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# taz.de -- Wut auf Deutschland: Gekränktes Italien
> Italien fühlt sich von der EU – insbesondere von Deutschland –
> alleingelassen. Rückhalt gibt es aus allen politischen Lagern.
Bild: Schweigeminute in Rom am 26. März
Rom taz | Jetzt sind sie wieder da, die Bildchen von Angela Merkel mit
Hitler-Schnurrbart. Viral gehen sie durch Italiens soziale Medien, Foren,
Chat-Gruppen. Und viral ging auch der Video-Post des prominenten Komikers
Tullio Solenghi. Der regte sich vor einer Woche, einen Tag nach dem
gescheiterten EU-Gipfel, furchtbar auf über „die Deutschen“. Mit ihrem Veto
hätten sie die Coronabonds verhindert.
Und das, so Solenghi, nachdem sie zwei Weltkriege angerichtet und sechs
Millionen Juden ermordet haben. Jetzt seien sie wieder da mit ihrer
„erbarmungslosen Arroganz“, mit ihrem Glauben, sie seien „eine überlegene
Rasse“.
In der Coronakrise fühlt Italien sich wieder einmal alleingelassen, von
Europa, vorneweg von Deutschland. Es fing damit an, dass Deutschland in den
ersten Märztagen – als in Italien schon die Fallzahlen nach oben schnellten
– die Ausfuhr von Schutzmasken verbot. Eine Woche später machte Berlin
einen Rückzieher, doch die Italiener hatten sich die Nachricht gemerkt.
Als Helfer standen ganz andere da, China, Russland, Kuba, die mit großen
Materiallieferungen, mit der Entsendung von Ärzten und Pflegepersonal
Schlagzeilen machten. Dass mittlerweile 26 italienische Covid-19-Patienten
auf deutschen Intensivstationen behandelt werden, dass dort weitere 81
Plätze reserviert sind, ging dagegen in der italienischen Öffentlichkeit
weitgehend unter.
Zum Scheitern verurteilt
Und dann kam der [1][Europäische Gipfel] vom 26. März. Italien, Spanien,
Frankreich und sechs weitere Länder traten dort mit der Forderung auf,
europäische Coronabonds aufzulegen, um eine gemeinsame und starke Antwort
auf die heranziehende Rezession zu haben. Schon im Vorfeld allerdings hatte
der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier das Vorhaben mit den Worten
abgeschmettert, „die Diskussion über Euro-Bonds ist eine
Gespensterdebatte“.
Unter dieser Prämisse konnte der Gipfel [2][nur scheitern] – vorneweg die
Niederlande, aber auch Deutschland und Österreich mauerten. Den
Alternativvorschlag, statt über Eurobonds solle den am härtesten
getroffenen Ländern wie Italien und Spanien mit Ressourcen aus dem
Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geholfen werden, wies Italiens
Regierungschef Giuseppe Conte brüsk zurück.
„Mit der Brille von vor zehn Jahren“ schaue da Deutschland auf die Probleme
von heute, erklärte er, und in einem Interview mit der „Tagesschau“ legte
er nach: „Ich sage allen deutschen Bürgern: Wir schreiben nicht eine Seite
eines Wirtschaftshandbuchs, sondern eine Seite eines Geschichtsbuchs“.
Am ESM stört vor allem, dass seine Hilfen gewöhnlich an strenge Auflagen
gebunden sind, wie sie Griechenland oder Spanien im Zuge der Eurokrise
erdulden mussten. Conte darf sich mit seiner Position der Zustimmung aller
politischen Lager von links bis rechts sicher sein – die Rechte allerdings
legt noch einen Gang zu. So findet Matteo Salvini, Chef der
rechtsnationalistischen Lega: „Zuerst besiegen wir das Virus, dann müssen
wir dieses Europa überdenken. Und, wenn es nötig ist, verabschieden wir
uns“.
Tiefe Enttäuschung über Europa
Unter den Bürgern ist das Bild nicht anders. Gleich zwei Meinungsumfragen
aus den letzten Tagen kommen zu dem Schluss, 65 Prozent seien tief
enttäuscht über Europa, und stolze 42 Prozent teilen gar die Aussage, das
Handeln der EU sei „ein weiteres Motiv auszutreten“.
Mittlerweile hat sich der europäische Diskurs allerdings verschoben. Jetzt
ist die Rede davon, ESM-Mittel könnten ohne Bedingungen fließen. Und
Italien nimmt auch zur Kenntnis, dass die EU-Kommission 100 Milliarden Euro
gegen die Arbeitslosigkeit bereitstellen will. Womöglich lässt sich doch
noch ein Kompromiss finden – anderenfalls steht Contes Ansage im Raum,
„sonst machen wir es eben alleine“.
2 Apr 2020
## LINKS
[1] /Westbalkan-und-EU/!5674204
[2] /EU-Gipfel-scheitert-an-Coronabonds/!5674880
## AUTOREN
Michael Braun
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