# taz.de -- Israels Siedlungspolitik: Grünes Licht für Annexion | |
> Deutschland sollte helfen, die Straflosigkeit der israelischen | |
> Siedlungspolitik zu beenden, statt Netanjahu zu stützen. | |
Bild: Nablus im Westjordanland, 17. April: militanter Protest gegen die Erweite… | |
Deutschland ist zu Recht stolz auf die langjährige Unterstützung des | |
[1][Internationalen Strafgerichtshofs], dessen rechtliche Grundlage mit dem | |
Römischen Statut 1998 geschaffen wurde. Heute ist Deutschland der | |
zweitgrößte Finanzgeber und sieht den Gerichtshof als zentral an „im Ringen | |
um mehr Gerechtigkeit und beim Kampf gegen die Straflosigkeit schwerster | |
Verbrechen“. Im Widerspruch dazu hat sich die Bundesregierung jüngst gegen | |
eine Untersuchung im Fall Palästinas positioniert und mit Blick auf die | |
[2][Annexionspläne der israelischen Regierung] ein fatales Signal gesendet. | |
Im Dezember 2019 hatte die Chefanklägerin des Internationalen | |
Strafgerichtshofs, Fatou Bensouda, erklärt, dass alle „Kriterien nach dem | |
Römischen Statut erfüllt sind, um eine Untersuchung [zur Situation in | |
Palästina] einzuleiten“. In einem weiteren ausführlichen Bericht von Ende | |
April hat sie das nochmals ausführlich begründet. Eine abschließende | |
Einschätzung zur rechtlichen Zuständigkeit, die eine weitere Kammer des | |
Gerichts abgeben soll, steht wegen der Coronakrise noch aus. | |
Ausgerechnet Deutschland hat sich ins Zeug gelegt, um eine solche | |
Untersuchung im Grundsatz zu verhindern. Das Auswärtige Amt legte eine | |
Einschätzung vor, laut der Palästina nicht die Definition eines Staats nach | |
dem Römischen Statut erfülle und Deutschland den Beitritt zum Gericht auch | |
nie offiziell anerkannt habe. Das ist ein formalistischer Einwand, denn | |
Deutschland hat weder gegen die Aufnahme Palästinas in verschiedene | |
internationale Organisationen noch die Aufwertung als „Beobachterstaat“ in | |
den Vereinten Nationen 2012 gestimmt. Auch als Palästina am 1. April 2015 | |
als 123. Land mit Zustimmung des UN-Generalsekretärs dem Römischen Statut | |
beitrat, gab es keinen Protest der Bundesregierung. | |
Der deutschen Ablehnung vorangegangen ist massiver Druck seitens des | |
israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und seiner Unterstützer – | |
Netanjahu selbst bezichtigte den Gerichtshof des Antisemitismus, ein | |
Vorwurf, mit dem Netanjahu gegenüber den Kritikern seiner Politik | |
leichtfertig umgeht. Dass Deutschland hier nicht lautstark widersprach, | |
dürfte er als Ermutigung für die Fortsetzung seiner Besatzungspolitik | |
interpretieren – und schlimmer noch, als grünes Licht für die aktuell | |
diskutierte und von der neuen israelischen Einheitsregierung in Aussicht | |
gestellte Annexion weiter Teile des Westjordanlands. | |
## Gefahr für Zweistaatenlösung | |
Obwohl Deutschland und die Europäische Union bereits mehrfach deutlich | |
gemacht haben, dass sie eine Annexion ablehnen und als Gefahr für die | |
Zweistaatenlösung sehen, haben sie noch nicht erläutert, welche | |
Konsequenzen ein solcher Schritt für Israel haben könnte. Auch auf den | |
[3][sogenannten Trump-Plan], der israelische Souveränität über | |
palästinensisches Territorium in Aussicht stellt, hat die EU bisher keine | |
Antwort formuliert. Außenminister Maas kündigte im Januar lediglich an, man | |
werde sich mit „dem Vorschlag intensiv auseinandersetzen“. | |
Mit der Ablehnung einer Untersuchung des Internationalen Strafgerichtshofs | |
hat sich Deutschland an die Seite einer kleinen Gruppe von Staaten | |
gestellt, die innerhalb der EU konsequent eine kritischere Linie gegen | |
Netanjahus Politik blockieren, darunter Ungarn, Tschechien und Österreich. | |
Damit verkompliziert die Bundesregierung die Suche nach Handlungsoptionen, | |
um die israelische Regierung nicht nur für die Besatzungs- und | |
Siedlungspolitik zu kritisieren, sondern sie auch von weiteren Schritten – | |
insbesondere der Annexion – abzuhalten. Außerdem untergräbt sie die | |
Autorität des Gerichtshofs, der zuletzt von den USA wegen Ermittlungen zu | |
möglichen Kriegsverbrechen in Afghanistan massiv unter Druck gesetzt wurde. | |
Gerade jetzt wäre es nötig, dass Deutschland und andere EU-Staaten die | |
Unparteilichkeit des Gerichts verteidigen. Eine Untersuchung wäre außerdem | |
eine seltene Gelegenheit, Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der seit | |
über 50 Jahren andauernden israelischen Besatzung nicht nur zu verurteilen, | |
sondern durch ein Ende der Straflosigkeit auch einen wichtigen Schritt zu | |
ihrer Vermeidung zu machen. Während Deutschland und die EU in ihren | |
Erklärungen immer wieder den Ausbau von Siedlungen, Siedlergewalt oder | |
potenzielle Kriegsverbrechen in Gaza kritisieren – ebenso wie | |
unterschiedslose Angriffe palästinensischer Militanter auf israelische | |
Zivilisten –, haben sie bisher keine Maßnahmen ergriffen, um Täter zur | |
Rechenschaft zu ziehen. | |
## Eigene Vorgaben nicht eingehalten | |
Bisher halten sich zahlreiche EU-Staaten, darunter Deutschland, noch nicht | |
einmal konsequent an ihre eigenen Vorgaben, zum Beispiel die Richtlinien | |
zur Kennzeichnung von Siedlungsprodukten oder der klaren territorialen | |
Differenzierung zwischen Israel und israelischen Siedlungen. Dieses 2016 in | |
UN-Resolution 2334 festgeschriebene Prinzip soll verhindern, dass | |
Siedlungen in den Genuss von Vorteilen im Rahmen von Verträgen zwischen | |
Israel und der EU kommen. Aufgrund der zahnlosen EU-Politik kann sich die | |
israelische Regierung sicher sein, dass trotz anhaltender Verletzungen | |
internationalen Rechts die engen Beziehungen nicht gefährdet werden. | |
Angesichts der nun konkreten Aussicht auf Annexion von Teilen des | |
Westjordanlands sollte Deutschland sich für eine Untersuchung des | |
Internationalen Strafgerichtshofs einsetzen. Auch eine formale Anerkennung | |
eines palästinensischen Staats durch die EU sollte wieder auf die | |
Tagesordnung gesetzt werden. Das EU-Mantra einer „nur für beide Parteien | |
akzeptablen, verhandelten Zweistaatenlösung“ ist wohlfeil, denn vor Ort | |
werden von Premier Netanjahu und seinen Bündnispartnern längst Fakten | |
geschaffen. Mit einer israelischen Annexion wäre das Thema endgültig vom | |
Tisch, die Verfestigung einer konfliktreichen Einstaatenrealität die Folge. | |
Für die Umsetzung der Zweistaatenlösung mag es zu spät sein, nicht aber für | |
den Einsatz für die Völker- und Menschenrechte vor Ort. | |
12 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
René Wildangel | |
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