gemischt. „Wir | |
| Forstleute werden oft gefragt, wie wir den Wald zukunftssicher machen. Ich | |
| kann nicht in eine Glaskugel schauen. Dementsprechend kann man auch nicht | |
| sagen, welche Baumart in Zukunft im Harz besteht. Keine Art ist ohne | |
| Risiko.“ | |
| Einen ganz anderen Weg in den Zukunftswald schlägt Friedhart Knolle ein, er | |
| führt vorbei an der Allee der toten Bäume. So nennen die Harzbesucher die | |
| grauen, abgebrochenen Baumstümpfe, welche die Bundesstraße 4 zwischen | |
| Braunlage und Bad Harzburg säumen. Aber: „Wenn man genauer hinsieht, sind | |
| die toten Bäume voller Leben.“ | |
| Der studierte Geologe Knolle kommt jetzt richtig in Fahrt. Er zerbröselt | |
| feuchtes Totholz in den Fingern und fördert so Insekten zutage. Streicht | |
| kleine Fichten, die an alten Stümpfen hervorsprießen, lobt das Moos. „Die | |
| Artenvielfalt auf diesen Gebieten ist enorm.“ In alten Spechtlöchern finden | |
| Fledermäuse Unterschlupf oder nisten Käuze. | |
| ## Kahle Fichten schrecken noch nicht ab | |
| Knolle führt gern Journalisten, Schulklassen, Wandertouristen in diese | |
| vermeintlich toten Wälder. Kahle Fichten schrecken bisher noch nicht ab. | |
| 2,5 Millionen Besucher tummeln sich jedes Jahr allein auf der Brockenkuppe. | |
| Rund 3,86 Millionen Besucher zählte der [8][Harzer Tourismusverband] in der | |
| ersten Jahreshälfte 2019, Tendenz steigend. | |
| Wäre nicht Corona, stünden Autos aus Dänemark, den Niederlanden, Hamburg, | |
| Hannover und Berlin auf den Parkplätzen. „Wir sind neben dem Wattenmeer der | |
| beliebteste Nationalpark Norddeutschlands“, weiß Friedhart Knolle. „Das ist | |
| eine Riesenchance, aber auch ein Riesenproblem.“ Müll, freilaufende Hunde, | |
| Verkehr und – Waldbrände. | |
| Michael Rudolph sagt: „Es gab bereits über ein Dutzend Brandeinsätze in | |
| diesem Jahr.“ Durch Corona kämen vor allem an den Wochenenden viele | |
| Tagesbesucher, die von Verhaltensregeln im Wald keine Ahnung haben. „Die | |
| schmeißen Kippen weg, bringen Einweggrille mit, biwaken und machen | |
| Lagerfeuer.“ | |
| Der Harz umfasst eine Fläche von 2.226 Quadratkilometern. Seit April macht | |
| der Landesfeuerwehrverband Niedersachsen Kontrollflüge über die Region. Von | |
| oben sieht man Rauchschwaden besser, aber auch das Ausmaß des | |
| Borkenkäferfraßes. | |
| ## Der Forstwirtschaft geht es schlecht | |
| Der Forstwirtschaft geht es mindestens genauso schlecht wie den Fichten. | |
| Die ist neben dem Tourismus ein wesentlicher Arbeitgeber für die Menschen | |
| in der Region „Die Bilanzen sinken. Wir leben seit zwei Jahren | |
| weitestgehend von unseren Reserven. In normalen Jahren können wir durch | |
| Holzverkauf etwas auf die Seite tun.“ Aber der gesamte europäische | |
| Holzmarkt ist zusammengebrochen. In guten Jahren warf die Harzer Fichte | |
| rund 90 Euro pro Kubikmeter ab, jetzt sind es zwischen 20 und 30 Euro. | |
| Rudolph ist kein Pessimist, aber er kann rechnen: „Wenn es das dritte Jahr | |
| in Folge trocken wird, sind die Rücklagen aufgebraucht. Das bedeutet, wir | |
| können die riesige Aufforstung von 10.000 Hektar, die jetzt nötig wäre, | |
| nicht aus eigener Kraft finanzieren.“ Einspringen müssen der Bund und das | |
| Land Niedersachsen. | |
| ## Ohne Regen ist Aufforsten schwierig | |
| Aber das Geld ist nicht sicher angelegt. Michael Rudolph stoppt seinen | |
| Geländewagen. Er steigt aus, schreitet los, alle paar Meter hockt er sich | |
| hin. Vor ihm stehen rund 30 Zentimeter hohe Pflänzchen. „Das ist eine | |
| trockengeschädigte Douglasie.“ Sieht man genauer hin, haben viele der neu | |
| gepflanzten Bäumchen bereits braune Nadeln. Fällt kein Regen, wird es | |
| schwierig mit dem Aufforsten. Auf dem Weg zurück zum Auto klopft sich | |
| Rudolph Pollenstaub von den Hosenbeinen. | |
| Der gelbe Blütenstaub ist das Zeichen eines letzten Aufbäumens. „Die Fichte | |
| bildet in den letzten Jahren sehr viele Pollen, das hat vermutlich mit dem | |
| Trockenstress und Wassermangel zu tun. Die Bäume merken, dass es an ihr | |
| Ende geht, sie stecken ihre Energie noch mal in den Nachwuchs und | |
| produzieren Pollen. Das schwächt den Baum zusätzlich und das macht es für | |
| den Borkenkäfer noch leichter.“ Es sieht ganz danach aus, als ob der Käfer | |
| auch die nächsten Wettrennen für sich entscheidet. | |
| 24 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Juliane Preiß | |
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