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# taz.de -- Erdöl im Überfluss: Die Welt ertrinkt im schwarzen Gold
> Wegen Corona ist die Nachfrage nach Öl eingebrochen wie nie zuvor. Ein
> massiver Preissturz folgte. Förderländern droht der Staatsbankrott.
Bild: Lebensmittel sind knapp – Venezuela ist mit dem Einbruch des Ölpreises…
Berlin taz | Das hat es in diesem Jahrhundert noch nicht gegeben. Die Wucht
der Corona-Pandemie stürzte den Ölpreis bei Tagesverlusten von bis zu 30
Prozent in rasendem Tempo in den Abgrund. Noch am 5. März lag der Kurs für
ein Barrel der Marke Brent bei 51 US-Dollar. Keine zwei Wochen später hatte
er sich mit 25 Dollar mehr als halbiert. Der Preis für US-Öl der Marke WTI
touchierte sogar die 20-Dollar-Linie. Historisch wenig.
Der Ölpreis war immer ein Spekulationsobjekt mit reichlich Luftbuchungen.
Doch der Corona-Effekt ist ganz real. Der Zusammenbruch hat drei Ursachen.
Da ist zunächst der stark gesunkene Ölbedarf der Fluglinien. Die Lufthansa
etwa hat aktuell 95 Prozent ihrer Flüge gecancelt und will nur ein
Notprogramm aufrechterhalten. Die produzierende Wirtschaft meldet
Werksstilllegungen und Kurzarbeit, ihr Ölbedarf rauscht ebenfalls in den
Keller. Schließlich drückt auch das lahmgelegte öffentliche Leben mit
Homeworking und stark reduziertem Individualverkehr die Nachfrage. Das ist
die neue Lage, die womöglich noch Monate andauern wird.
Die Pandemie fiel in eine Zeit, als der Ölpreis ohnehin niedrig war. Zu
niedrig für Staaten wie das Königreich Saudi-Arabien, das sein Budget
vorwiegend mit Öleinnahmen finanziert und für einen ausgeglichenen Haushalt
einen Preis von 80 Dollar braucht. Zu niedrig aber auch für die Fracker von
Light Tight Oil aus Schiefergestein in den USA, die schon bei einem
Barrel-Preis von 50 Dollar Verluste einfahren – einen riesigen Schuldenberg
schieben sie bereits vor sich her. Zu niedrig auch für die Supermajors
Exxon-Mobil, BP und Shell, deren Kurse und Gewinne schon vor der
Corona-Krise eingebrochen waren.
## Option: Zwischenlagerung auf Schiffen
Jetzt denkt Shell sogar darüber nach, riesige Transportschiffe zu chartern
und mit Öl zu beladen. Sechs Millionen Barrel Öl könnten auf schwimmenden
Lagern dem Markt entzogen und bei steigendem Ölpreis mit Profit verkauft
werden. Auch andere Akteure sind auf diese Idee gekommen. Doch die Schiffe
sind teuer, der Entlastungseffekt begrenzt. Entspannung ist nicht in Sicht.
So dürfte neben der Tourismus- und Luftfahrtbranche die Ölindustrie zum
großen Verlierer von Corona werden.
Auch ganze Staaten sind betroffen: Venezuela, Irak, Ecuador sind mit dem
Einbruch des Ölpreises vom Staatsbankrott bedroht. 26 Länder hat der
Spiegel gezählt, deren Haushalte zu mindestens 20 Prozent von Öleinnahmen
abhängen. Diese sind derzeit mehr als halbiert. Die Internationale
Energie-Agentur erklärte am Montag: „Die besonders verwundbaren
Förderländer könnten bis zu 85 Prozent ihrer Öleinnahmen verlieren. Damit
geraten die öffentlichen Haushalte unter Druck, grundlegende
Dienstleistungen wie der Gesundheits-, der Erziehungs- und der
Bildungssektor sind gefährdet.“
## Fracking ausgebremst
Der Preiscrash hat auch für die USA dramatische Folgen. Das besonders
klima- und umweltschädliche Fracking von Öl und Gas wird ausgebremst, der
Boom weiter abgewürgt. Investoren und Banken müssen realisieren, dass bei
einer Fortsetzung das Geldverbrennen nicht nur so weitergehen, sondern sich
noch beschleunigen wird. Gewinne, mit denen Schulden zurückgezahlt werden
sollen, sind in weite Ferne gerückt, neue Kredite kaum noch zu bekommen.
Die Partnerschaft zwischen Finanzmärkten und Frackingfirmen, schreibt die
New York Times, „ist zu Bruch gegangen, seit das Coronavirus den
schnellsten Kollaps der Ölpreise seit mehr als 25 Jahren ausgelöst hat“.
Service-Unternehmen wie Schlumberger und Halliburton reduzieren Equipment
und Personal. Sobald die Bohrtätigkeit nachlässt, ist ein Rückgang der
Produktion unvermeidlich. Ohnehin sind in den Frackinggebieten die sweet
spots, also die besten Areale schon erschlossen. Die Pleitewelle bei den
kleineren Unternehmen rollt, 100 Milliarden Dollar haben sich auf diese
Weise schon in Luft aufgelöst. Der Anstieg der Produktion im
Permian-Becken, dem produktivsten und aussichtsreichsten Vorkommen für die
US-Fracker, kommt gerade an ein Ende. Alle anderen Regionen haben kein
Wachstum mehr zu erwarten. Over and out.
Dabei war der Frackingboom in den USA nicht nur der wesentliche Treiber für
die niedrigen Ölpreise der letzten Jahre. Er war auch Garant für die
Deckung der immer noch wachsenden weltweiten Nachfrage nach Ölprodukten.
Wir erinnern uns an die Jubelarien: Die USA werden energieunabhängig, die
USA werden zum größten Ölexporteur, die Opec ist tot und Russland gleich
dazu. Dieselbe Überheblichkeit auch beim Erdgas. Dann stellte sich heraus,
dass niedrige Ölpreise womöglich gut für die Wirtschaft sind, aber
existenzbedrohend für die Ölindustrie – auch für die amerikanische.
## Versuchter Schulterschluss mit Russland
Die Lösung sollte die brüderliche Einigung der Opec mit Russland sein. Im
historischen Schulterschluss sollte die Förderung gedrosselt und der
Ölpreis stabilisiert werden. Auf diese Idee konnten nur Amerikaner kommen:
Ein Überangebot, von den USA forciert durch das Ignorieren
betriebswirtschaftlicher und umweltrechtlicher Grundregeln, muss durch
ausgleichende Maßnahmen anderer Förderländer ins Gleichgewicht gebracht
werden. Ein Zurückfahren der Förderung in den USA wurde zu keiner Zeit
erwogen. Vielleicht weil amerikanisches Öl „gutes Öl“ und das (qualitativ
bessere) Produkt der Opec und Russlands „schlechtes Öl“ ist? Doch die
Einigung der von den Saudis dominierten Opec mit Russland kam nicht
zustande. Im Gegenteil: Beide Länder begaben sich in einen Preiskrieg und
pumpten zuletzt, was die Ölfelder hergaben. Als Folge fiel der Ölpreis. Das
Virus besorgte den Rest. Jetzt ist die Nachfrage eingebrochen wie nie
zuvor, die Welt ertrinkt im Öl.
Wie kann es weitergehen? Das Ausmaß der Pandemie nimmt täglich zu. Damit
bleibt die Verunsicherung, und auch die Preisvolatilität auf den Ölmärkten
wird auf niedrigstem Niveau bei anhaltend großen Überkapazitäten nicht
verschwinden. Damit fehlt wiederum jeder Investitionsanreiz in einer
Branche, die schon aus geologischen Gründen schrumpfende
Investitionsmöglichkeiten sieht. Neue Ölfunde in relevanten Größenordnungen
sind weltweit seit Jahren Fehlanzeige. Jetzt bricht auch noch das
Fracking-Geschäft ein.
Eine Pleitewelle in den USA könnte die Märkte ein wenig entlasten – aber
wohl erst mittelfristig. Eine Drosselung der Förderung durch die Opec oder
durch Russland ist nicht in Sicht. Die Förderländer sind in Panik, wollen
womöglich den niedrigen Preis durch mehr Produktion egalisieren, die IEA
spricht von einer „signifikant erhöhten Ölproduktion“ – eine suizidale
Strategie. Als Folge könnte der Ölpreis sogar unter 20 Dollar fallen – mit
verheerenden Folgen für die ölabhängigen Volkswirtschaften.
Dauert die Pandemie an, werden Investitionen in neue Ölfelder gegen null
gehen. Bei einem postviralen Anspringen der Weltwirtschaft könnte dann
wiederum eine neue Gier nach dem schwarzen Gold kaum zu decken sein. Die
Zeit nach der Pandemie – kaum vorherzusagen. Fest steht nur: Öl steht vor
den größten Turbulenzen überhaupt, Corona ist die Zeitenwende für die
Rohstoffmärkte.
24 Mar 2020
## AUTOREN
Manfred Kriener
Jörg Schindler
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