# taz.de -- Libanon vor dem Staatsbankrott: Im Dollarwahn | |
> Zum Start des Fastenmonats Ramadan steigen die Preise für Mehl, Reis und | |
> Fleisch an. Grund dafür ist nicht nur Corona, sondern auch die | |
> Wirtschaftskrise. | |
Bild: Cash, cash, cash, am liebsten Dollar: Der Libanon befindet sich in einer … | |
BEIRUT taz | Nour Marouni stellt ein Bein auf den unteren Metallstab des | |
Einkaufswagens und lässt ihren Blick über den Kassenzettel wandern. Die | |
30-Jährige wohnt im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut, sie trägt | |
ein rosa Kopftuch und war gemeinsam mit ihrer 60-Jährigen Mutter einkaufen. | |
Plastiktüten stapeln sich im Wagen neben literweise in Plastik abgepacktem | |
Wasser. | |
Zu Beginn des Fastenmonats [1][Ramadan] benötigt die Familie besonders viel | |
Trinkwasser. „Das ist das einzige Produkt, dessen Preis noch stabil ist“, | |
erzählt Mutter Amal Marouni. Auf unerschwingliche Cashews oder Mandeln | |
hätten sie verzichtet. | |
Die Nüsse für das Frühstück vor der Morgendämmerung (Suhur) sind nun | |
Luxusgüter. Doch auch die Preise für Grundnahrungsmittel steigen seit | |
Beginn des Jahres an. „Öl, Milch und Fleisch sind doppelt so teuer | |
geworden. 500 Gramm Reis haben letztens noch 5.000 Lira gekostet, jetzt | |
haben wir 10.000 bezahlt.“ | |
Wie viel Euro die 10.000 Lira entsprechen, ist schwer zu sagen. Der Libanon | |
ist mit dem Staatsbankrott konfrontiert, die Wirtschaft ist nicht erst seit | |
[2][Corona] zum Erliegen gekommen. Weil die Dollarreserven in den | |
Staatsdepots schrumpfen, verliert die lokale Währung stetig an Wert. | |
Offiziell ist sie an den US-Dollar gekoppelt, 1.500 Lira sollen einem | |
Dollar entsprechen. Doch im Supermarkt, am Kiosk oder an der Tankstelle | |
gelten Suq Preise: Das Land ist auf Importe angewiesen, die Importeure | |
zahlen in Dollar – deshalb klettern die Preise in Lira. | |
## Ohne Sicherheitsbeamte | |
Im südlichen Vorort Ghobeiry hat eine Art Pop-Up-Wechselstube geöffnet. | |
Eine lange Theke erstreckt sich im kargen Raum, der mit Fließen | |
ausgekleidet ist. Wer das Glück hatte, durch befreundete Geldkuriere an | |
starke Fremdwährungen zu gelangen, kommt lieber in die Stube ohne | |
Sicherheitsbeamte, als am Geldautomaten Banknoten zu ziehen. | |
Für einen Dollar gibt es hier 3.200 Lira, für einen Euro sogar 3.500. | |
Gefragt nach einer Rechnung lacht der Mann hinter der Theke, der perfekt | |
Englisch spricht, Gummihandschuhe und Mundschutz trägt. „Die kann ich nicht | |
raus geben. Du weißt, warum. Wir handeln mit dem inoffiziellen Kurs.“ | |
Wer mit US-Dollar in eine der Wechselstuben geht, bekommt mehr als doppelt | |
so viel Lira wie bei der Bank. Deshalb ist das ganze Land dollarhungrig. | |
Seit der Beiruter Flughafen Mitte März geschlossen hat, bleiben nur noch | |
internationale Geldtransfers. | |
Der Libanon, dessen Fläche so groß ist wie Hessen, besitzt eine große | |
Diaspora: Mehr Libanes*innen leben im Ausland, als in dem Land selbst. | |
Viele schicken Dollar aus London oder Dubai an ihre Liebsten. | |
## Militärs mit Maschinengewehren | |
Ein paar Hundert Meter entfernt von dem Supermarkt, in dem die Marounis | |
ihre Einkäufe erledigt haben, drängen sich Menschen mit Mundschutz um die | |
Filiale einer Geldüberweisungsagentur. Dunkelgraues Trennband versucht, | |
eine Warteschlange zu generieren, vor der Schiebetür stehen zwei | |
Sicherheitsbeamte, daneben bewachen Militärs mit Maschinengewehren das | |
Geschehen. Ein Mann ruft durch ein Megafon Nummern: 284, 285. | |
Etwas außerhalb der Menschenansammlung steht Mahdi Farhat. Auf seinen | |
schwarzen Sportschuhen leuchten neon-orangene Streifen hervor. In der Hand | |
hält er neben Desinfektionsspray ein Ticket: 456, gezogen um 9:09 Uhr. | |
Der 24-Jährige studiert Philosophie in Beirut, seine Familie wohnt in den | |
Emiraten und hat ihm Geld geschickt. „Heute ist der letzte Tag, an dem wir | |
noch Dollar ausgezahlt bekommen. Morgen würde ich nur noch Lira bekommen“, | |
erzählt er. Die libanesische Zentralbank hat beschlossen, die | |
Dollar-Zirkulation einzugrenzen. | |
„Heute Morgen waren hier knapp 300 Menschen. Sie haben immer mal wieder das | |
Metall vor der Tür heruntergefahren und dann wieder geöffnet. Sie haben | |
auch gedroht: Wenn wir keinen Sicherheitsabstand halten, machen sie dicht.“ | |
Im Libanon gilt eine strikte Ausganssperre aufgrund des Coronavirus. Viele | |
Menschen haben durch die desolate Wirtschaftslage ihr Jobs verloren. | |
„Einfach zu leben ist schwer geworden“, klagt Amal Marouni nach ihrem | |
Einkauf. | |
Die Wirtschaftskrise trifft besonders die Armen. Deshalb sollte das | |
Parlament am Mittwoch ein Rettungspaket mit Hilfszahlungen verabschieden. | |
Doch bevor der Antrag diskutiert wurde, war die Sitzung beendet. Zuvor | |
durchgegangen war die Legalisierung des Anbaus von medizinischem Cannabis, | |
um die Wirtschaft anzukurbeln. | |
26 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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