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# taz.de -- Öffentlich-Rechtliche in Coronazeiten: Die Krisengewinner
> In der Corona-Krise ändert sich das Mediennutzungsverhalten massiv. Es
> profitieren vor allem die Öffentlich-Rechtlichen.
Bild: Schutzkleidung in jedem Beruf
BERLIN taz | Nachrichten an der Spitze. Auf den Top-Plätzen der täglichen
Quotencharts sind seit Wochen verlässlich die 20-Uhr-„Tagesschau“ und das
„Heute journal“, auch das frisch erfundene ARD-extra zur Corona-Lage und
andere öffentlich-rechtliche Informationsprogramme laufen gut. Und das bei
den 14- bis 49-Jährigen, also denen, die ARD und ZDF angeblich schon fast
vergessen hatten. Dazu kommen Gesamttraumquoten beinahe wie zu den seligen
Zeiten, als es nur drei Programme gab und der Deutschlandfunk noch
vorrangig für den Osten sendete.
Mehr als verdreifacht haben sich auch die Nutzungszahlen von tagesschau.de.
Der Corona-Live-Ticker wird dort schon seit Mitte März rund um die Uhr
bedient. Im März verzeichnete tagesschau.de im Durchschnitt rund neun
Millionen Visits. Zum Vergleich: Im März 2019 lagen der sogenannte
Tagesmittelwert bei gerade einmal 2,6 Millionen.
Bei den Angeboten des ZDF gibt es ähnliche Steigerungen, die einzelnen
ARD-Anstalten haben ebenfalls alle zugelegt. Bei den Privatsendern kann nur
RTL mithalten, weil sich die anderen schon länger aus dem
nachrichtlich-journalistischen Geschäft, sagen wir mal höflich:
teilverabschiedet haben. Doch selbst bei Sat.1 & Co. wird gesteigerter
Output mit gesteigerter Nutzung belohnt.
Bei den aktuellen Glaubwürdigkeits-Charts sind die obersten Plätze
ebenfalls schwer öffentlich-rechtlich belegt. Doch um es einmal
ausdrücklich und mit Respekt zu sagen: RTL und n-tv machen gerade ebenfalls
einen verdammt guten Job. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass sie ihr
Geld durch Werbung verdienen, die in der Krise immer rarer wird. Doch so
richtig einzahlen tut die Coronakrise auf die Öffentlich-Rechtlichen.
## Mit Jogginghose in der Regie
Das Einzige, was ARD und ZDF noch fehlt, ist ein journalistisches
Big-Brother/Sister-Format wie es die Kolleg*innen vom Österreichischen
Rundfunk (ORF) mit ihrer Isolationsbereichs-WG haben. Auch wenn man
mittlerweile den Eindruck bekommen könnte, Olaf Scholz wohnt bei Anne Will.
Ja, [1][beim ORF wohnen sie auch im Sender]. Und senden, was das Zeug hält.
Die tröstlichste Nachricht der Woche war deshalb auch diese hier: Die
meisten von denen, für die Osterdienstag schon Schluss mit der internen
Isolation gewesen wäre, verlängern um eine Woche. Freiwillig. Und es tut
gut, wichtige öffentlich-rechtliche Menschen in Jogginghose in der Regie
stehen zu sehen und endlich mal wieder an den Basisgedanken jeder
gleichberechtigten Demokratie erinnert zu werden: Auf Toilette müssen wir
alle.
Sterben auch, aber bitte nicht an Sars-CoV-2. Deshalb senden auch bei uns
alle, die es können, aus dem Homeoffice. Und endlich wissen wir zumindest
ein bisschen, wie es bei „3 nach neun“-Moderatorinnen und -Moderatoren zu
Hause aussieht. Corona schafft bei aller erzwungenen Distanz eben auch
kuriose Blüten der Nähe.
## Der unbekannte Auftrag
So ganz klammheimlich macht sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch an
das, was man den unbekannten Teil seines Auftrags nennen könnte. Als vor
ein paar Jahren WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn von einer
„Demokratieabgabe“ sprach und den Rundfunkbeitrag meinte, erntete er nur
Hohn und Spott. Doch eigentlich hatte der oberste
Wählerwanderungsanalytiker der ARD, der aufgrund einer vermutlich in jungen
Jahren erfolgten schlimmen Verwechslung auch Koordinator der TV-Filme im
Ersten der ARD ist – recht. Ja, wirklich. Zum Auftrag des
öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehört nämlich, die FDGO
(freiheitlich-demokratische Grundordnung) zu stützen und zu verteidigen
sowie die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Was das niedliche
[2][„Fury in the Slaughterhouse & Freunde“-Neueinspiel] von „Time to
wonder“ im Auftrag von WDR 4 vielleicht noch in einem weiteren, anderen
Lichtlein leuchten lässt.
Um jeglichem Missverständnis vorzubeugen: Das geht völlig in Ordnung,
solange neben solcher gesamtgesellschaftlicher Verantwortung zwei
entscheidende Bereiche des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags
ebenfalls bedient werden. Erstens müssen weiterhin Regierungshandeln und
Politik allgemein hinterfragt, analysiert und kritisiert werden. Und
zweitens müssen auch nicht mehrheitliche Interessen und Meinungen zu Wort
kommen. Das müsste von den Sendern bzw. ihren Verantwortlichen nur etwas
deutlicher gesagt werden. Schon deswegen, weil es sonst wieder so
verdruckst daherkommt und denen in die Karten spielt, die behaupten, Olaf
Scholz sei auch deswegen so oft bei „Anne Will“, weil Angela Merkel ja die
Meldungen für die „Tagesschau“ schreiben müsste.
Nein, kein*e Politiker*in schreibt den Sendern oder Zeitungen vor, was sie
zu berichten haben. Dass man von Amts wegen für etwas jeden Monat demnächst
18,36 Euro berappen soll und das Ganze nicht auch dafür zuständig wäre, den
Laden am Laufen zu halten, wäre andererseits doch auch verkehrte Welt.
Hier irrt denn auch der hoch geschätzte Ottfried Jarren. Der zuletzt in der
Schweiz lehrende Medienwissenschaftler hatte im Fachdienst epd medien die
Corona-Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in
Deutschland kritisiert. Besonders aufgestoßen war Jarren, dass sich die
Öffentlich-Rechtlichen nun als „systemrelevant“ titulieren ließen bzw. si…
teilweise selbst so bezeichneten. Doch laut Jarren sei der
öffentlich-rechtliche Rundfunk „keine kritische Infrastruktur. Wäre er es,
würde er von staatlicher Seite eingehegt und bewacht werden müssen. Der
öffentliche Rundfunk ist eine unabhängige gesellschaftliche Institution“.
Der letzte Satz stimmt.
Dass aber ein System, das mit einem aus mehreren Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts ableitbaren Verfassungsrang nicht
„systemrelevant“ bzw. nicht Teil einer gesamtgesellschaftlichen „kritisch…
Infrastruktur“ sein soll, überzeugt nicht. Wie sonst ließe sich seine
Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag rechtfertigen? Und dass der
öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht „staatlich eingehegt und bewacht“
wird, kann man trefflich anders sehen. Da genügt nach wie vor meistens
schon der Besuch einer x-beliebigen Rundfunk- oder Fernsehratssitzung.
Womit wir endlich beim Thema wären: Was macht eigentlich die Medienpolitik?
Sie hat die geplante Reform des öffentlich-rechtlichen Systems und seiner
Finanzierung überwiegend verstolpert. Ja, es gibt Fortschritte beim
„Medienstaatsvertrag“, der ARD, ZDF und Deutschlandradio neue, erweiterte
Möglichkeiten im Netz eröffnet. Sie waren lange überfällig. Und sind schon
jetzt durch die Coronakrise und die in ihr freigesetzte Kreativität auch in
den Anstalten teilweise schon wieder überholt. „Dass wir das noch erleben
dürfen!“, möchte man da mit Blick auf die normative Kraft des Faktischen
rufen.
Bei der Finanzierung, wo lange um die Kopplung des Beitrags an einen Index
gerungen wurde, blieb de facto aber erstmal alles beim Alten: Die
Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hat
gerechnet und ihre Empfehlung abgegeben. Und die Ministerpräsidentinnen und
Ministerpräsidenten der Bundesländer haben sich auf eine Erhöhung des
Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro ab 2021 geeinigt. Das Ganze
passierte schon zu Coronazeiten am 12. März. Auch die jetzt noch
ausstehende Ratifizierung dieses Beschlusses durch die 16 Landtage gilt als
Formsache. Sars-CoV-2 hat damit der Medienpolitik in die Hände gespielt,
die um eine heftige Auseinandersetzung in den Parlamenten herumkommt.
## Die bekannten Kritiker
Denn es war mitnichten nur die AfD, die hier ganz anderes im Schilde führte
und führt. Auch weite Teile der Union, vor allem in Bayern und im Osten,
sowie die FDP wollten dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich ans
Leder. Der Pragmatismus der Krise bedeutet aber auch, dass diese
Auseinandersetzung nicht vom Tisch ist. Spätestens nach Ablauf der
nächsten, vierjährigen „Beitragsperiode“ Ende 2024 geht es wieder los. Wer
wissen will, was das bedeuten kann, muss sich bloß aktuell mit den
[3][Plänen der britischen Konservativen in Sachen BBC beschäftigen].
Doch auch hier lässt sich die Krise als Chance begreifen: Corona und der
gesellschaftliche „Lockdown“ verändern gerade [4][noch mal massiv das
Mediennutzungsverhalten der Menschen], Produktions- und Arbeitsweisen der
Medien und ihrer Macher*innen und vor allem die wirtschaftlichen
Verhältnisse im Medienbetrieb. Nach Corona wird nichts mehr so sein, wie es
war. Wenn das dann als Startschuss für eine echte gesellschaftliche Debatte
über die Rolle von Medien und Journalismus an sich und des
öffentlich-rechtlichen Systems im Besonderen wird, haben wir
erstaunlicherweise fast alles richtig gemacht. Wenn sich ARD, ZDF & Co.
ihre neue Kreativität und Flexibilität erhalten, müssen sie davor nicht mal
Angst haben.
14 Apr 2020
## LINKS
[1] /Corona-Quarantaene-WG-des-ORF/!5673309
[2] https://www1.wdr.de/mediathek/video/radio/wdr4/video-fury-in-the-slaughterh…
[3] /Reformierung-der-BBC/!5661293
[4] /Medien-in-Coronakrise/!5675752
## AUTOREN
Steffen Grimberg
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