| # taz.de -- Klimaschutz in Europa: EU-Kommission geht ans Klimaziel | |
| > Der Staatenbund soll nach neuem Plan bis 2030 mindestens 55 Prozent | |
| > seiner Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 einsparen. Reicht das? | |
| Bild: Klimaprotest in Warschau: Polens Kohlekraftwerke gehören zu den größte… | |
| In Brüssel ist es ein offenes Geheimnis: Die EU-Kommission will das | |
| europäische Ziel für den Klimaschutz bis 2030 hochschrauben. Statt wie | |
| bisher um 40 Prozent soll der CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 55 Prozent | |
| reduziert werden, um zur Mitte des Jahrhunderts [1][netto bei null zu | |
| liegen]. | |
| Dies will Behördenchefin Ursula von der Leyen am Mittwoch in ihrer Rede zur | |
| „Lage der Union“ offiziell ankündigen. Das geht aus dem neuen, noch nicht | |
| veröffentlichten Klimaplan der EU-Kommission hervor, der der taz vorliegt. | |
| Laut dem 23-seitigen Entwurf setzt die EU-Kommission darauf, dass das | |
| europäische Emissionshandelssystem ausgeweitet und nachgeschärft wird. Das | |
| System soll auch auf Gebäude und den Straßenverkehr angewendet werden. | |
| Außerdem will die EU-Kommission künftig die Landnutzung bei der Erfüllung | |
| des Klimaschutzziels berücksichtigen. Die Aufforstung von Wäldern oder der | |
| Verzicht auf die weitere Versiegelung der Böden durch neue Bauten soll rund | |
| 5 Prozent der Einsparungen bei den CO2-Emissionen bringen. Beim alten Ziel | |
| war die Landnutzung nicht mitgerechnet worden. Das neue Ziel entspricht | |
| also tatsächlich eher einer Verschärfung um 10 statt um 15 Prozentpunkte. | |
| ## Grüner Europaabgeordneter: „Wir setzen neue Standards“ | |
| Im Europaparlament kommen die Pläne gut an, einige Abgeordnete fordern aber | |
| noch mehr klimapolitischen Ehrgeiz. Der Umweltausschuss sprach sich am | |
| vergangenen Freitag nicht für 55, sondern für 60 Prozent Reduzierung der | |
| Treibhausgase bis 2030 aus. „Mit diesem Klimagesetz setzen wir neue | |
| Standards beim Klimaschutz für den größten Wirtschaftsraum der Welt“, | |
| freute sich der grüne Abgeordnete Michael Bloss. | |
| Bei dem noch höheren Ziel machen jedoch nicht alle mit. Der eher | |
| wirtschaftsnahe Industrieausschuss hatte zuvor für 55 Prozent gestimmt. Der | |
| CDU-Abgeordnete Markus Pieper schimpfte nach dem knappen Votum über | |
| „unrealistische“ Ziele vor dem Hintergrund der Coronakrise und beklagte | |
| Ungereimtheiten bei der Auszählung der Stimmen. Im Oktober will das | |
| Europaparlament als Ganzes seine Position festlegen. Die Rede von der | |
| Leyens am Mittwoch ist ein wichtiger Schritt – doch am Ziel ist die EU noch | |
| lange nicht. | |
| Klimaaktivistin [2][Luisa Neubauer von Fridays for Future] kritisierte, der | |
| Vorstoß der EU-Kommission sei nicht ausreichend. „Im Kern wirft dieser | |
| Vorschlag die Frage auf, ob die Kommission das Paris-Abkommen überhaupt | |
| einhalten möchte“, sagte sie. Von der Leyens Plan sei nicht kompatibel mit | |
| dem Klimavertrag. | |
| Stimmt das? Aufgrund dessen, wie das [3][Paris-Abkommen] gestaltet ist, ist | |
| das gar nicht so einfach zu sagen. Das Paris-Abkommen von 2015 sieht in | |
| erster Linie vor, die Erderhitzung bei „deutlich unter zwei Grad“ gegenüber | |
| vorindustriellen Zeiten zu stoppen. Es erwähnt aber auch, dass man | |
| Anstrengungen unternehmen will, um möglichst bei 1,5 Grad zu bleiben. | |
| Im Auftrag der Staaten des Paris-Abkommens hat der Weltklimarat IPCC in | |
| einem Sonderbericht herausgearbeitet, wie viel das halbe Grad Unterschied | |
| zwischen den beiden Zielen eigentlich ausmacht. Das Ergebnis: Schon | |
| jenseits der 1,5 Grad droht die Aktivierung sogenannter Kippelemente im | |
| Erdsystem, womit der Klimawandel sich selbst anheizen würde. | |
| Völkerrechtlich hat das 1,5-Grad-Ziel das schwächere Hauptziel damit nicht | |
| abgelöst. Es ist aber in der Klimapolitik – und auch in den internationalen | |
| Klimaverhandlungen – wichtiger geworden. Der Sinn und Zweck des | |
| Paris-Abkommens ist es schließlich, einen gefährlichen Klimawandel zu | |
| verhindern. Und der könnte bei zwei Grad schon ins Haus stehen. | |
| Wenn die Welt die Treibhausgasemissionen bis Ende 2030 halbiert und dann | |
| bis zum Jahr 2050 auf netto null absenkt, hat sie laut Weltklimarat eine | |
| Chance von 50 Prozent, die Klimaerhitzung bei 1,5 Grad zu halten. Damit | |
| wäre das von der EU-Kommission vorgeschlagene Ziel – sofern es eingehalten | |
| wird – im Einklang. | |
| Die Münzwurfwahrscheinlichkeit aber ist natürlich immer noch ein Risiko. | |
| Zudem deuten neuere Studien daraufhin, dass der Weltklimarat das globale | |
| CO2-Budget überschätzt hat. Damit wäre die EU-Klimaneutralität im Jahr 2050 | |
| selbst bei einer Fifty-fifty-Chance auf das 1,5-Grad-Ziel zu spät. Eine | |
| Forscher um den Klimawissenschaftler Joeri Rogelj von der britischen | |
| Universität Imperial College waren im vergangenen Jahr zu dem Schluss | |
| gekommen, dass die Welt dafür bis Ende 2038 klimaneutral sein müsste. | |
| Strittig ist außerdem, wie das verbleibende CO2-Budget unter den Staaten | |
| aufgeteilt wird. Der Klimavertrag macht nur vage Aussagen dazu. | |
| Manche Staaten sollen etwas mehr Zeit für die Dekarbonisierung bekommen als | |
| andere, wenn sie etwa auch gegen Armut und Ernährungsunsicherheit zu | |
| kämpfen haben. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass andere Staaten früher | |
| bei null sein müssen. Die reiche EU zählt zur letzteren Gruppe. | |
| 15 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
| Susanne Schwarz | |
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