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# taz.de -- Neustart der Bundesliga: Lob der Unvernunft
> Man kann zugleich für und gegen den Bundesliganeustart sein. Der Mensch
> lebt ja schließlich nicht im Kopf allein.
Bild: Da war die Welt noch in Ordnung: ungeduldige Dortmund-Fans am 1. Spieltag…
Die Bundesliga hat als eine der letzten Ligen den Betrieb eingestellt und
fängt als eine der ersten wieder an. Neven Subotic, der wachen Verstand und
klug dosierte Moral auf unprätentiöse Art verbindet, findet das zu Recht
kritikwürdig. Die Liga und die Klubbosse haben mit es mit geschicktem
Lobbyismus geschafft, alle Einwände aus dem Weg zu räumen. Was Spieler wie
Subotic dazu sagen, wurde am Rande zur Kenntnis genommen.
[1][Es gibt viele Gründe, warum man die Saison beenden sollte.] Spieler
können sich trotz Hygiene und Tests anstecken. Das ist nicht schön und
vielleicht auch ungünstig für fairen Wettbewerb. Ist denn ausgeschlossen,
dass – sagen wir mal – Paderborn kurz vor Saisonende und Abstieg
feststellen muss, dass ein paar Kicker positiv sind? Und dann? Und wie
sollen Kinder begreifen, dass sie auf dem Schulhof dem Regime des Social
Distancing gehorchen müssen, aber in den Stadien erwachsene Männer im Knäul
aufeinanderliegen, sich umarmen, foulen, schubsen, und rangeln? Dieser
Neustart zeigt, dass Kicker eine seltsame Mixtur von Adel und Sklaven sind,
ausgestattet mit dem Vorrecht der Berufsausübung und des körperlichen
Kontakts, das gleichzeitig Zwang ist.
Es gab in jeder zweiten Zeitung, Talksshow und Website ein Pro und Contra
zum Bundesligastart. Bei dieser Diskussion ist es so wie beim Fußball
überhaupt: Es ist eine basisdemokratische Angelegenheit, bei der es nur
Experten gibt. Die Befürworter sind oft kein schöner Anblick. Es sind
Männer, die aussehen, als würden sie 100.000-Euro-Autos fahren, fragwürdige
Parteien wählen und Schlimmeres. Es sind Männer, die in Fußballtalkshows
Sätze sagen wie: Machen wir uns nichts vor. Fußball ist ein Geschäft. Es
geht ums Geld.
Nein, möchte man da rufen: Es geht nicht um Geld. Geld ist banal, nur
Mittel zum Zweck. Der Zweck ist Schönheit. Fußball ist schön. Fußball
verbindet uns mit unserer Kindheit. Fußball ist ein Medium, das jenseits
von Sprache, Ethnie und Klasse Kontakte stiftet. Die Bundesliga ist kein
Wirtschaftsunternehmen, ihr Holzköpfe. Sie ist ein Tempel. Ein Ensemble von
Ritualen und Vertrautheiten, die die Welt bewohnbar erscheinen lässt und
rhythmisiert wie die Jahreszeiten. Eine Saison einfach in der Mitte zu
beenden, wäre wie ein Jahr ohne Herbst.
## Unvermeidliche Spannung
Das klingt etwas unvernünftig und ist es auch. Es gibt zwischen Vernunft
und Fußball ja eine gewisse Spannung. So wenig rational es ist, in einer
Kirche ein höheres Wesen zu verehren, so wenig ist es rational, Fan zu
sein.
Gegen die Fortsetzung der Liga spricht, dass die Stadien leer bleiben
müssen. Massen sind in der Regel tumb. Heiner Müllers Satz, dass zehn
Deutsche dümmer sind als fünf Deutsche, stimmt. Aber nicht im Stadion.
[2][Die Fans bilden – nicht immer, aber oft – ein intelligentes, situativ
begabtes Kollektiv.]
Bei einem Spiel des BVB ist mal jemand gestorben. Die Fans haben aufgehört,
ihre Elf anzufeuern, und nach Abpfiff „You never walk alone“ gesungen. Zu
solchen moralischen Gesten sind Massen nur selten fähig. Das Wort
Geisterspiel trifft es daher: Das Vitale fehlt. Die Fans im Stadion
spiegeln das TV-Zuschauer-Ich, das am liebsten Teil dieses Kollektives
wäre. Sky wird nun Jubel aus der Retorte einblenden. Das ist die Art von
Reparatur, die den Schaden noch vergrößert.
Ich bin beim Ligastart beides: dafür und dagegen. Je nach Körperregion. Der
Kopf sagt: Der Bundesligastart ist unvernünftig. Geisterspiele sind
armselig. Dass die Liga wieder anfängt, zeigt wie grässlich, geldfixiert
und hohl das Profigeschäft ist. Im Rest des Körpers fühlt sich das anders
an. Wer will in einer Welt leben, in der nur Vernunft regiert?
Ich bin echt gegen den Bundesligastart. Bis Samstagnachmittag, 15.30 Uhr.
15 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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