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# taz.de -- Historischer Reisebericht von Damaskus: Mashallah und vorwärts!
> Im 19. Jahrhundert schreibt Hermann von Pückler-Muskau seinen
> Reisebericht zu Damaskus – der „bigottesten Stadt des türkischen Reichs�…
> – ein Auszug.
Bild: Hermann von Pückler-Muskau auf einer zeitgenössischen Zeichnung in „o…
Wir finden uns jetzt an den Thoren von Damaskus, auf einer großen, von
einem Fluß und mehreren Bächen durchströmten Wiese wieder, auf der einige
hundert Pferde weiden, baden oder lustig umherspringen. Durch alle Straßen
der Stadt wird man von diesem Reichthum an Wasser begleitet, welcher der
Ebene von Damaskus eine dem übrigen Orient fast unbekannte Frische der
Vegetation […] ertheilt, was auch Scham bei den Türken, die das frische
Wasser über alles lieben, den Namen des irdischen Paradieses verschafft
hat.
Durch die Feuchtigkeit aber, die es allen Wohnungen mittheilt, wird der
hiesige Aufenthalt für Ausländer gefährlich und selbst für die Eingebornen
ungesund. Der Palast, in dem ich wohnte, gab Zeugniß davon, denn in allen,
zugleich vergoldeten und verstockten, Gemächern des untern Stocks trieften
die Wände, wofür der Marmorhof unter meinen Fenstern mit seinen Fontainen
und Orangenbäumen auf die Länge doch nicht ganz entschädigte.
Die Stadt selbst ist so von hohen Nußbäumen, Pappelarten, Trauerweiden,
großen Aprikosen-, Pistazien- und andern Fruchtbäumen, gemischt mit üppig
wucherndem Gebüsch, umschlossen und durchzogen, daß man hereinkommt fast
ohne es zu wissen. Die Straßen sind breiter als in Kahira, und lange ritten
wir durch reich gefüllte Bazare, durch die bekannten „Schichten von Gestank
und Wohlgeruch“, durch jenes Gedränge von Menschen, Pferden und Eseln, das
oft einer Emeute gleicht und in seinem buntscheckigen, stets wechselnden
Getümmel den Europäer immer von neuem in Staunen versetzt.
Sobald ich mich einigermaßen in der mir angewiesenen Wohnung eingerichtet
hatte, erhielt ich den Besuch Bachary Bey’s, Stellvertreter des Pascha
Gouverneurs, welcher bei der Armee ist. Dieser Bey, dem eine der
wichtigsten Stellen im Lande durch seine hiesige Ernennung anvertraut ward,
ist ein Christ. Wie haben sich darin unter Mehemed Ali’s Scepter die Zeiten
geändert!
## Der Pferdehandel
Damaskus, die bigotteste Stadt des türkischen Reichs, wo sich noch vor
nicht langer Zeit kein Christ in europäischer Kleidung sehen lassen durfte
ohne gesteinigt zu werden, beugt sich ruhig unter die officielle Amtsgewalt
eines Giaur. […] Ich hatte Empfehlungsbriefe an den französischen
Vice-Consul, Herrn Baudin, mit mir. […] Herr Baudin befand sich bei der
Expedition des Grafen Deportes, den Ludwig XVIII. zum Einkauf arabischer
Pferde nach dem Orient sandte […]
Herr Baudin [erzählte] als Augenzeuge eine andere drollige Anekdote, den
noch schönern Massud betreffend, welchen ich in Tarbes am Fuß der Pyrenäen
gesehen hatte. Der Eigenthümer dieses Pferdes war wohl zehnmal, nach schon
halb geschlossenem Handel, wieder davon gejagt und zuweilen Tage lang
ausgeblieben, ohne Herrn Deportes Geduld ermüden zu können, der einmal um
jeden Preis sich dieses herrlichen Pferdes bemächtigen wollte. Endlich
gelang es dem Grafen vollständig Handels eins zu werden, und der Araber
ritt diesmal nur wieder fort, um seine Stute zu holen, die er sich bedungen
hatte zum Abschied durch Massud decken zu lassen. Als er aber zurückkam,
schien der Handel ihn dennoch von neuem zu gereuen, und Baudin konnte den
Unbeständigen nur durch das Versprechen eines bedeutenden Extrageschenkes
über die Kaufsumme beschwichtigen.
Wohlan denn, rief Massud’s Besitzer: Ihr mögt das Pferd haben, ich nehme
das Geld und das Geschenk dafür an, aber – ich will außerdem noch die
rothen Hosen des Effendi, und das ist mein letztes Wort! Der Graf Deportes,
obgleich seine Garderobe sehr schlecht in der Wüste bestellt war, nur
beeifert, so schnell als möglich den eigensinnigen Schech zu befriedigen,
zog augenblicklich die begehrten Inexpressibles aus, blieb im Hemde stehen,
und athmete erst wieder auf, als er den Araber mit der rothen Hose in der
Hand triumphirend auf seiner Stute dahin fliegen sah. […]
## Syrien im Aufstand
Schon in Beirut hatte ich fortwährend blessirte Offiziere aus dem Hōran
zurückkommen sehen, unter andern selbst den, eine Zeit lang die Armee en
chef commandirenden, Kriegsminister mit zerschmetterter Hand, und nebenher
so viel von den außerordentlichen Verlusten der Ägypter, besonders an
Offizieren (welche die in den Felsen versteckten Drusen sich hauptsächlich
als Zielscheibe erwählen) gehört, daß ich sehr neugierig war, diesen Krieg
von nahem zu betrachten, um so mehr, da jetzt Ibrahim Pascha das Commando
in eigner Person und mit Zuziehung Soliman Pascha’s übernommen hatte. […]
Nach den europäischen Zeitungsnachrichten müßte man zu dem Glauben verführt
werden, daß ein großer Theil Syriens, namentlich des Gebürges, im Aufstand
begriffen sey, und eine bedeutende Macht den Truppen des Vicekönigs
entgegenstehe. Dies ist ganz irrig. Alle Drusen, welche unter dem Einfluß
des Emir Beschir stehen, der ganze Libanon mit Einem Wort, so wie das
Littoral und Palästina, haben nie einen Antheil an dem Aufstande genommen
[…]. Nur ein abgesonderter Theil der Drusen, der im Hōran und namentlich im
Gebürge Ledschiāh haust, stets Räubereien verübte und von dem früheren
schwachen Gouvernement der türkischen Pascha’s nie anders als auf kurze
Zeit in Gehorsam erhalten werden konnte – ein Stamm, der höchstens an 3000
streitbare Männer zählt und beim Beginn seiner Insurrection durch
mißvergnügte Überläufer und raubsüchtige Beduinen der Wüste vielleicht um
das Doppelte sich vermehrt hatte, ist der einzige Feind, den Mehemed Ali zu
bekämpfen genöthigt wurde.
Wenn dessen ungeachtet diese verhältnißmäßig geringe Zahl nicht nur seit
mehreren Monaten einer sechsfach überlegenen Armee Widerstand zu leisten
vermochte, sondern, wegen begangener Fehler der früheren ägyptischen Chefs
und ihrer zu großen Verachtung des falsch beurtheilten Feindes, den Truppen
Mehemed Ali’s sogar einige nicht unbedeutende Schlappen beibrachte, so
liegt doch der Hauptgrund davon nur in der höchst sonderbaren und fast
unangreifbaren Localität, welche jene Drusen, denen man übrigens die größte
Tapferkeit, ja Tollkühnheit nicht absprechen kann, inne hatten.
Es ward hier im Kleinen wiederholt, was wir im Großen theils in Spanien
gegen Napoleon’s Armee gesehen, theils in dem fast unbegreiflich langen
Widerstande der Völker des Caucasus gegen die colossale Macht Rußlands noch
heute gewahr werden. Ein vulcanisches Gebürgsterrain von 8 Stunden Länge
und 4 bis 5 Stunden Breite, das einem Labyrinthe gleicht, in dem kaum zu
Fuß mühsam kletternd und zu Pferde gar nicht fortzukommen ist, wo man
meistens den Feind gar nicht zu sehen bekommt, und dennoch von einem
Kugelregen aus der Hand der geübtesten Schützen getroffen wird, bietet
weder für Strategie noch Taktik einen hinreichenden Spielraum dar, und ist
selbst mit der größten Menschenaufopferung mit Gewalt nicht schnell zu
nehmen.
Ein solcher Krieg mußte gerade die regulären Truppen am leichtesten
demoralisiren. Dies um so mehr, da die Drusen durchaus keinen Pardon gaben,
was bei den Ägyptern, statt Erbitterung hervorzubringen, nur den panischen
Schrecken vergrößerte, den ihnen diese ungewohnte Art des Krieges nach und
nach eingeflößt hatte.
## Bei Nacht und Nebel
Aus diesem letztern Grunde riethen mir denn auch die Herren persönlich sehr
von einem solchen Unternehmen ab, da, wie bekannt, die Drusen Jedem, der in
ihre Hände fiele, von welchem Range er auch sey, ohne Umstände den Hals
abschnitten. Dies war allerdings gegründet und manchen vornehmen Krieger
hatte solches Loos bereits getroffen.
Das Project war mir indeß zu interessant, um es aus einer banalen
Delicatesse oder albernen Furcht aufzugeben, und ich beschloß zu dem Ende,
im Einverständnisse mit dem mir von Boghos Bey in Alexandrien mitgegebenen
Cavaß, der ohnehin sich sehr schlecht mit dem Vice-Gouverneur vertrug, mich
einer kleinen List zu bedienen. Nachdem ich im Stillen alle meine
Vorbereitungen gemacht, bat ich nur um eine Escorte von sechs Mann, um eine
Excursion rund um die vegetationsreiche Ebene von Damaskus zu machen –
gewiß daß, einmal aus der Stadt, ich nachher jeden beliebigen Weg
ungehindert einschlagen könne.
Um noch sicherer zu gehen, brach ich, die Tageshitze vorschützend, erst mit
Einbruch der Nacht auf. Der Mond schien hell und der Weg in diesem
Gartenwalde blieb meist von alten Bäumen alleeartig überwölbt, durch deren
Laubdach das goldene Licht in tausend Funken flimmerte, die ganze
Atmosphäre duftete balsamisch und nur ein milder Luftzug säuselte kühlend
in den Blättern – es war lieblich wie im Paradiese.
Ich blieb nach kurzem Marsch im Dorfe Nedscha, das kaum vier Stunden von
Scham entfernt ist, um dort den Morgen zu erwarten. Denn ich hatte einen
Oberoffizier mit 100 Pferden irregulärer Cavallerie daselbst angetroffen,
der einen Transport Munition und Lebensmittel nach Ibrahim’s Lager bringen
sollte, aber auf die Nachricht eines bedeutenden dort vorgefallenen
Gefechts, und aus Besorgniß, in Folge dessen auf die Hauptmacht der Drusen
zu stoßen, gestern wieder zurückgekehrt war, um hier fernere Befehle zu
erwarten. Bei diesem hatte ich die beste Gelegenheit, Erkundigungen
einzuziehen. Er wollte mir mit orientalischer Höflichkeit sein eigenes
Zimmer abtreten und präparirte sich schon mit seinen Leuten auf der
Terrasse zu schlafen. Natürlich gab ich dies nicht zu, sondern bat ihn nur
um zwei Plätze neben ihm für mich und den Grafen, wo wir in unsere Mäntel
gehüllt uns einige Stunden auf Teppiche niederlegten.
Doch gestatteten uns die Flöhe durchaus keinen Schlaf, während die Türken
wie Blasebälge schnarchten. Nie habe ich einen Orientalen gefunden, der
sich über die Plage der Insekten beklagt, oder überhaupt davon zu leiden
geschienen hätte. Entweder sind sie gefühllos dagegen, oder die Lehre der
Prädestination tröstet sie auch darüber. Glücklicherweise hatte ich den mir
von Herrn Kilbin geborgten, ergötzlichen Roman Pickwick bei mir, dessen
unterhaltender Inhalt mich einigermaßen zerstreute, und hier wahrscheinlich
zum ersten Mal als Hülfsmittel gegen Wanzen und Flöhe angewendet wurde.
Als am Morgen der Offizier erwacht war und mich einigemal laut lachen
hörte, kam er neugierig herbei, um nach der Ursach zu fragen. Ich zeigte
ihm die humoristischen Kupfer, mit denen die Ausgabe illustrirt war. Er
betrachtete sie nicht nur mit großer Aufmerksamkeit, sondern verfehlte auch
nie, den Finger mit ausdrucksvoller Pantomime auf die Gegenstände zu legen,
welche ihn am meisten interessirten. Diese waren jedoch immer nur dreierlei
Natur, nämlich: hübsche Mädchen, Weintrinkende oder sich Prügelnde.
Es war allerdings etwas tollkühn, trotz der beunruhigenden Gerüchte, mit
meinen paar Leuten, die indeß durch meinen Freund, den Offizier, um vier
Mann vermehrt worden waren, den Weg nach dem Lager einzuschlagen; aber
benutzte ich den Augenblick nicht, so kam ich wahrscheinlich nie hin.
Überdies war es ja nur um einen Tag zu thun, und den Prädestinationsglauben
habe ich mir, seiner praktischen Nützlichkeit halber, auch schon so
ziemlich angeschafft. Also dachte ich türkisch und preußisch zugleich:
Mashallah und vorwärts!
18 Apr 2020
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