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# taz.de -- Aufforstung in Deutschland: Der Natur dienen
> Drei Millionen Bäume haben Freiwillige in den letzten 30 Jahren für die
> NGO Bergwaldprojekt gepflanzt. Unser Autor war im Spätsommer dabei.
Bild: Eine junge Kiefer wird ein eingepflanzt
So düster und dramatisch wie in Werner Herzogs Film „Aguirre, der Zorn
Gottes“ ist es nicht. Dort quälen sich Menschen, einer hinter dem anderen,
einen Pfad in den Anden hinauf, schweres Gepäck auf den Rücken und
Hellebarden in den Händen. Dazu die Stimme Klaus Kinskis, der ein paar
düstere Worte aus dem Off sagt. Endzeitstimmung, Weltuntergang.
In den Bayerischen Alpen dagegen wird gelacht, als 20 Freiwillige einen
Pfad des Ettaler Bergs hochstapfen, um dorthin zu gelangen, wo sie ihre
Baumsetzlinge pflanzen sollen. Es ist der letzte Tag [1][einer Projektwoche
des „Bergwaldprojekts“].
Der Pfad ist rutschig vom Regen und die Kiefern und Tannen lasten schwer
auf den Rücken der schweißgebadeten Träger; der Rest der Gruppe schleppt
Rucksäcke mit Proviant, Kleidung und die unersetzlichen Wiedehopfhauen. Die
braucht man fürs Setzen der Bäume.
Oben angekommen, verstauen die Leute – und ich bin einer von ihnen – ihre
Habseligkeiten unter Planen und machen sich an die Arbeit. Blaue und
orangefarbene Fähnchen markieren die Stellen an den steilen, dicht mit Gras
bewachsenen Hängen, wo die Tannen und Kiefern eingepflanzt werden sollen.
Gearbeitet wird in Teams.
Mit der Wiedehopfhaue, die Schaufel und Spaten in einem ist, wird ein Loch
– die Berme – gegraben und der Baumsetzling hineingestellt. Schon eine
Woche machen wir das so. Mittlerweile mit Routine. Sechs Stunden jeden Tag.
Mehr als 2.000 Bäume werden wir am Ende der Woche gepflanzt haben.
Die Anstrengung der vergangenen fünf Tage ist auf unseren Gesichtern zu
erkennen. Plötzlich aber bricht die Sonne durch die Wolkendecke und alle
halten einen Moment inne und atmen den Geruch ein von Erde und Gras, der
über dem Hang liegt. Nur noch ein paar Stunden, dann ist es vorbei. Leider.
Organisiert wird die Aktion vom Bergwaldprojekt, einer NGO, die sich seit
1987 dem Naturschutz widmet. Gegründet wurde sie von dem
Greenpeace-Aktivisten Wolfgang Lohbeck und dem Schweizer Förster Renato
Ruf; wenige Jahre später kam das Projekt auch nach Deutschland.
Ziel der NGO ist der Erhalt und die Pflege des Waldes, vor allem des
Bergwaldes und der Kulturlandschaften. [2][Bäume pflanzen], Steige bauen,
Moore vernässen. Ziel ist aber auch, Menschen mit unterschiedlichen
Lebensstilen und Berufen – jung, alt, naiv, skeptisch – zusammenzuführen,
damit sie gemeinsam etwas schaffen und ins Gespräch kommen.
Denn da ist bei vielen dieser Wunsch, der Zerstörung des Planeten
entgegenzuwirken. Dass das Bergwaldprojekt immer größer wird, ist ein
Zeichen. Ein noch deutlicheres Zeichen aber sind die zunehmend heftiger
werdenden Proteste gegen die Abholzung von Wäldern – auch in Deutschland,
wie etwa im Hambacher oder Dannenröder Forst. Natur ist mehr wert als
Braunkohle und Autobahnen. Und ein 300 Jahre alter Wald ist mehr wert als
jung gepflanzte Bäumchen. Aber die Setzlinge sind unser Anfang.
Etwa 120 Projektwochen werden im Jahr veranstaltet; seit 1991 wurden 3
Millionen Bäume gepflanzt. Das ist auch notwendig, denn 285.000 Hektar,
eine Fläche größer als das Saarland, müssten allein in Deutschland
wiederaufgeforstet werden, um die Schäden der vergangenen Jahre
wettzumachen. [3][Der Wald ist wichtig für uns und den Planeten]. Als
Luftfilter und Kohlenstoffspeicher, Erholungsort und Baumateriallieferant,
als Schutz gegen Erosion, Hochwasser, Trockenheit, Steinschlag, Lawinen.
Als sich die Freiwilligen am ersten Tag im Spätsommer in der großen
Forsthütte einfinden, sind alle recht nervös. Wir kennen uns nicht, wissen
nicht, was zu erwarten ist. Wegen Corona müssen wir ein minutiös
vorgeschriebenes Hygienekonzept verfolgen.
Am ersten Tag ist Vorstellrunde. Alle sitzen draußen vor der Hütte auf
Bierbänken. Hallo, ich bin der Dirk, hallo, ich bin die Tamaryin, ich bin
die Birte, ich der Stefan. Der eine ist Logistiker, der andere arbeitet für
TÜV-Süd, die eine ist Molekularbiologin, die andere
Erziehungswissenschaftlerin in der Psychiatrie. Wie hieß noch mal der
Logistiker? Die Jüngste ist 24 und studiert Sonderpädagogik, der Älteste
ist 60 und, wie sich bald herausstellt, äußerst zäh.
In wenigen Tagen wird es sich anfühlen, als ob wir uns schon lange kennen.
Das ist das Besondere an diesen Projektwochen, sie öffnen Tore, die sonst
verschlossen blieben.
Sebastian Hiekisch, 33, ist Leiter dieses Bergwaldprojekts. Er hat
Forstwirtschaft studiert und in den vergangenen 13 Jahren, die er fürs
Bergwaldprojekt arbeitet, schon einiges erlebt. „Mein Chef ist Mathematiker
und hat’s ausgerechnet“, sagt er. „Wenn man alle Arbeiten, die wir machen,
zusammenrechnet, dann sind wir Deutschlands größtes Forstunternehmen.“
Die Grundidee sei dabei von Anfang an gewesen, dass jeder mitmachen könne.
Die einen wollen sich um die Wälder kümmern, andere suchen das Abenteuer.
Eines sei aber immer gewiss, sagt Hiekisch, es dauere nur ein paar Tage,
„dann hat man das Gefühl, man kennt die Leute schon ewig“. Viele kommen
wieder.
Neben den gewöhnlichen Naturschutzprojekten macht das Bergwaldprojekt auch
integrative Projekte mit Behinderten oder Flüchtlingen. Firmen wie
beispielsweise die Deutsche Bahn oder Siemens zahlen sogar dafür, dass sie
bei einer Projektwoche pflanzen dürfen. Aber nicht jede Firma dürfe
mitmachen, sagt Hiekisch. Private Waldbesitzer würden meist abgelehnt und
auch Firmen aus der Ölindustrie, die im Verdacht stünden, nur ihr Image
aufpolieren zu wollen.
Aber warum braucht es überhaupt so ein Bergwaldprojekt, wieso können nicht
Forstbetriebe diese Arbeit machen? Die Antwort auf diese Frage liegt in
jener Gruppendynamik, die Freiwillige in nur einer Woche zusammenschweißt.
Alle sind sofort per Du, Hierarchien gibt es keine. Nach dem ersten
gemeinsamen Arbeitstag identifizieren sich alle rasch mit der Sache.
Die Arbeit ist anstrengend, aber man ist den ganzen Tag im Wald, sieht, was
man getan hat. Vor und nach der Arbeit muss das Geschirr gespült und
abgetrocknet werden, Streit darüber, wer was macht, gibt es keinen. Gekocht
wird von einem Berliner Pärchen – vegetarisch und vegan.
Diese Harmonie, bestätigt Hiekisch, erlebe er sehr oft bei einem
Bergwaldprojekt. Mit der Harmonie geht meist eine hohe Motivation einher.
Darum arbeiten die Forstbetriebe auch gerne mit dem Bergwaldprojekt
zusammen. Die lokalen Forstbetriebe, die das Bergwaldprojekt für ihre
Pflanzungen bezahlen, kostet das genauso viel, wie es sie kosten würde,
eine Gruppe professioneller Baumarbeiter aus Osteuropa einzustellen.
Aber, so die Erfahrung der NGO, die Freiwilligen arbeiteten meist viel
akkurater und mit mehr Liebe. Auch müssen die Freiwilligen nicht ihren
Lebensunterhalt mit der Arbeit verdienen. Die Profis dagegen würden oft
nachlässig pflanzen, weil es ihnen mehr ums Geld als um die Sache gehe. Mit
einer geschätzten Quote von 90 Prozent der Bäume, die auch nach der
Pflanzung heranwachsen, liegt das Bergwaldprojekt weit über dem
Durchschnitt einer als erfolgreich geltenden Pflanzung.
Die Woche ist vorbei, gerade jetzt, wo man den Rhythmus und die Leute
kennt. Das frühe Aufstehen und Frühstücken, das Bäumepflanzen bis in den
späten Nachmittag; die gemeinsamen Mahlzeiten am Berg und am Abendtisch, wo
es auf einmal lebendiger zugeht.
Und spät abends, wenn die meisten bereits im Bett sind, sitzt der eine oder
andere noch bei einem Bier im Freien vor der Hütte und lässt sich vom
Rauschen des Flusses tragen. Auch ich sitze am letzten Abend da. Ich
lausche dem Wasser.
Und ich entscheide mich, im nächsten Jahr wiederzukommen.
22 Nov 2020
## LINKS
[1] https://www.bergwaldprojekt.de
[2] /Achtung-ein-Corona-freier-Text/!5671555
[3] /Fruehling-im-deutschen-Wald/!5669116
## AUTOREN
Boris Messing
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