# taz.de -- Europa und das Iranabkommen: Nicht zu retten? | |
> Die USA zogen sich 2018 aus dem Nuklearabkommen mit Iran zurück, doch die | |
> EU wollte weiter Handel ermöglichen. Warum daraus nicht viel geworden | |
> ist. | |
Bild: Wandbild an der ehemaligen US-Botschaft: Hass auf Amerika gibt es in Iran… | |
Weltpolitik bedeutet für Sebastian Kerber vor allem eins: viele Formulare | |
ausfüllen. Kerber ist Geschäftsführer einer Firma mit 20 Mitarbeitern. Sie | |
warten und reparieren Antriebsmaschinen, die in Raffinerien laufen. „Es ist | |
eine kleine Nische“, sagt er, „aber eine sehr lukrative“.Wenn eine dieser | |
Maschinen ausfällt, steht die gesamte Anlage still. Das kostet mehrere | |
Millionen Dollar am Tag, die Kunden zahlen für eine schnelle Reparatur dann | |
jeden Preis. | |
Seine Geschäfte macht Kerber „einmal um den Globus herum“, von China bis | |
Argentinien. Von den Maschinen, auf deren Wartung sich seine Firma | |
spezialisiert hat, sind Tausende auch im Iran im Einsatz – und da wird die | |
Sache kompliziert. | |
Jede Maschine, die er zur Wartung von dort geliefert bekommt und wieder | |
zurückschickt, alles, was ausgetauscht wird, jedes noch so kleine | |
Ersatzteil muss er auf der Website des Bundesamts für Ausfuhrkontrolle | |
eingeben, um zu prüfen, ob es gegen Exportauflagen verstößt. So dürfen | |
Bauteile nicht mit Graphit beschichtet sein, weil man dieses abkratzen und | |
für Zentrifugen zur Urananreicherung nutzen könnte. Unterlegscheiben aus | |
speziellen Kunststoffen könnten militärisch verwendet werden, sie brauchen | |
eine extra Genehmigung. | |
Es ist Mitte März, Sebastian Kerber ist beruflich in Berlin. Die Stadt hat | |
gerade ihre Museen geschlossen, man soll sich zur Begrüßung nicht mehr die | |
Hand geben, sonst ist von der Coronakrise noch nicht viel zu spüren. | |
Kerber sitzt vor einem vollen Frühstücksteller in einem Fünfsternehotel am | |
Tiergarten und erzählt von Formularen, Zollnummern, Ausfuhrlisten und | |
Nullbescheinigungen. Es ist ihm wichtig zu zeigen: Er hält sich an alle | |
Regeln – an die deutschen und europäischen Ausfuhrbeschränkungen. | |
Sebastian Kerber heißt eigentlich anders. Mit seinem richtigen Namen möchte | |
er nicht in die Öffentlichkeit treten, auch der Name seiner Firma und das | |
Bundesland, in dem sie liegt, sollen nicht genannt werden. Geschäfte mit | |
Iran gelten in der deutschen Wirtschaft als „toxisch“. Viele Unternehmen, | |
die erfahren, dass ihr Geschäftspartner mit Iran handelt, ziehen sich | |
sofort zurück. | |
Dabei versucht Kerber nur das umzusetzen, was Europa versprochen hat: Wenn | |
ihr aufhört, an einer Atombombe zu bauen, ermöglichen wir euch freien | |
Handel. Das war der Kern des Abkommens mit Teheran, das im Juni 2015 in | |
Wien unterzeichnet wurde. Es galt als Meilenstein des Multilateralismus, | |
neben Iran und den USA unterzeichneten es Russland, China, Großbritannien, | |
Frankreich und Deutschland. | |
Doch von Beginn an gibt es heftige Kritik. Das iranische Regime unterdrückt | |
brutal die Opposition, verfolgt eine aggressive Außenpolitik und droht | |
Israel immer wieder mit Vernichtung. Wertet man es durch das Abkommen nicht | |
auf und stützt die Hardliner? Die Verteidiger des Abkommens argumentieren | |
pragmatisch: Die Vereinbarung sei nicht perfekt, aber das beste Instrument, | |
um ein gefährliches Wettrüsten im Nahen Osten zu verhindern. Wenn Iran eine | |
Atombombe bekäme, würde sich auch Saudi-Arabien eine beschaffen. Die | |
Konflikte in der Region erhielten ein ganz neues Eskalationspotenzial. Mit | |
unabsehbaren Folgen. | |
Zu den größten Gegnern des Abkommens zählt von Beginn an US-Präsident | |
Donald Trump. Am 8. Mai 2018 gibt er mit einer kurzen Rede im Weißen Haus | |
bekannt, dass die USA wieder austreten. Obwohl Kontrolleure der | |
Internationalen Atomenergiebehörde zuvor bestätigt hatten, dass Iran sich | |
an das Abkommen hält. Trump hasst die Vereinbarung, weil sie eines der | |
wichtigsten Projekte seines Vorgängers Barack Obama war. | |
Europa antwortet auf Trumps Ankündigung geschlossen wie selten. Man werde | |
das Abkommen retten, heißt es aus Brüssel, London, Paris und Berlin. Egal | |
welche Sanktionen die USA wieder in Kraft setzten, Europa werde | |
dagegenhalten, verspricht die damalige EU-Außenbeauftragte Federica | |
Mogherini: Wenn Iran sich an die Rüstungsbeschränkungen halte, dürfe es | |
weiter Handel mit der EU treiben. | |
Im Herbst 2018 setzen die USA ihre alten Sanktionen wieder in Kraft und | |
verschärfen sie weiter. Sie zielen vor allem darauf ab, Ölverkäufe zu | |
verhindern und Iran vom internationalen Zahlungsverkehr abzuschneiden. | |
Trump spricht von einer Politik des „maximalen Drucks“. | |
Es braucht fast zwei Jahre, bis die EU den Auswirkungen der US-Sanktionen | |
etwas entgegensetzen kann. Am 31. März 2020 wird bekannt, dass erstmals | |
medizinische Güter mittels der von Großbritannien, Frankreich und | |
Deutschland gegründeten Zweckgesellschaft Instex nach Iran geliefert | |
wurden. Weitere Transaktionen sollen folgen. Von einem ungehinderten Handel | |
kann aber weiter keine Rede sein. Warum ist es für die EU so schwer, den | |
Handel mit Iran aufrechtzuerhalten, wenn es doch politisch gewollt ist? | |
Sebastian Kerber kann viel darüber erzählen, was die US-Sanktionen für die | |
deutsche Wirtschaft bedeuten. Im Herbst 2018 bekommt er einen Brief von | |
seiner Bank, einer Sparkasse: Man müsse wegen der Irangeschäfte sein | |
Geschäftskonto kündigen. Über einen Sparkassenverbund wird er an eine | |
andere Sparkasse weitervermittelt, die 2018 noch Gelder aus Iran annimmt, | |
2019 will dann auch diese nicht mehr. Die Begründung ist immer die gleiche: | |
Weil die Überprüfung der Exportauflagen für Iran so kompliziert sei, könne | |
man das aus ökonomischen Gründen nicht leisten. Was keiner offen sagt: Die | |
Banken haben Angst vor den US-Sanktionen, selbst wenn diese in der EU gar | |
nicht gelten. | |
Auch kleinere Banken, die gar keine Geschäfte auf dem US-Markt machen, sind | |
indirekt betroffen. Denn auch für sie ist es wichtig, mit Dollar handeln zu | |
können, weil internationale Transaktionen meist in der US-Währung | |
abgewickelt werden. Und für Dollartransaktionen braucht jede Bank ein | |
Referenzkonto in den USA. Das US-Finanzministerium kann US-Banken aber | |
anweisen, diese Referenzkonten zu schließen – was für ausländische Banken | |
praktisch das Todesurteil bedeutet. | |
Sebastian Kerber fragt eine Bank nach der anderen, ob sie ihm helfen kann, | |
alle erteilen ihm eine Absage. „Wenn ich weiter mit Iran Geschäfte machen | |
will, muss ich irgendwie meine Ware dahinkriegen“, sagt er. „Das geht noch. | |
Es gibt Speditionen, die noch dahin liefern. Aber mein Geld von dort landet | |
zurzeit auf Konten in Dubai, weil deutsche Banken es nicht annehmen.“ Das | |
Geld aus dem Emirat hierher zu überweisen, ohne seine ursprüngliche | |
Herkunft offenzulegen, ist für Kerber keine Option. „Dann interessiert sich | |
ja der deutsche Staatsanwalt wegen Geldwäsche dafür.“ | |
Kerber ist kein Weltverbesserer, kein Idealist, er ist Geschäftsmann. 20 | |
Prozent seines Umsatzes hat seine Firma bisher mit Iran gemacht, darauf | |
will er nicht verzichten. Etwas anderes spiele bei seiner Hartnäckigkeit | |
aber auch mit hinein, fügt er hinzu: „Mein Trieb, mich aufzulehnen.“ | |
Damit steht er aber ziemlich allein. Von Januar bis Oktober 2019 ging das | |
Handelsvolumen mit Iran um 51 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum | |
auf rund 1,4 Milliarden Euro zurück. Damit liegt Iran auf Platz 60 der | |
deutschen Handelspartner im vergangenen Jahr – hinter Estland und Lettland. | |
Die deutsche Wirtschaft hat sich nicht nur wegen der Banken weitgehend aus | |
Iran zurückgezogen, sondern auch weil viele Unternehmen Nachteile für ihre | |
US-Geschäfte befürchten. Politologen sprechen von „Overcompliance“ – von | |
einem Übererfüllen der US-Regeln. Das macht es der EU so schwer, an dem | |
Handelsversprechen festzuhalten. Selbst jene Bereiche, die von den | |
US-Sanktionen ausgenommen sind – humanitäre Güter, medizinische Güter und | |
Agrarprodukte –, werden blockiert, weil keine Gelder fließen können. | |
Allerdings gibt es eine Folie, vor der das Verhalten der deutschen | |
Wirtschaft nicht übertrieben, sondern durchaus rational wirkt. Es sind die | |
Erfahrungen mit US-Sanktionen aus den Jahren vor der Verabschiedung des | |
Iranabkommens. | |
## Plötzlich auf der schwarzen Liste | |
Ende Februar. Ulrich Wippermann hat ein französisches Café in Bonn-Bad | |
Godesberg für ein Treffen vorgeschlagen, er wohnt um die Ecke. Es gibt | |
Quiche, Salat, Mineralwasser und Espresso. Wippermann hat einen blauen | |
Aktenordner mitgebracht. Er will erzählen, was es heißt, wenn man plötzlich | |
auf einer Liste des Office of Foreign Assets Control steht. Das Ofac ist | |
die Kontrollbehörde des US-Finanzministeriums, es führt die | |
Datenbanken, in denen Unternehmen und Personen gelistet werden, die gegen | |
US-Sanktionen verstoßen haben. Die schwarzen Listen. | |
Wippermann schiebt einen Brief über den Tisch: „Schauen Sie, da hat Tchibo | |
uns das Keksabo gekündigt.“ Ein Keksabo? „Ja, unsere Firma hatte 40 Leute, | |
dazu noch die Kunden. Was denken Sie, was da in der Woche an Keksen | |
gegessen wurde?“ | |
Die Kündigung des Keksabos ist nur ein absurdes Beispiel von vielen. Die | |
Telekom wollte Wippermann nach seiner Listung kein iPhone mehr zu seinem | |
Handyvertrag geben, weil Apple dann die Lieferverträge hätte kündigen | |
können. Und eine Spedition weigerte sich, ihm Gartenstühle zu liefern, die | |
seine Mutter ihm zum Geburtstag gekauft hatte – weil er auf „einer | |
amerikanischen Liste“ stehe. „Sie haben das Gefühl, dass da mit | |
Nuklearwaffen auf Spatzen geschossen wird“, sagt Wippermann. | |
Er war Vorstandsmitglied der Deutschen Forfait, zuständig für Iran. Die | |
Firma hatte sich darauf spezialisiert, deutschen Exporteuren gegen einen | |
Abschlag ihre Forderungen abzukaufen, wenn diese ihre Produkte in Länder | |
lieferten, deren Zahlungsmoral als unzuverlässig galt – sie sammelte dort | |
dann das Geld ein. „Wir haben gezielt schwierige Länder gesucht, die kein | |
anderer machen wollte“, sagt Wippermann. „Das schwierigste Land par | |
excellence wurde ab 2008/09 Iran.“ | |
Wenn man sich über die Deutsche Forfait umhört, sagen manche, ihre Margen | |
seien teils unanständig hoch gewesen, sie hätten sich ihre Dienste sehr | |
teuer bezahlen lassen. Wippermann sagt: „Wir haben gute Geschäfte gemacht.“ | |
Am 6. Februar 2014 ist das vorbei. Er ist gerade in Brasilien im Urlaub, | |
als ihn sein Sohn anruft. „Papa, du stehst auf der Ofac-Liste.“ Der Sohn | |
hatte es am Morgen im Bonner General-Anzeiger gelesen. „Mir war klar, dass | |
ich ruiniert war. Dass die Firma ruiniert war. Und dass ich da gar nichts | |
machen konnte“, sagt Wippermann. | |
## Bekannte gehen ihm aus dem Weg | |
Sowohl die Deutsche Forfait als auch er als Einzelperson werden vom Ofac | |
gelistet. Die Firma, die er mitaufgebaut hat, trennt sich von ihm, um | |
wieder von der Liste zu kommen. Die Banken kündigen all seine Privatkonten, | |
nur ein Volksbank-Girokonto kann er behalten. Bekannte gehen ihm nun aus | |
dem Weg. „Die Temperatur um einen herum fällt um 20 Grad“, sagt er. | |
Terrorfinanzierung lautet der Vorwurf des Ofac. Der Kontakt zu der | |
US-Behörde läuft über eine amerikanische Anwaltskanzlei. Wippermann möchte | |
wissen, was ihm genau vorgeworfen wird. Er bekommt einen Ofac-Bericht, | |
dessen Seiten bis auf die ersten zwei fast durchgängig geschwärzt sind. | |
„‚Da sehen Sie mal, wie schlimm das ist, was Sie gemacht haben‘, sagte man | |
mir dazu.“ | |
2014 regiert Barack Obama im Weißen Haus, die US- und EU-Sanktionen für | |
Iran sind zu diesem Zeitpunkt noch im Einklang. Und seine Irangeschäfte | |
hatte Wippermann regelmäßig von der Bundesbank überprüfen lassen, die für | |
Deutschland die Einhaltung der Finanzsanktionen überwacht. Nun schickt die | |
Bundesbank sechs Prüfer in das Büro der Deutschen Forfait. Sie | |
durchleuchten wochenlang die Geschäftsbücher. Den Abschlussbericht der | |
Bundesbank konnte die taz einsehen. Das Fazit: „Zahlungen oder Geschäfte, | |
die aufgrund der … geltenden Embargobestimmungen verboten sind, wurden | |
nicht festgestellt.“ | |
Auch die deutsche Staatsanwaltschaft sieht keine Anhaltspunkte für | |
Ermittlungen. Fünf Monate nachdem die Deutsche Forfait auf die Ofac-Liste | |
kam, wird die Firma wieder runtergenommen. Ulrich Wippermann nicht. Er | |
bleibt jemand, der nicht mehr in die USA reisen kann, der kein neues | |
Bankkonto eröffnen kann, seine Gartenstühle nicht geliefert bekommt. Erst | |
als das Iranabkommen im Januar 2016 offiziell in Kraft tritt, ist es auch | |
bei ihm so weit. Mit dem Abkommen werden die Sanktionen aufgehoben, | |
Wippermanns Name wird von der Ofac-Liste gelöscht. | |
Warum es ausgerechnet ihn getroffen hat? Er ist sicher, dass ein Exempel | |
statuiert werden sollte. „An die großen Unternehmen hat man sich nicht | |
rangetraut, deshalb hat man einen Mittelständler genommen, der in dem | |
Bereich eine hohe Sichtbarkeit hatte.“ | |
Wippermanns Geschichte ist in Kreisen bekannt, die geschäftlich mit Iran zu | |
tun haben. 2016 hatten [1][die FAZ] und das ARD-Magazin „Panorama“ über | |
seinen Fall berichtet. Als 2018 die US-Sanktionen wieder in Kraft treten, | |
setzt sich das Auswärtige Amt dafür ein, dass Wippermann nicht erneut auf | |
der Ofac-Liste landet. Mit Erfolg. | |
Auf politischer Ebene ist nach dem US-Ausstieg aus dem Abkommen schnell | |
klar, dass die Weigerung europäischer Banken, iranisches Geld anzunehmen, | |
ein Haupthindernis für das Handelsversprechen ist. So fordert der deutsche | |
Außenminister Heiko Maas bereits im August 2018 in einem [2][Gastbeitrag im | |
Handelsblatt], dass sich Europa im internationalen Zahlungsverkehr | |
unabhängiger von den USA machen solle. | |
Deutschland, Frankreich und Großbritannien beschließen, eine Art | |
Tauschhandel mit Iran aufzuziehen. Im Januar 2019 gründen sie die | |
Zweckgesellschaft Instex, die Unternehmen ermöglichen soll, ohne Banken | |
Geschäfte mit Iran abzuwickeln. Für Exporte soll Iran Gutschriften bei | |
Instex kriegen, mit denen es europäische Produkte kaufen kann. Europäische | |
Firmen sollen ihr Geld direkt von Instex bekommen. | |
Doch die erste Transaktion verzögert sich immer wieder: Die technischen | |
Details der Zahlungsabwicklung sind komplizierter als gedacht, es gibt | |
viele Personalwechsel – und die Ausstattung von Instex legt nahe, dass es | |
der EU mit einer echten Alternative zum dollarbasierten Zahlungsverkehr | |
dann doch nicht so ernst ist. | |
Außerdem soll sich Instex zunächst nur auf die Bereiche konzentrieren, die | |
auch unter den US-Beschränkungen zum Handel freigegeben sind – humanitäre | |
Hilfe, medizinische Güter und Agrarprodukte. Kritiker sprechen deshalb | |
davon, dass Instex den USA noch helfe, ihre Sanktionen exakt umzusetzen. | |
Ende 2019 heißt es, Instex sei bereit, die ersten Geschäfte abzuwickeln, | |
nun liege es an der iranischen Seite, dass dies nicht passiere. In Teheran | |
wolle man der EU keine Erfolgsmeldung gönnen, weil der Frust tief sitze, | |
dass der Ölexport, der große Geldbringer Irans, bei Instex ausgeklammert | |
werde. Womit Iran stattdessen die europäischen Güter bezahlen soll, bleibt | |
auch unklar. Ölexporte zu ermöglichen gilt von europäischer Seite aber | |
offenbar als zu konfrontativ gegenüber den USA. | |
Im Zuge der Coronapandemie, die Iran besonders hart trifft, kommt es dann | |
aber zu Bewegung – und nach mehr als einem Jahr Vorbereitung kann Instex | |
sein erstes Geschäft abwickeln. | |
## Das Abkommen ist eher tot als lebendig | |
Dass das Iranabkommen trotzdem eher tot als lebendig ist, liegt nicht nur | |
an Instex, sondern auch an der Provokationsspirale zwischen Washington und | |
Teheran. Iran lässt 2019 immer wieder schiitische Milizen US-Stützpunkte im | |
Irak angreifen, Trump befiehlt als Reaktion, im Januar dieses Jahres den | |
iranischen General Qasem Soleimani per Drohnenangriff zu töten. Zudem | |
verstößt Iran seit dem US-Ausstieg 2018 stufenweise gegen die Auflagen zur | |
Urananreicherung. Großbritannien, Frankreich und Deutschland lösen deshalb | |
im Januar den sogenannten Streitbeilegungsmechanismus des Abkommens aus – | |
nicht ohne zu betonen, dass man es weiter retten wolle. | |
Für die außenpolitischen Thinktanks in Berlin sind die US-Sanktionen ein | |
wichtiges Thema. Von einer Rückkehr der Geoökonomie ist viel die Rede, | |
davon, dass die wirtschaftliche Verflechtung zunehmend als Waffe im | |
geopolitischen Kampf instrumentalisiert wird – und dass die EU trotz ihrer | |
Wirtschaftskraft schlecht dafür gerüstet ist. | |
Einer dieser Thinktanks ist der [3][European Council on Foreign Relations], | |
der Büros in sieben europäischen Hauptstädten hat. Das Berliner Büro liegt | |
im zweiten Stock eines Altbaus Unter den Linden, über der | |
Hauptstadtrepräsentanz von Microsoft. Jonathan Hackenbroich bittet in einen | |
Besprechungsraum mit einem langen Konferenztisch. Er beschäftigt sich mit | |
US-Sekundärsanktionen, die nicht nur das sanktionierte Land treffen, | |
sondern auch in anderen Ländern Wirkung entfalten. Er nennt sie | |
„Streubomben“, weil sie jeden treffen können. | |
„Die wirtschaftlichen Kosten der Sanktionen waren für Deutschland bisher | |
gering, weil der Handel mit Iran insgesamt ein kleiner Posten ist“, sagt | |
er. Deshalb sei der Widerstand nicht heftiger ausgefallen. „Die | |
außenpolitischen Kosten sind aber sehr groß – es geht um atomare | |
Nichtverbreitungspolitik. Und um Regionalpolitik, in einer Region, die an | |
unseren Kontinent grenzt, nicht an den der Amerikaner.“ | |
Was Hackenbroich vor allem umtreibt, ist, dass das Iranabkommen als | |
Präzedenzfall, wie die USA oder andere Großmächte ihren Willen gegen Europa | |
durchsetzen können, herhalten muss. „Wir sehen dieses Verhalten jetzt auch | |
im Bezug auf andere Länder.“ So gibt es im US-Kongress Bestrebungen, | |
Sanktionen gegen Russland einzuführen, die die deutsche Wirtschaft härter | |
als die Iransanktionen treffen würden. | |
Auf Trumps Zölle auf Stahl und Aluminium hat die EU mit Gegenzöllen auf | |
Harley-Davidsons, Jeans und Whiskey reagiert. Das zeige, wie man sich gegen | |
den amerikanischen Druck wehren könne, sagt Hackenbroich. Während über die | |
Zölle Brüssel entscheidet, werden Sanktionen in der EU aber von den | |
Mitgliedsstaaten verantwortet. Eigentlich bräuchte Europa ein Pendant zum | |
Ofac, eine Behörde, die mit einer ähnlichen Schlagkraft EU-Sanktionen | |
umsetzen – und so eine glaubhafte Drohkulisse aufbauen könnte, sagt | |
Hackenbroich. Aber dafür bräuchte es eine Änderung der EU-Verträge. „Und | |
dafür gibt es momentan keinen Konsens.“ | |
Also was tun? Neben Gegensanktionen auf nationaler Ebene müsste die | |
internationale Rolle des Euro gestärkt werden, um nicht so vom Dollar | |
abhängig zu sein. „Da kann man schon mal überlegen: Was braucht es, dass | |
große europäische Firmen ihre Rechnungen in Drittländer nicht in Dollar, | |
sondern in Euro überweisen?“ | |
Deshalb sei es auch schade, dass die aktuelle Debatte über Eurobonds sich | |
nicht mehr mit der internationalen Rolle des Euros beschäftige. „Eurobonds | |
oder etwas Ähnliches bräuchten wir, um den Euro zu internationalisieren und | |
Investoren eine sichere Anlage im Euro anzubieten.“ Er sei sicher nicht | |
antiamerikanisch, fügt Hackenbroich noch hinzu, er habe viel Zeit in den | |
USA verbracht: „Aber es ist jetzt an der Zeit, sich zu wehren. Es kann | |
nicht sein, dass über europäische Politik in Washington entschieden wird.“ | |
Die Recherche für diesen Text wurde ermöglicht durch ein | |
Journalist-in-Residence-Stipendium des Wissenschaftszentrums Berlin für | |
Sozialforschung (WZB). | |
13 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/deutscher-auf-usa-terrorliste-wegen-exp… | |
[2] https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-wir-lassen… | |
[3] https://www.ecfr.eu/ | |
## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
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