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# taz.de -- Historischer Reisebericht vom Amazonas: Der Busch ist immer nass
> Von 1849 bis 1865 unternimmt der Botaniker Richard Spruce eine Exkursion
> in das Amazonasbecken. Sein Reisebericht lässt die Strapazen erahnen.
Bild: Im überfluteteten Regenwald wird man auf jeden Fall nass
Bisher hatte das Wetter uns begünstigt, denn wir hatten keine schweren
Regenfälle erlebt, und ich war guter Hoffnung, dass es lange genug trocken
bleiben würde, um es mir zu ermöglichen, eine große Sammlung von Pflanzen
anzulegen. Ich wollte einen Rancho [Schutzhütte] am Strand errichten, aber
die Indianer erklärten sich zu müde dafür, verschoben die Aufgabe bis zum
Morgen und begnügten sich mit einem behelfsmäßigen Dach aus den Yapás
[geflochtene Matte].
Die beiden folgenden Tage und Nächte waren regnerisch, mit heftigen
Gewittern in kurzen Intervallen, die den Mangel an einer Hütte stark
fühlbar machten und dennoch als Ausrede für die Indianer dienten, die (wie
sie sagten) keine Palmblätter im Regen schneiden und durch den nassen Wald
ziehen konnten.
Am 28. war der Himmel bei Tagesanbruch vollkommen klar und schien einen
schönen Tag zu versprechen, sodass ich verlockt war, einen Versuch zu
wagen, die Serra de Carnaú zu erreichen und auch zu ersteigen, wenn die
Zeit es erlaubte. Wir konnten sie von unserem Lager aus nicht sehen, aber
der letzte Anblick, den ich davon auf unserem Weg hatte, hatte mir
bestätigt, dass sie direkt vom östlichen Ufer des Flusses aufstieg.
Wir ließen einen Mann zurück, um unser Lager zu bewachen, und nahmen die
anderen drei mit uns, um einen Pfad durch den Wald zu bahnen. Die Sonne war
kaum aufgegangen, als wir aufbrachen, und mein Rat war, dem Flussufer zu
folgen; aber mit dem Blick auf die Mündungen einiger Igarapés [kleine
Seitenarme des Flusses], die wir in einiger Entfernung den Fluss hinauf
sehen konnten, schlugen sich die Indianer ostwärts in den Wald, erstiegen
Hügel und kletterten in Täler, die mit Bambus und Murumurú-Palmen gefüllt
waren, deren Stacheln eine Länge von mehreren Zoll hatten.
## Verirrt im Regenwald
Wir waren so einige Stunden gegangen, als sie zu zweifeln schienen, welchen
Weg wir nehmen sollten. Drei Mal erkletterten sie hohe Bäume, um nach
Carnaú Ausschau zu halten, konnten aber weder Berg noch Fluss sehen.
Mittags, nachdem wir sechs Stunden auf den Beinen gewesen waren, hielten
wir gerade an, um über die wahrscheinliche Richtung unseres Ziels zu
beraten, als sich zwei der Männer, ohne ein Wort zu sagen, wieder auf den
Weg in unser Lager machten. Meine Erfahrung mit solchen Waldwanderungen war
noch sehr gering, und ich wusste nicht, wie wichtig es war, niemals die
indianischen Führer aus den Augen zu verlieren.
Ich vermutete (irrtümlich, wie sich herausstellte), dass wir nicht weit vom
Fluss entfernt waren, und dass wir ihn leicht erreichen konnten, indem wir
dem Verlauf eines der zahlreichen Igarapés folgten. […] Also suchten wir
mit dem Cafúz [Nachfahre aus einer Verbindung zwischen Schwarzen und
Indigenen] Manoel, der bei uns geblieben war, als Wegbereiter nach einem
Igarapé. Nachdem wir einen gefunden hatten, begannen wir, an ihm entlang
hinabzusteigen – keine leichte Aufgabe, denn sein Lauf führte, wenn er
nicht dicht mit Büschen und Lianen besetzt war, durch Ebenen von
verstricktem Bambus und schneidenden Gräsern, die man nur auf Händen und
Knien passieren konnte.
Der Tag war übermäßig schwül, als sich plötzlich der Himmel bewölkte und
die feierliche Stille durch ein Stöhnen im Wald unterbrochen wurde, das
sich bald zu einem Getöse verstärkte, und ein schreckliches Gewitter über
uns ausbrach. Mitten darin blieb King stehen, um die Schale einer Castanha
[Paranuss] aufzubrechen, und blieb zurück. Die Regenfluten verschleierten
die Luft, und die unablässigen Donnerschläge und das Prasseln der
Regentropfen auf den Blättern überdeckten jeden anderen Klang, sodass wir
ihn einige Zeit lang nicht vermissten, ihn auch nicht nach uns rufen
hörten, was er, wie er uns nachher erzählte, getan hatte. Wir dachten, er
würde sich uns bald wieder anschließen, indem er dem Lauf des Igarapé
folgte.
Als ich auf ihn wartete, verlor ich auch Manoel aus den Augen, und eine
halbe Stunde verstrich, bevor wir uns wieder fanden. Ich ließ ihn dann
einen hohen Baum erklettern, und wir riefen – ich von dessen Fuß, er von
oben – nach unserem Begleiter, bis wir heiser waren.
Es war etwa 3 Uhr, als wir zu unserer sehr großen Freude die Stimme von
King hörten, und kurz darauf holte er uns ein. Nachdem er seine Kastanien
aus ihrer Schale geklaubt hatte, war er versehentlich einen Nebenfluss des
Igarapé hinaufgestiegen, und der Anstieg war so gering, dass er seinen
Fehler nicht bemerkte. Nachdem er eine Meile weit gegangen war, sah er zwei
Blätter auf dem Wasser treiben und erkannte, in welche Richtung das Wasser
rann, und ging sofort auf seinen Spuren wieder zurück.
Der Igarapé schien endlos zu sein, und wir fingen an zu fürchten, dass er
in irgendeinem Palmensumpf enden würde, als wir um etwa 4 Uhr nachmittags,
genau als der Regen aufhörte, durch den Anblick des Flusses erfreut wurden.
Sein Anblick war uns jedoch sehr befremdlich, so still und ruhig wie ein
See – und der Berg, den wir gesucht hatten, lag zum Greifen nah im Norden.
Westlich stürzte sich in einiger Entfernung ein anderer Fluss über Felsen
hinunter, um sich dem anzuschließen, an dem wir standen, und an ihrem
Zusammenfluss lag eine Halbinsel aus rohen Granitblöcken, die zu großer
Höhe aufgetürmt waren. Wir waren eindeutig weit von unserem Lager entfernt,
und unser einziger Gedanke war, es so schnell wie möglich zu erreichen.
## Spärliche Mahlzeiten
Wir begannen also flussabwärts zu gehen, aber es war unmöglich, seinem Ufer
zu folgen, denn es gab keinen Strand, und der Wald war dort dichter und
undurchdringlicher als ein klein wenig weiter im Landesinneren. Ich stellte
fest, dass Manoel viel schneller vorwärtskam als wir, und als die Sonne
sank, sandte ich ihn voraus mit der Anweisung, etwas zu kochen, wenn er das
Kanu erreichte, und auf unsere Ankunft zu warten – ein weiterer Fehler
meinerseits, denn Manoels Terçado [Buschmesser] hätte unser Vorwärtskommen
durch den Wald sehr erleichtert.
Wir kämpften uns weiter bis kurz nach Sonnenuntergang, als es zu dunkel
wurde, um weiterzugehen. Denn obwohl der Mond noch fast voll war, dauerte
es noch eine Weile, bis er über die Baumkronen stieg. Wir setzten uns an
den Fuß eines großen Baumes, in den Winkel zwischen zwei Sapopemas
[Brettwurzeln]; aber sowohl der Baum als auch der Boden waren sehr nass,
und wir selbst waren gründlich eingeweicht, denn auch nach dem Regen fiel
von jedem Busch, durch den wir uns drängten, und von jeder Liane, die wir
durchschnitten, ein Tropfenschauer auf uns herunter.
Unsere Situation war keine beneidenswerte, denn wir hatten keine Waffen
außer Kings Terçado und meinen Geologenhammer und kein Material, um ein
Feuer anzuzünden. Wir hatten ein wenig gebratenen Pirarucú [eingesalzener
Fisch] und Farinha [Maniokmehl] in einer Tasche, und obwohl sich das
Letztere durch den Regen in eine klebrige Paste verwandelt hatte, machten
wir eine spärliche Mahlzeit daraus. Nach einer Weile fingen wir an zu
frieren und schläfrig zu werden; aber hätten wir uns unter solchen
Umständen erlaubt zu schlafen, könnten wir beim Erwachen zu steif geworden
sein, um uns noch zu bewegen; gar nicht von der Gefahr zu reden, von
Jaguaren angegriffen zu werden, die, wie uns gesagt worden war, reichlich
in den Wäldern der Caxoeiras [Stromschnellen] vorhanden sein sollten.
Wir nahmen unseren Marsch wieder auf, aber die Nacht war bewölkt, und kaum
ein Strahl des Mondlichts durchdrang den dichten Wald. Wie auch immer – wir
kletterten weiter, fielen in stachelige Palmen und verstrickten uns in
Sipós [Lianen], von denen einige auch stachelig waren. Sogar tagsüber sind
Sipós ein großes Hindernis für das Reisen in einem pfadlosen Wald; was
müssen sie dann bei Nacht sein! Tritt man auf einen solchen kriechenden
Sipó, und versucht dann schnell, den Fuß zurückzuziehen, gibt man dem Sipó
eine zusätzliche Wendung und wird vielleicht umgeworfen; oder bückt man
sich, um ihn zu entwirren, wird das Kinn von einem dicken verdrehten Sipó,
der zwischen zwei Bäumen hängt, wie in einem Halfter gefangen gehalten.
Einmal gerieten wir auf einen Pfad großer Ameisen, die über unsere Beine
und Füße drängten und uns schrecklich bissen, und es dauerte viele Minuten,
bevor wir uns von ihnen befreien konnten. […] Hin und wieder überquerten
wir einen Igarapé, entweder indem wir das Wasser durchwarteten oder durch
das Überqueren eines gefallenen, rutschigen Stammes, der ihn überbrückte.
## Zeckenbisse und Stiche
Um 1 Uhr morgens erreichten wir unser Lager – schmerzlich misshandelt und
vom Wege erschöpft. Die Auswirkungen dieser katastrophalen Reise spürten
wir noch eine ganze Woche. Neben den rheumatischen Schmerzen und der
Steifheit, die durch die Feuchtigkeit hervorgerufen wurde, waren unsere
Hände, Füße und Beine zerrissen und dick mit Stacheln gespickt, von denen
einige Geschwüre erzeugten. Im Vergleich dazu war der Verdruss, der durch
die Bisse von großen und kleinen Zecken und die Stiche von Wespen und
Ameisen verursacht wurde, unbedeutend und vergänglich. […]
Der Leser möge sich die große Ausdehnung des waldbedeckten Amazonas-Tals
vorstellen; wie wenig Ansiedlungen von Menschen sich darin befinden und wie
weit voneinander entfernt sie liegen; und wie dicht die Vegetation darin
ist, sodass es kaum möglich ist, weiter als ein paar Schritte zu blicken,
besonders wenn der Boden eben ist; sodass der verloren gegangene Reisende
der Hilfe oder bekannten Pfaden oder Wegzeichen sehr nah sein kann, ohne es
zu wissen. Ich habe von einem Indianer gehört, der sich vor Kurzem in einer
neuen Lichtung angesiedelt hatte und eines Morgens ausgegangen war, um
Brennholz zu suchen. Er irrte den ganzen Tag umher, bevor er seine Hütte
wiederfinden konnte. […]
Wenn man sich auf den Weg durch den Wald macht, ist es ratsam, die
störenden Äste nicht völlig abzuhacken, sondern sie halb anzuschneiden oder
anzubrechen und sie in Wegrichtung zu biegen. Das ist besonders notwendig,
wenn mehrere Personen gemeinsam losziehen. Die Umgehung eines großen Baumes
kann den Führer vollständig der Sicht verbergen, obwohl er nur wenige
Schritte voraus ist. In der Aufregung, neue Pflanzen zu sammeln, oder bei
der Jagd auf wilde Tiere vergisst man oft, den Weg richtig zu markieren. Es
ist mir mehrmals passiert, wenn ich ganz allein tief im Wald war, dass ich
meine Fußspur nicht mehr finden konnte, als ich an ihr entlang zurückkehren
wollte. Es ist ein ziemlich unangenehmer Moment, wenn man die Überzeugung
gewinnt, dass der Weg unwiederbringlich verloren ist, und auch stärkere
Nerven als die meinen würden wahrscheinlich nicht ganz unbewegt deswegen
bleiben.
Es gibt keine Bäume, die sich alle in die Richtung des vorherrschenden
Windes neigen, keine moosige Seite an den Stämmen wie in den Wäldern der
gemäßigten Zonen. Meine Lösung bestand darin, mich hinzusetzen und geduldig
die Sonne durch die Baumkronen zu beobachten, bis ich ihren Verlauf
festgestellt hatte; dann berechnete ich sorgfältig meinen eigenen Kurs
daraus und folgte diesem auf geradem Weg; auf diese Weise bin ich immer
sicher herausgekommen. Ein Taschenkompass ist zweifellos ein sehr guter
Begleiter in solchen Notfällen, aber er muss in einem wasserdichten Gehäuse
oder Beutel getragen werden, denn der Busch ist fast immer nass, egal wie
klar der Himmel über dem Kopf auch ist.
27 Apr 2020
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