# taz.de -- Schwangerschaftsabbruch in Coronazeit: Eingeschränkter Zugang | |
> Für ungewollt Schwangere droht der Zugang zu Abbrüchen in der Coronakrise | |
> noch schwieriger zu werden. Pro Familia fordert Konsequenzen. | |
Bild: Behandlungszimmer an einem Brandenburger Krankenhaus: Wo werden noch Abbr… | |
Die Ansage ist unmissverständlich: „Seit dem 16.03.2020 sind an den | |
Krankenhäusern bundesweit alle elektiven Eingriffe verschoben | |
beziehungsweise abgesagt worden. Dazu zählen Schwangerschaftsabbrüche“, | |
erklärt das Carl-von-Basedow-Klinikum Saalekreis in Merseburg auf Anfrage | |
der taz. | |
Ziel sei es, „unsere personellen, medizintechnischen und materiellen | |
Ressourcen zu bündeln, um für alle Eventualitäten im Zuge der | |
Corona-Epidemie gewappnet zu sein und auch im Ernstfall handlungsfähig zu | |
bleiben“. Ausnahmen gebe es derzeit nur für „nicht aufschiebbare, | |
medizinisch indizierte“ Eingriffe. „Wir empfehlen den Frauen, ambulante | |
Einrichtungen zu nutzen“, erklärt Kurt Müller, Chefarzt der Klinik für | |
Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Basedow-Klinikum. | |
Damit bestätigt die Klinik, was viele Feminist*innen befürchtet haben: Für | |
ungewollt Schwangere droht der ohnehin prekäre Zugang zu | |
Schwangerschaftsabbrüchen in der Coronakrise [1][noch schwieriger zu | |
werden]. Von den ohnehin [2][nur rund 1.200 Mediziner*innen], die in | |
Deutschland Abbrüche durchführen, zählen viele wegen ihres Alters zur | |
Risikogruppe. | |
Der Landesgeschäftsführer von Pro Familia in Ostbayern, Thoralf Fricke, | |
sagt, auch der letzte verbliebene Arzt in der Region, der nach der zehnten | |
Schwangerschaftswoche überhaupt noch Abbrüche durchführe, habe wegen der | |
Coronapandemie seine Arbeit niedergelegt. Zudem dürften wohl weitere | |
Kliniken die Ansage des Gesundheitsministeriums, alle elektiven Eingriffe | |
zu vermeiden, auch auf Schwangerschaftsabbrüche beziehen. | |
## Ministerium weicht aus | |
Wie viele das sind, ist derzeit allerdings kaum zu sagen – und das | |
Bundesgesundheitsministerium fühlt sich nicht zuständig, diese Frage zu | |
beantworten. Auf Nachfrage heißt es von dort nur: „Die Entscheidung, was | |
medizinisch notwendig ist, treffen die behandelnden Ärzte.“ Unbeantwortet | |
bleibt auch die Frage, zu welchen Alternativen das Ministerium den | |
Betroffenen rät. | |
Die Linksfraktion plant, am Donnerstag einen Antrag in den Bundestag | |
einzubringen, um Klarheit zu schaffen. Darin fordert sie ein Gesetz, das | |
„klarstellt, dass Schwangerschaftsabbrüche notwendige medizinische | |
Leistungen im Sinne der Pandemiebestimmungen für medizinische Einrichtungen | |
sind“. | |
Denn „aufschiebbar“ sind Schwangerschaftsabbrüche keineswegs – in | |
Deutschland sind sie verboten, unter bestimmten Bedingungen allerdings | |
straffrei. Eine dieser Bedingungen ist, dass der Eingriff innerhalb der | |
ersten zwölf Wochen nach Empfängnis vorgenommen wird. Zudem müssen | |
ungewollt Schwangere sich [3][in einer Beratungsstelle beraten] und müssen | |
danach eine Wartefrist von drei Tagen verstreichen lassen, bevor sie den | |
Abbruch bekommen dürfen. Auch das will die Linksfraktion mit ihrem Antrag | |
abschaffen. „Medizinisch ist weder die Beratung noch die Wartezeit | |
erforderlich oder sinnvoll“, sagt deren frauenpolitische Sprecherin | |
Cornelia Möhring. | |
## „Kontrollrechte ausgehebelt“ | |
Bislang antwortete das Gesundheitsministerium nicht nur auf Fragen der | |
taz ausweichend. Auch die FDP wollte vom Ministerium wissen, ob | |
Schwangerschaftsabbrüche zu den „planbaren Eingriffen“ gehören, „die la… | |
des eindringlichen Appells von Gesundheitsminister Jens Spahn an den | |
deutschen Krankenhäusern verschoben werden sollen“. Völlig an der Frage | |
vorbei antwortete das Ministerium nur: Laut Statistischem Bundesamt seien | |
im Jahr 2019 „ca. 3 Prozent“ aller Schwangerschaftsabbrüche stationär im | |
Krankenhaus durchgeführt worden. | |
„Dass die Bundesregierung mit ihrer Nicht-Antwort parlamentarische | |
Kontrollrechte aushebelt, ist ein schlechtes Zeichen“, sagt Katja Suding, | |
stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. „Das Zurückhalten | |
dieser wichtigen Information offenbart eine unsägliche Gleichgültigkeit | |
gegenüber betroffenen Frauen, die schleunigst Klarheit erhalten müssen.“ | |
Dabei ist die Rolle der Krankenhäuser bei Schwangerschaftsabbrüchen längst | |
nicht so marginal, wie das Bundesgesundheitsministerium in seiner Antwort | |
suggeriert: Die meisten Abbrüche dort werden ambulant durchgeführt. | |
Insgesamt fanden 2019 rund 21 Prozent der Eingriffe an Krankenhäusern | |
statt. In Sachsen-Anhalt, wo das Basedow-Klinikum liegt, waren es im | |
vergangenen Jahr sogar ganze 46 Prozent. | |
Es sei dringend notwendig, dass die Bundesregierung klarstelle, dass | |
Schwangerschaftsabbrüche zu den notwendigen Eingriffen gehören, sagt | |
Cornelia Rohn von Pro Familia in Sachsen-Anhalt. „Nur weil wir derzeit eine | |
Pandemie erleben, können wir ungewollt schwangere Frauen nicht dazu | |
verdammen, ihre Schwangerschaft auszutragen.“ | |
## Home-Use als Alternative | |
Der Bundesverband von Pro Familia fordert deshalb sowohl das | |
Bundesfamilien- als auch das Bundesgesundheitsministerium auf, einen „guten | |
Zugang“ zu Abbrüchen zu gewährleisten. Ein Beitrag dazu sei der sogenannte | |
Home-Use des medikamentösen Abbruchs. Dabei könnten Schwangere die | |
Medikamente Mifepriston und Misoprostol, die einen Schwangerschaftsabbruch | |
auslösen, nach medizinischer Anleitung zu Hause einnehmen. | |
„Deutschland sollte hier seinen Frauen zur Seite stehen“, schreibt Pro | |
Familia. Einige europäische Länder, darunter Großbritannien und Irland, | |
hätten den Home-Use während Corona bereits erlaubt, heißt es in der | |
Pressemitteilung. | |
Derweil haben sich mehr als 100 Organisationen aus ganz Europa, die zu | |
Frauenrechten arbeiten, in einem gemeinsamen Statement an die europäischen | |
Regierungschef:innen gewandt, darunter Amnesty International, Human Rights | |
Watch, das Center for Reproductive Rights und die europäische Sektion der | |
International Planned Parenthood Federation. Es sei zentral, heißt es | |
darin, dass die Politik Maßnahmen ergreife, um die „Gesundheit, | |
Menschenwürde und physische wie psychische Unversehrtheit“ von Frauen zu | |
sichern, indem sie den sicheren und zeitnahen Zugang zu | |
Schwangerschaftsabbrüchen gewährleiste. | |
Das gelte auch für Länder, in denen Frauen gezwungen sind, beschwerliche | |
und medizinisch unnötige Prozesse wie Pflichtberatungen zu durchlaufen oder | |
wo sie vor Schwierigkeiten stünden, Ärzt:innen zu finden, die Abbrüche | |
vornehmen – also zum Beispiel für Deutschland. | |
„Wir appellieren an diese Länder, diese Hürden dringend abzubauen“, | |
schreiben die Organisationen. „Stellen Sie klar, dass | |
Schwangerschaftsabbrüche als unverzichtbare und zeitlich prekäre | |
Gesundheitsleistung akzeptiert werden, und garantieren Sie den Zugang zu | |
diesen.“ | |
21 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwangerschaftsabbrueche-und-Corona/!5673197 | |
[2] /Immer-weniger-Aerztinnen/!5487589 | |
[3] /Schwangerschaftsabbruch-in-Corona-Zeit/!5674440 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Dinah Riese | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Abtreibung | |
Jens Spahn | |
Paragraf 218 | |
Paragraf 218 | |
Schwerpunkt Abtreibung | |
Mütter | |
Schwerpunkt Utopie nach Corona | |
Paragraf 218 | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Paragraf 219a | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Streit um Abtreibungen bei den Grünen: Grüne Frauen contra Kretschmann | |
Fachpolitikerinnen stützen den Vorstoß von Baden-Württembergs | |
Sozialstaatssekretärin. Kretschmann sieht keinen Bedarf. | |
Schwangerschaftsabbruch während Corona: Warten auf die Abtreibung | |
In Bremerhaven gibt es niemanden, der Schwangerschaftsabbrüche durchführt, | |
in Bremen bietet Pro Familia nur noch die Hälfte der Termine an. | |
Spätabtreibungen in Deutschland: Letzter Ausweg Holland | |
Jede dritte bis vierte Frau, die eine Schwangerschaft im zweiten Trimester | |
abbricht, fährt in die Niederlande. | |
Zahlen des Statistischen Bundesamts: Immer mehr Mütter arbeiten | |
Neue Zahlen belegen: Immer mehr Mütter sind berufstätig. In Teilen | |
Ostdeutschlands rund die Hälfte in Vollzeit, im Westen sind es deutlich | |
weniger. | |
Expertin zu Frauen in der Coronakrise: „An die Bruchstellen ran – jetzt“ | |
Frauen treffe weltweit eine „Schattenpandemie“, sagt Karin Nordmeyer von UN | |
Women Deutschland. Sie seien in der Coronakrise dramatisch benachteiligt. | |
Schwangerschaftsberatung per Telefon: Abtreibung jetzt mit Datenschutz | |
Niedersachsens Sozialministerin reagiert auf Kritik an ihren strengen | |
Regelungen zur Pflichtberatung vor Abtreibungen während der Pandemie. | |
Regierungserklärung von Angela Merkel: „Eine demokratische Zumutung“ | |
Angela Merkel hat eingeräumt, dass die Corona-Einschränkungen eine große | |
Belastung sind. Trotzdem wendet sie sich gegen allzu schnelle Lockerungen. | |
Beratung zum Schwangerschaftsabbruch: Corona killt den Datenschutz | |
Die Pflichtberatung vor Abtreibungen darf während der Pandemie am Telefon | |
oder mit digitalen Medien stattfinden. Doch die Daten sind nicht geschützt. | |
Schwangerschaftsabbruch in Corona-Zeit: Beratung aus der Ferne | |
Wegen der Corona-Pandemie soll die Pflichtberatung vor einer Abtreibung nun | |
auch telefonisch möglich sein. Damit sind aber nicht alle Probleme gelöst. | |
Schwangerschaftsabbrüche und Corona: „Blutungen bis zum Tod“ | |
Ärzt:innen schlagen Alarm: Durch die Corona-Krise werde der Zugang zu | |
Abbrüchen so erschwert, dass ungewollt Schwangere in Gefahr sind. |