| # taz.de -- Gefallene Ölpreise auf dem Weltmarkt: Weniger als nichts | |
| > Förderkürzungen verpuffen, das schwarze Gold ist nichts mehr wert: Die | |
| > Pandemie sorgt für die heftigste Ölkrise seit den 70er Jahren. | |
| Bild: Erdölraffinerie: Angebot und Nachfrage klaffen zur Zeit stark auseinander | |
| Die Broker verfolgen die Zacken der Preiskurve wie die Ausschläge auf den | |
| Monitoren der Intensivstation. Was sie sehen sind wahrhaft historische | |
| Bewegungen. Nie zuvor hat der Ölpreis so extrem volatil reagiert mit | |
| panischen Tagesschwankungen von über 30 Prozent. Nie zuvor wurde Öl am | |
| Terminmarkt zu Negativpreisen verkauft – bis zu minus 37 Dollar das Fass. | |
| Wir erleben [1][die heftigste Krise des Ölzeitalters seit den 1970er | |
| Jahren], als die Deutschen mit Hund und Kinderwagen auf den Autobahnen | |
| spazieren gingen. Diesmal hat die Krise umgekehrte Vorzeichen. Öl ist | |
| nichts mehr wert, kurzzeitig sogar weniger als nichts. Alles deutet darauf | |
| hin: 2020 wird zum verheerendsten Jahr in der Geschichte der Ölmärkte. | |
| 4,5 Milliarden Menschen im Lockdown haben die Nachfrage auf den Stand der | |
| 90er Jahre zurückkatapultiert. 2019 hatte der weltweite Verbrauch erstmals | |
| die Schallmauer von 100 Millionen Fass täglich durchbrochen – das | |
| entspricht jeden Tag einem Güterzug mit Öl von Süditalien bis zum Nordkap. | |
| Im April ist dieser Verbrauch nach Schätzungen der Internationalen Energie | |
| Agentur (IEA) auf 70,4 Millionen Fass gestürzt. Damit werden täglich 30 | |
| Millionen Fass zu viel gefördert. | |
| Niemand weiß, wohin mit dem Überschuss. Eilig haben China, Indien, Südkorea | |
| und die USA die Aufstockung ihrer strategischen Ölreserven beschlossen. | |
| Gleichzeitig werden alle verfügbaren Tanker gefüllt, um zwischenzulagern: | |
| Notlösungen, die allenfalls über Wochen helfen. Die weltweiten | |
| Lagerkapazitäten von 6,8 Milliarden Barrel sind schon zu drei Vierteln | |
| voll. Kleine US-Förderunternehmen, die sogenannten Stripper-Wells, können | |
| ihr Öl nicht mehr losschlagen und überlegen, ihre Bohrstellen still zu | |
| legen. | |
| ## Die Ölförderung lässt sich nicht so einfach zurückfahren | |
| Das Kernproblem: Die weltweite Förderung lässt sich nicht so einfach | |
| zurückfahren. Die politischen, aber auch die technischen Probleme sind | |
| gewaltig. Ölfelder sind keine unterirdischen Seen, die man, wenn der | |
| Scheich am großen Hahn dreht, nach Belieben abpumpen oder ruhig liegen | |
| lassen kann. Die Förderung gerade der alten großen „Elefanten“ genannten | |
| Felder ist ein fein austarierter, technisch hochkomplexer Prozess. Durch | |
| permanente Wasserinjektionen werden Drücke aufgebaut, um den Ölfluss zu | |
| steuern und möglichst konstant zu erhalten. | |
| An dem fragilen Gleichgewicht wollen die Ingenieure ungern und nur | |
| vorsichtig rühren. In der Tiefseeförderung sind Produktionskürzungen oder | |
| -ausweitungen noch heikler. [2][Auch die zuletzt von OPEC+ beschlossene | |
| Förderkürzung um 9,7 Millionen Barrel] wird nicht kurzfristig, sondern erst | |
| im Mai wirksam. Und sie wird, obwohl sie als bisher größter Cut der langen | |
| Geschichte der Erdölförderung gefeiert wurde, weitgehend verpuffen, weil | |
| sie den Überschuss nicht annähernd beseitigen kann. | |
| Weitere Förderkürzungen könnten zwar folgen, doch die Einigungsprozesse | |
| unter den Ölnationen sind nicht weniger kompliziert als die Förderung | |
| selbst. Eigentlich haben alle Länder die suizidale Neigung, | |
| Einkommensverluste durch mehr Förderung kompensieren zu wollen. | |
| Die IEA entwirft unterdessen Szenarien, die ein Hochfahren der Wirtschaft | |
| und eine Erholung der Märkte ab Juni prophezeien – das Pfeifen im Wald | |
| einer notorisch optimistischen Organisation, die stets die unendliche | |
| Verfügbarkeit der Ressource Erdöl und gesund-robuste Märkte als | |
| unveränderliche Größen ansieht. Doch Tourismus und Flugverkehr werden sich | |
| frühestens im Herbst nennenswert erholen. Auch der Spritverbrauch der | |
| Autos, der in Frankreich, Großbritannien und Deutschland um 70 Prozent | |
| eingebrochen ist, wird sich nur langsam erholen. | |
| ## Ölländer bleiben auf Reserven sitzen | |
| Die steigende Arbeitslosigkeit reduziert ebenfalls den Energieverbrauch. | |
| Die Ölpreise werden also weiter unter Druck bleiben, einstellige Kurse sind | |
| keine Utopie mehr. Etliche Raffinerien haben signalisiert, ab Mai überhaupt | |
| kein Öl mehr abzunehmen. Mit Auslaufen der Juni-Kontrakte könnten auch | |
| Negativkurse wieder als kurzzeitiges Phänomen aufblitzen. Jedes Barrel Öl | |
| wird bis zu 12-mal gehandelt, bevor es physisch einen endgültigen Abnehmer | |
| findet. Das Gros der Händler handelt also nur auf dem Papier und hat kein | |
| Interesse am realen Besitz von Öl. Weshalb sie erworbene Mengen um jeden | |
| Preis wieder loswerden müssen. | |
| Die Freude der Verbraucher über billige Sprit- und Heizöl-Preise | |
| kontrastiert mit dem gewaltigen volkswirtschaftlichen und sozialen Fallout | |
| des Preiscrashs. Zu Jahresbeginn standen die Notierungen bei 60 Dollar, | |
| aktuell bei unter 20. Wie sollen Länder wie Venezuela, Irak, Libyen oder | |
| Nigeria mit ihren kollabierenden Finanzen fertig werden? 26 Förderländer | |
| decken ihre Etats zu mindestens 20 Prozent, im Extremfall zu 80 Prozent aus | |
| Ölverkäufen. | |
| Saudi-Arabien fehlen mehr als eine halbe Milliarde Dollar – täglich! – zur | |
| Deckung des Etats. Die sozialen Folgen treffen aber auch westliche Länder, | |
| deren Rentenfonds auf Dividenden und stabile Aktienkurse der großen | |
| Ölmultis BP, Shell, Exxon angewiesen sind. Die US-Banken müssen mit | |
| gewaltigen Kreditausfällen rechnen, wenn jetzt reihenweise die ohnehin | |
| überschuldeten Frackingfirmen in die Pleite rutschen. Auch die | |
| geopolitischen Verwerfungen des Preiscrashs sind derzeit in ihren Folgen | |
| kaum absehbar. | |
| Sie treffen eine Welt, die es auch 196 Jahre nach der Entdeckung des | |
| Treibhauseffekts durch Jean Baptiste Fourier nicht geschafft hat, den | |
| fossilen Rausch zu beenden. Erdöl ist immer noch die wichtigste | |
| Energiequelle einer im klimatischen Schwitzkasten gefangenen Menschheit. | |
| Förderung und Verbrauch haben mit einer Dynamik der Unersättlichkeit stetig | |
| zugelegt und sollen nach gängigen Szenarien der großen Energieagenturen | |
| auch künftig weiter steigen. | |
| ## Viele Ölunternehmen werden pleitegehen | |
| Doch mit dem rapiden Preisverfall durch die Pandemie hat ein neues Kapitel | |
| in der Geschichte von Gier, Geld, Macht und Krieg ums Öl begonnen. Mit | |
| ungewissem Ausgang. „Peak-Oil ist mausetot“, spottet die FAZ angesichts des | |
| Öl-Überflusses. Nein, Peak-Oil, das historische Maximum der weltweiten | |
| Ölförderung, könnte 2019 überschritten sein. Mit der kommenden Pleitewelle | |
| vieler Ölunternehmen ist eine Rückkehr zum monströsen Weiter-so und zu den | |
| alten Förderquoten keine zwangsläufige Entwicklung. | |
| Die USA waren vergangenes Jahrzehnt mit [3][Öl aus Fracking wichtigster | |
| Treiber der weltweiten Produktionsausweitung]. Dort erlebt man jetzt auch | |
| die massivsten Einbrüche. Die Zahl der Bohrungen hat sich im Vergleich zum | |
| Vorjahr schon mehr als halbiert und geht weiter stark zurück. Auch in | |
| Kanada ist die Öl-Produktion aus Teersanden eingebrochen. Die | |
| Kreditinjektionen von Präsident Trump werden den Zusammenbruch des | |
| US-Fracking nicht verhindern können. Der Boom geht zu Ende. Game over! | |
| 2 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Erdoel-im-Ueberfluss/!5670568 | |
| [2] /Opec-reagiert-auf-Coronakrise/!5677999 | |
| [3] /Foerderung-von-Oelsand-in-Kanada/!5669972 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Kriener | |
| Jörg Schindler | |
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