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# taz.de -- Wirtschaftskrise in Saudi-Arabien: Schlaflos in Riad
> Die Coronakrise und der niedrige Ölpreis treffen die saudische Wirtschaft
> hart. Die Grundfesten der Öl-Monarchie sind erschüttert.
Bild: Die Kaaba in Mekka: Die große Pilgerfahrt, die Hadsch, wird dieses Jahr …
Kairo taz | Saudi-Arabien hat ein Problem, und das lässt sich mit zwei
Zahlen beschreiben: Für einen ausgeglichenen Haushalt braucht das Land
einen Ölpreis von 76 US-Dollar pro Barrel; mit 30 US-Dollar liegt er aber
bei weniger als der Hälfte. Und selbst um diesen Preis zu halten, musste
das Land das Angebot des schwarzen Golds auf dem Weltmarkt verringern und
hat deshalb seine Ölproduktion auf den niedrigsten Stand seit 18 Jahren
zurückgeschraubt. Die Folge ist ein Haushaltsdefizit, das Schätzungen
zufolge auf einen Rekordwert von 112 Milliarden US-Dollar steigen könnte.
Nun hat die Regierung die Notbremse gezogen. Ab Juli verdreifacht sich die
Mehrwertsteuer, die überhaupt erst vor zwei Jahren eingeführt wurde, auf 15
Prozent, wie Finanzminister Mohammed al-Dschadan vergangene Woche
mitteilte. Bereits ab Juni werden die monatlichen Unterstützungszahlungen
für Militärangehörige und Staatsbedienstete gestrichen. Außerdem legt die
Regierung große Infrastrukturprojekte auf Eis.
In Saudi-Arabien kommen zwei Krisen zusammen: Schon vor der
[1][Coronakrise] hatte das Land mit Russland einen Preiskrieg ums Öl
begonnen. Durch die weltweiten Lockdowns ging dann der globale Verbrauch
zurück. Ein [2][totaler Preiszusammenbruch] war die Folge. Hinzu kommen die
Lockdowns im eigenen Land. Bisher waren die Maßnahmen lokal begrenzt, doch
über die Feiertage zu Ende des Ramadan am kommenden Wochenende hat die
Regierung einen strikten, landesweiten Lockdown angekündigt.
Die Pilgerstätten in Mekka sind seit Wochen dicht. Die große Pilgerfahrt
Hadsch, die Ende Juli beginnen würde, wird wohl ausfallen. Die jährlichen
Einnahmen aus religiösem Tourismus belaufen sich auf rund 20 Milliarden
US-Dollar – ungefähr 20 Prozent aller Einnahmen des Landes jenseits des
Ölsektors. Es gab sogar Überlegungen, das Pilgergeschäft zum neuen Öl zu
machen und die Einnahmen weiter auszubauen, etwa mit Luxushotels in Mekka,
in denen eine Suite mit Blick auf die Kaaba über 5.000 US-Dollar die Nacht
kostet.
## Teurer Krieg im Jemen
Nun ist Saudi-Arabien mit seinem rund 320 Milliarden US-Dollar schweren
Staatsfonds nicht einfach aus der Bahn zu werfen. Dennoch macht die Krise
dem Land zu schaffen. Der IWF erwartet dieses Jahr einen Rückgang der
Wirtschaftsleistung um 2,3 Prozent. An neuen Sparmaßnahmen führt deshalb
kein Weg vorbei.
Das trifft auch die von Kronprinz Mohammed bin Salman verkündete „Vision
2030“, mit der er das Land gesellschaftlich öffnen und durch
Infrastrukturmaßnahmen weniger abhängig machen will vom Öl. Herzstück ist
die Mega-Glitzerstadt Neom, die für 500 Milliarden US-Dollar am Roten Meer
aus dem Wüstensand gestampft werden soll und Touristen und internationale
Investitionen anziehen soll.
Die Haushaltskrise dürfte nicht nur zu Verzögerungen führen, sondern auch
dazu, dass das Ganze ein paar Nummern kleiner angelegt werden muss. Damit
beißt sich die Katze in den Schwanz: Während der Ölpreis zusammenbricht,
hat man kein Geld mehr, um eine Wirtschaft aufzubauen, die weniger abhängig
ist vom Öl.
Auch den saudischen Plänen, die Region als Regionalmacht neu zu ordnen,
dürften neue finanzielle Grenzen gesetzt sein. Der Krieg im Jemen, den bin
Salman vor fünf Jahren begonnen hat, lastet schwer auf dem Staatshaushalt.
Was es kostet, die benötigten Waffen einzukaufen und einzusetzen, die am
Boden kämpfenden Söldner zu bezahlen und die von den Saudis unterstützte
Regierung in Aden am Leben zu halten, ist nicht genau bekannt. Die Gegner
der saudischen Militärkoalition, die jemenitischen Huthi-Rebellen, haben
Schätzungen veröffentlicht, nach denen Saudi-Arabien jährlich 60 Milliarden
US-Dollar für den Krieg ausgibt – auch wenn diese Zahl wahrscheinlich
übertrieben ist.
Für Juni hat Saudi-Arabien zusammen mit der UNO eine virtuelle
internationale Geberkonferenz einberufen, in der Hoffnung, die Auswirkungen
des Kriegs nicht allein tragen zu müssen. Dabei geht es um viel Geld: Das
Internationale Rote Kreuz warnte kürzlich, dass der Jemenkrieg die
internationale Gemeinschaft noch einmal 29 Milliarden US-Dollar an
Hilfslieferungen kosten könnte, sollten die militärischen
Auseinandersetzungen weitere fünf Jahre andauern.
## Ungeschriebener Gesellschaftsvertrag
Aber es ist etwas anderes, das den Herrschern in Riad schlaflose Nächte
bereiten dürfte. Wie in anderen ölreichen Golfstaaten gibt es auch in
Saudi-Arabien einen ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag: Die Untertanen
haben kein politisches Mitspracherecht; im Gegenzug geben sich die
Herrscher gönnerhaft und machen den Staat zum Rundumversorger. Saudis
können beispielsweise auf Staatskosten im Ausland studieren, können sich
mit staatlichen Beihilfen im Ausland medizinisch behandeln lassen, bekommen
Zuschüsse für den Bau ihrer Häuser und zinsfreie Kredite. Steuern waren vor
der Einführung der Mehrwertsteuer von 5 Prozent 2018 praktisch ein
Fremdwort für saudische Bürger. Doch um in den Genuss dieser Wohltaten zu
kommen, dürfen sie die politische Legitimität ihrer Herrscher nicht
hinterfragen oder gar politische Rechte einfordern.
Es ist ein Gesellschaftsvertrag, der seit Jahrzehnten funktioniert und der
das Königshaus auch durch die turbulenten Zeiten des Arabischen Frühlings
seit 2011 gebracht hat. Nun aber knirscht es im Gebälk. Die Verdreifachung
der Mehrwertsteuer und das Ende der Zusatzzahlungen zeigen, dass die
Herrscher ihren Teil des Vertrags nicht mehr problemlos erfüllen können.
Spannend wird sein, wie lange die Untertanen noch ihren Teil der Abmachung
erfüllen.
19 May 2020
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## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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