# taz.de -- Unruhen im Libanon: Brennende Banken, fallendes Pfund | |
> Das libanesische Pfund ist auf ein Rekordtief gefallen, die | |
> Lebensmittelpreise gehen durch die Decke. Das hochverschuldete Land ist | |
> in Aufruhr. | |
Bild: Der Protest in Tripoli richtet sich vor allem gegen die schlechte Wirtsch… | |
Beirut taz | Die Anweisung der libanesischen Regierung war klar: Nach 20 | |
Uhr darf niemand mehr das Haus verlassen; es gilt eine strikte | |
Ausgangssperre, um die Ausbreitung des [1][Coronavirus] zu verhindern. | |
Dennoch setzen sich seit dem Wochenende im ganzen Land Menschen darüber | |
hinweg, um auf den Straßen zu protestieren. | |
Wie Videos von Aktivist*innen in den sozialen Medien zeigen, warfen | |
Protestierende in den Nächten auf Dienstag und Mittwoch Molotowcocktails in | |
Bankfilialen in der Hauptstadt Beirut, im nördlichen Tripoli und im | |
südlichen Sidon. Außerdem blockierten die Protestierenden die | |
Hauptverkehrsader des Landes mit brennenden Reifen. | |
In Tripoli, der zweitgrößten Stadt des Landes, kam es am Montag zu | |
Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und dem Militär; bei denen ein | |
26-jähriger Mann von einer Sicherheitskraft erschossen wurde. Nach Angaben | |
der Nachrichtenagentur AP kamen Hunderte zu der Beerdigung am | |
Dienstagmorgen. Einige griffen während der Trauerprozession nahe gelegene | |
Bankfilialen an. | |
Der Libanon befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Ende | |
des Bürgerkriegs vor 30 Jahren. Die Staatsschulden betragen rund 170 | |
Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die lokale Währung verliert rasant an | |
Wert. Am Wochenende sackte das Pfund gegenüber dem US-Dollar auf ein | |
Rekordtief ab. | |
## Hilferuf an die Regierung | |
Das Land ist auf Importe von Lebensmitteln und Medikamenten angewiesen, | |
welche von Importeuren in US-Dollar bezahlt werden müssen. Daher steigen | |
Preise für Reis, Zucker und Mehl an, während die knapp sechs Millionen | |
Libanes:innen mehr als die Hälfte des Werts ihrer Ersparnisse verloren | |
haben. Viele Menschen hatten aufgrund der Wirtschaftslage ihre Jobs bereits | |
vor der Coronakrise verloren. | |
„Die Notwendigkeit für Protest ist das Ergebnis der gegenwärtigen | |
sozioökonomischen Situation, in der wir uns befinden“, erklärt die | |
16-jährige Aktivistin Jana Abu Schakra am Telefon gegenüber der taz. „Der | |
Protest ist ein Hilferuf an die Regierung.“ | |
Die Aufstände können als Fortsetzung der [2][im Oktober begonnenen | |
Massenproteste im Libanon] gesehen werden. Damals protestierten Tausende | |
Libanes:innen gegen das korrupte Verhalten der Politiker und deren | |
Misswirtschaft, die das Land in den Staatsbankrott geführt hat. Sie | |
forderten den „Niedergang des Regimes“, woraufhin Ministerpräsident | |
[3][Saad Hariri zurücktrat]. Zu Beginn des Jahres übernahm Hassan Diab mit | |
seiner hisbollahnahen Regierung die Amtsgeschäfte. | |
## Kein soziales Netz, keine Koordination | |
„Die Regierung leistet keine humanitäre Nothilfe“, kritisiert Abu Schakra. | |
Sie engagiert sich freiwillig in ihrem Heimatort in der Bergregion Schuf, | |
koordiniert Essens- oder Medizinspenden. „Wir sehen die Preise um 200 | |
Prozent steigen, als wäre das ein Monopoly-Spiel, und die Regierung | |
reguliert es überhaupt nicht.“ | |
Weil es im Libanon kein staatliches Sozialnetz gibt, haben sich unter der | |
Kampagne „Solidarität der Menschen“ viele Initiativen zusammengetan, um | |
Spenden zu sammeln und Spendenausgaben zu koordinieren. | |
„Im Schuf haben wir zum Beispiel zusammen mit der Gemeinde einen Fragebogen | |
erstellt, um herauszufinden, was die Leute benötigen“, sagt Abu Schakra. | |
„Auf dem Land kennen sich die Leute gut, und wir können erfahren, wer Hilfe | |
benötigt. Aber in den Städten geht das nicht so einfach.“ Es fehle an einer | |
verlässlichen Datenlage, bei wem Bedarf bestehe. „Das ist die Aufgabe der | |
Regierung, das können wir als Gruppe nicht leisten.“ | |
Dabei gab es bereits einen Plan, mit Einmalzahlungen Hilfe zu leisten. Der | |
Gesetzentwurf sah vor, an arme Familien 400.000 Pfund auszuzahlen. Die | |
bedürftigen Familien hätten nach offiziellem Währungskurs umgerechnet knapp | |
240 Euro bekommen, was aber einem tatsächlichem Gegenwert von 100 Euro | |
entspricht. Bevor das Parlament jedoch in seiner Sitzung vergangene Woche | |
darüber abstimmte, schloss man die Sitzung und ging nach Hause. | |
29 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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