| # taz.de -- Geisterspiele in der Bundesliga: „Es fehlt etwas“ | |
| > Fan-Sprecher Sig Zelt ist für die Fortsetzung des Ligabetriebs vor leeren | |
| > Rängen. An eine Läuterung des Profifußballs durch Corona glaubt er nicht. | |
| Bild: Stimmungsfreies Derby: Anfang März bezwang Borussia Mönchengladbach den… | |
| taz: Herr Zelt, wie verbringt der Sprecher von ProFans derzeit seine | |
| Wochenenden? | |
| Sig Zelt: Es gibt allerlei Privates: den Holzschutz vom Carport erneuern, | |
| alte Film anschauen oder sich um eine Freundin kümmern, die in der Krise | |
| Beistand braucht. Ich habe auch ein lange beiseitegelegtes Fotobuchprojekt | |
| wieder aufgenommen. | |
| Also haben Sie ohne Fußball gar keine Langeweile? | |
| Eigentlich habe ich immer zu wenig Zeit. (lacht) | |
| Können Sie denn bestätigen, was viele Fußballfreunde in der erzwungenen | |
| Spielpause festgestellt haben: dass vielleicht sogar ein gewisser | |
| Gewöhnungseffekt einkehrt, wenn der Ball in der Bundesliga nicht rollt? | |
| Ganz im Ernst: Manche unserer Fans entdecken jetzt erst, dass es in ihrem | |
| Leben noch mehr gibt als Fußball! In der aktiven Fanszene gibt es einige, | |
| für die übergreifend der Fußball das Allerwichtigste im Leben war; wofür | |
| sie den größten Teil ihrer Freizeit geopfert haben. Das waren diejenigen, | |
| die bei der Hochzeit der eigenen Schwester trotzdem ins Stadion gegangen | |
| sind. Dass dieser Teil jetzt andere Dinge entdeckt, ist vielleicht gar | |
| nicht mal so schlecht. Für den anderen Teil füllt sich das Loch von selbst | |
| sehr schnell. Übergreifend besteht aber die Sehnsucht nach dem gemeinsamen | |
| Stadionerlebnis. Ich spüre zwar kein Vakuum, aber trotzdem fehlt etwas, was | |
| im Leben vorher einen festen Platz eingenommen hat. | |
| Die Politik befürwortet die Saisonfortsetzung ab dem 9. Mai mit | |
| Geisterspielen. Die Fangruppen sind in dieser Frage gespalten: ProFans | |
| hatte sich nicht mehr dagegen ausgesprochen, während der Zusammenschluss | |
| „Fanszenen Deutschlands“ die Wiederaufnahme ablehnt. Geht ein Riss durch | |
| die Kurven? | |
| Für die Frage bin ich dankbar: Den Eindruck könnte man haben, aber so ist | |
| es nicht ganz: Die Meinungsbildung hat sich dynamisch entwickelt, nachdem | |
| man anfangs ja dachte, dass es nach sechs Wochen ganz normal weitergehen | |
| könnte. Nun sind Großveranstaltungen bis 31. August verboten, und | |
| vermutlich ist das nicht das letzte Wort. Das alles hat die Einsicht | |
| gefördert, dass es sich um eine tiefgreifende Krise handelt. Dass sich die | |
| besagten Fanszenen gegen Geisterspiele ausgesprochen haben, nehme ich nicht | |
| als Mehrheitsmeinung wahr. | |
| Warum nicht? | |
| Die Fangruppen sind sich völlig einig, dass Spiele ohne Zuschauer uns nicht | |
| im Mindesten das geben, was uns am Fußball begeistert. Ich kenne niemand, | |
| der sich wirklich darauf freut, weil der Fußball nun einmal von der | |
| Interaktion mit seinen Fans lebt. Es klingt absurd, nun neun Spieltage in | |
| leeren Stadien durchzuziehen, aber viele Anhänger sind trotzdem bereit, | |
| diese Kröte zu schlucken. Sie verzichten gerade auf die anteilige | |
| Rückerstattung ihrer Dauerkarten, obwohl ihnen selbst durch Kurzarbeit | |
| etwas im Geldbeutel fehlt. Sie möchten aber nicht, dass ihr Verein | |
| pleitegeht. Ich glaube, dass die Mehrheit daher Geisterspiele in Kauf | |
| nimmt, weil einige Vereine sonst nicht überleben. | |
| Noch mal nachgefragt: Die Saison sollte nicht abgebrochen werden? | |
| Unsere Organisation ProFans hat sich dazu entschlossen, den Verbänden in | |
| dieser Frage keine Empfehlung zu geben, zumal wir mit DFB und DFL nicht | |
| mehr im Fandialog stehen. Ich persönlich plädiere für die Fortsetzung. | |
| Immerhin sind drei Viertel der Saison gespielt, wenn die jetzt annulliert | |
| würde, wäre das irgendwie demotivierend, auch wenn das ein nachgeordneter | |
| Aspekt ist. | |
| Union-Präsident Dirk Zingler hat gesagt, die Kinder müssten erst zur Schule | |
| und Kneipen mit 20 Plätzen wieder öffnen, bevor Fußball gespielt werden | |
| können. Hat er recht? | |
| Dem kann ich absolut folgen. Ich bin auch der Meinung, dass der Fußball | |
| [1][keine Sonderbehandlung] bekommen sollte. Das wäre ein fatales Zeichen. | |
| Können Sie verstehen, dass DFL-Chef Christian Seifert die | |
| Entscheidungsträger der Bundesliga aufgerufen hat, Wortmeldungen wie diese | |
| zu unterlassen? | |
| Ich bin im Zweifel immer für die Freiheit des Wortes – und gegen Maulkörbe. | |
| Wir sollten nicht verlernen, die Äußerungen Einzelner zu hinterfragen. Das | |
| betrifft den Fußball genau wie die Politik: Wenn wir abweichende Meinungen | |
| bewerten statt zu unterdrücken, sind wir doch alle souveräner. | |
| Die „Fanszenen Deutschlands“ haben ein System angeprangert, in das in den | |
| letzten Jahren [2][Geldsummen jenseits der Vorstellungskraft vieler | |
| Menschen] geflossen seien und nun innerhalb eines Monats vor dem Kollaps | |
| stehe. Glauben Sie, dass an den Strukturen wirklich etwas verändert wird? | |
| Es liegt ja auf der Hand, dass die Strukturen ungesund sind. Ich finde | |
| richtig gut, dass diese Erklärung rausgekommen ist, weil sie nämlich den | |
| Finger in die Wunde legt. Trotzdem bin ich für die Zukunft skeptisch: Für | |
| eine Weile werden die gehandelten Geldbeträge runtergeschraubt, aber ich | |
| befürchte, dass in fünf Jahren nichts besser geworden ist. Einige fordern | |
| wegen der Coronakrise ja bereits, hier auch die 50+1-Regel zu kippen. Das | |
| aber würde Abhängigkeiten verstärken. Übergreifend erkenne ich keinen | |
| ausreichend starken Willen zu einem strukturellen Wandel. | |
| Fehlt den Ultras nicht die Daseinsberechtigung, wenn sie mit ihrem Support | |
| nicht mehr auf die Akteure einwirken können? | |
| Es geht noch darüber hinaus. Es fehlt nicht nur die indirekte Einflussnahme | |
| auf die Spieler, sondern diese Fans sehen sich als aktive Mitgestalter | |
| eines Spieltags. Das unterscheidet den Fußball gerade von vielen anderen | |
| Sportarten. Wenn wir über Gemeinschaftserlebnisse sprechen, dann reden wir | |
| auch darüber, dass beispielsweise die Anhänger von Union Berlin gerne mit | |
| Gleichgesinnten anderer Vereine in Kontakt kommen, um sich mit ihnen | |
| einfach beim Bier auszutauschen. Solche sozialen Geflechte liegen auch | |
| gerade alle brach. Zur aktuellen Fankultur gehören dafür Faninitiativen, | |
| die in der Coronakrise beispielsweise Stoffmasken nähen oder älteren | |
| Menschen beim Einkaufen helfen. Viele Vereine unterstützen das auch. | |
| Es gab im März drei Geisterspiele mit deutscher Beteiligung. Sie wirkten | |
| wie Lehrbeispiele dafür, wie wenig Begeisterung diese sterile Atmosphäre | |
| vermittelt. Wie sollen solche Spiele Freude vermitteln, mit der auch | |
| Politiker argumentieren? | |
| Zumal man nicht mal mit Freunden irgendwo in der Kneipe schauen kann. Man | |
| merkt schnell, dass Spiele ohne Publikum sehr unattraktiv sind. Das wissen | |
| auch die TV-Sender, nur die Fußball-Verbände wollen das nicht wahrhaben, | |
| weil die DFL sich in erster Linie um die Vermarktung des Produkts Fußballs | |
| kümmert. Anfangs werden sicher auch viele von uns am Bildschirm gucken. | |
| Aber weil wir alle Stadiongänger sind, könnte es sein, dass das Interesse | |
| schnell abflaut. | |
| Was halten Sie davon, wenn in den Stadien Fans aus Pappmaché aufgestellt | |
| werden oder über eine von Fans bediente App Stimmung vom Band eingespielt | |
| wird? | |
| Furchtbar! Davon halte ich überhaupt nichts. Damit wird dem Fußball der | |
| letzte Rest an Authentizität genommen. Welche gesellschaftliche Relevanz | |
| sollte das haben? Ich würde wirklich raten, davon die Finger zu lassen. | |
| 21 Apr 2020 | |
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| Frank Hellmann | |
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