# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Tödliche Sanktionen in Iran | |
> Die Corona-Krise trifft Iran besonders heftig. Dazu trägt auch das von | |
> den USA verhängte Einfuhrverbot für medizinisches Material bei. | |
Bild: Ladenbesitzer auf dem Großen Basar in Teheran, 17. März 2020 | |
Zum ersten Mal seit fast 60 Jahren hat Iran am 12. März den Internationalen | |
Währungsfonds (IWF) um Hilfe gebeten und die sofortige Freigabe von 5 | |
Milliarden Dollar beantragt. Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad | |
Sarif erklärte, sein Land brauche diese Mittel für den Kampf gegen das | |
Coronavirus. Am selben Tag kündigte der Sprecher des Ministers, Sayed Abbas | |
Mussawi, auf Twitter einen Brief an den UN-Generalsekretär an, „der die | |
Notwendigkeit unterstreicht, alle einseitigen und illegalen Sanktionen der | |
USA gegen Iran aufzuheben“. | |
[1][Iran ist nach China und Italien am schlimmsten von der Pandemie | |
betroffen]. Bis zum 18. März gab es 18.663 Fälle und 1.213 Tote. Das sind | |
allerdings nur die bestätigten Fälle, die Dunkelziffer liegt viel höher. | |
Der erste Fall wurde am 19. Februar bekannt, der Ursprung der Krankheit in | |
Iran ist nicht geklärt. Manche beschuldigen die Fluggesellschaft Mahan Air, | |
die im Februar weiterhin chinesische Flughäfen ansteuerte. Andere machen | |
einen iranischen Händler verantwortlich, der in China unterwegs war. Auch | |
die chinesischen Schüler der Koranschule von Ghom stehen unter Verdacht. | |
Die offiziellen Statistiken zeigen, dass die Zahl der Covid-19 | |
zugeschriebenen Todesfälle täglich steigt. Seit dem 8. März hat sich die | |
Sterblichkeitsrate im Verhältnis zu den bestätigten Fällen mehr als | |
verdoppelt und ist von 2,5 auf 6,5 Prozent gestiegen. Mehrere Abgeordnete | |
halten die offiziellen Zahlen für weit untertrieben. | |
Das Gesundheitssystem ist heillos überfordert. Und es besteht kein Zweifel, | |
dass die US-Sanktionen ihren Teil dazu beitragen. „Wenn man einem Land 40 | |
Prozent seiner Einnahmen raubt, indem man es hindert, sein Erdöl und Erdgas | |
zu exportieren, ist das Gesundheitssystem zwangsläufig betroffen“, fasst | |
der Ökonom Thierry Coville zusammen. | |
## Einfuhrverbot für medizinisches Material | |
Mit der Schweiz als Vermittler hatte Donald Trump zwar Ende Februar | |
humanitäre Hilfe angeboten, allerdings ohne konkrete Vorschläge zu machen. | |
„Sie müssen einfach nur darum bitten“, behauptete er. Der iranische | |
Präsident Hassan Rohani antwortete am 4. März, wenn die USA dem Iran | |
wirklich helfen wollten, sollten sie die Sanktionen gegen das Land | |
aufheben, vor allem das Einfuhrverbot für medizinisches Material. | |
Frankreich, Deutschland und Großbritannien haben am 2. sowie am 16. März | |
symbolische Unterstützung geleistet, indem sie Ausrüstung für Labortests | |
sowie weitere Ausstattung wie Schutzanzüge und Handschuhe lieferten. Die | |
größte Hilfe kommt jedoch aus China, das Experten und von chinesischen | |
Spendern bezahlte Solidaritätskonvois geschickt hat. Der chinesische | |
Präsident Xi Jinping erklärte am 14. März, China werde weiterhin im Rahmen | |
seiner Möglichkeiten Hilfe leisten, um Iran bei der Eindämmung der Epidemie | |
zu unterstützen. | |
Im Kampf gegen das Virus steht das medizinische Personal an vorderster | |
Front. Ärztinnen und Pfleger arbeiten unter sehr schwierigen Bedingungen, | |
denn es mangelt an allem. Einige von ihnen haben sich bei der Pflege von | |
Kranken selbst angesteckt und sind gestorben. In den soziale Netzwerken | |
teilen die Iraner millionenfach Posts, um ihnen zu gedenken. | |
Seit ein paar Tagen werden im Internet Videos verbreitet, in denen | |
medizinisches Personal in OP-Kitteln und mit Mundschutz zu traditioneller | |
Musik oder iranischem Pop tanzen. Mehrere Videos sind mit den Hashtags | |
#tchalech-e_raqs (Tanz-Herausforderung) oder #corona_ra_chekast_midahim | |
(wir werden Corona besiegen) versehen. | |
## Gedränge auf Teherans Straßen | |
In Teheran hat die Bevölkerung die staatlichen Anweisungen nicht immer | |
befolgt. Der Zuständige für die Bekämpfung des Virus in der Hauptstadt | |
erklärte am 14. März: „Obwohl wir die Bevölkerung vor der Verbreitung des | |
Coronavirus gewarnt haben, beobachteten wir heute in Teheran ein Gedränge | |
wie selten.“ | |
Mit einem strengen Maßnahmenkatalog sollen landesweit „die Geschäfte, die | |
Straßen und die Autobahnen geleert werden“, wie Generalstabschef Mohammad | |
Hossein Bagheri in einer Fernsehansprache verkündete. Eine neu geschaffene | |
Kommission soll die Durchsetzung des Beschlusses überwachen. | |
Bereits am 12. März rief der oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei alle | |
bewaffneten Kräfte im Kampf gegen Covid-19 auf den Plan. Sie sollen vor | |
allem die Bewegung der Menschen kontrollieren, sowohl innerhalb als auch | |
außerhalb der Städte. Die sichtbare Präsenz der Revolutionsgarden und der | |
Armee, etwa beim Versprühen von Desinfektionsmitteln, scheint aber auch der | |
Imagepflege zu dienen. Nach der brutalen Niederschlagung der Proteste gegen | |
die Benzinpreiserhöhung im November 2019 hatte ihre Ansehen stark gelitten. | |
Die Krankheit, die Quarantäne, das Runterfahren des öffentlichen Lebens | |
belasten die iranische Bevölkerung, die schon vor der Corona-Krise unter | |
Druck stand. Tausende Geschäfte sind geschlossen, in vielen Werkstätten und | |
Unternehmen wird nicht mehr gearbeitet. Vielen Menschen brechen die | |
Einnahmen weg. | |
## Kredite mit 4 Prozent Zinsen | |
Das Hilfsprogramm der Regierung besteht darin, Bauarbeitern, Saisonkräften, | |
Tagelöhnern, Händlern, Taxifahrern und Angestellten in der Gastronomie | |
einen Kredit von ein bis 2 Millionen Toman (66 bis 120 Euro) anzubieten, | |
zurückzuzahlen mit 4 Prozent Zinsen. Davon werden ungefähr drei Millionen | |
Familien profitieren. Wer gar keine Einnahmequellen hat, erhält Gutscheine | |
über 200.000 Toman (15 Euro) pro Monat für eine Einzelperson und bis zu | |
600.000 Toman (40 Euro) für Familien mit fünf oder mehr Personen. Am 16. | |
März hat die einflussreiche Bonyad-e Mostazafan, die „Stiftung für | |
Besitzlose“, angekündigt, jeweils 1 Million Toman an 4.000 Händler im Süden | |
Teherans zu zahlen. | |
Das alles ist jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die | |
Hilfsmaßnahmen für die bedürftigen Bevölkerungsschichten werden dem Ausmaß | |
der Katastrophe bei Weitem nicht gerecht. Die iranische Wirtschaft ist | |
durch Trumps Politik des „maximalen Drucks“ und durch die grassierende | |
Korruption geschwächt. Allein die Vermögenden und Großunternehmer können | |
aufatmen, ihnen wurden für dieses Jahr Steuersenkungen versprochen. | |
Auch wenn das Virus selbst keine sozialen Unterschiede kennt [2][und die | |
Krankheit jeden treffen kann] – die Folgen sind für die benachteiligten | |
Schichten viel härter. Für Menschen, die ohnehin kaum über die Runden | |
kommen, ist es auch viel schwieriger, die Hygiene-Vorschriften einzuhalten. | |
Trotz empfohlener Quarantäne sind zum Beispiel tausende Lieferanten | |
unterwegs und versorgen jene, die es sich leisten können, zu Hause zu | |
bleiben. Jeden Tag werden zudem Verkäufer von Hehlerware verhaftet. Der für | |
Wirtschaftssicherheit zuständige Polizeichef meldete, dass allein am 14. | |
März im ganzen Land mehr als 16 Millionen gestohlene sanitäre Hilfsmittel | |
(Handschuhe, Desinfektionsmittel, Masken usw.) konfisziert wurden. | |
In der jetzigen Situation kommt die von den USA verhängte Blockade, vor | |
allem für sanitäre Produkte, endgültig einem Verbrechen gleich. Wie groß | |
ist die Chance, dass der IWF positiv auf den iranischen Antrag reagiert? | |
Kann er Iran überhaupt ohne die Zustimmung aus Washington helfen? Wie | |
werden die großen internationalen Organisationen und die anderen Länder | |
reagieren, die selbst mit der Pandemie beschäftigt sind? Wer wagt es, in | |
diesen Zeiten einer nie dagewesenen Gesundheitskrise die USA | |
herauszufordern? In Iran ist die Situation außer Kontrolle. | |
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz | |
23 Mar 2020 | |
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Marmar Kabir | |
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