# taz.de -- Einschaltquote, Fernsehen und Internet: Suche Währung für zwei We… | |
> Je mehr gestreamt wird, desto weniger aussagekräftig ist die klassische | |
> Einschaltquote. Deswegen wird an neuen Erhebungsverfahren gearbeitet. | |
Bild: Da war die Welt noch analog und einfach: Streaming gab's 1951 noch nicht | |
4,43 Millionen Zuschauer*innen sollen eingeschaltet haben bei den ersten | |
beiden Folgen von [1][„Oktoberfest 1900“]. Die weiteren Folgen der | |
ARD-Event-Miniserie sahen immerhin je dreieinhalb Millionen im Ersten | |
Deutschen Fernsehen. Und in der ARD-Mediathek wurden die insgesamt sechs | |
Folgen über den Kampf zweier Bierdynastien bisher rund zehn Millionen Mal | |
abgerufen. Produzent Michael Souvignier jedenfalls freut sich bereits über | |
den „enormen Erfolg“. | |
Allerdings wird es immer schwieriger mit dem Ermitteln der sogenannten | |
„Einschaltquote“. Dieses Messsystem, dessen Anfänge in den 60er Jahren | |
liegen und von jeher leicht unscharf, kommt in Zeiten der | |
Online-Mediatheken an seine Grenzen. Der Onlinekonsum, darüber sind sich | |
alle Experten einig, wird immer wichtiger. Publikum jeglichen Alters nutzt | |
immer häufiger Internet-Angebote, um sich Filme oder Serien anzuschauen. | |
Was kann uns die „Quote“ heute überhaupt noch sagen? | |
[2][„Die Einschaltquote“] ist ein Messwert für Zuschauerbeteiligung, für | |
dessen Erhebung seit 1988 die AGF – Arbeitsgemeinschaft Fernsehen | |
verantwortlich ist. Sie ist ein Zusammenschluss der großen privaten und | |
öffentlich-rechtlichen Sender. Als nämlich Mitte der 80er Jahre das | |
Privatfernsehen in Deutschland startete, wollte es auf den Zuspruch durch | |
das Publikum verweisen können. „Das ist wie eine Währung, auf die sich alle | |
wichtigen Marktteilnehmer geeinigt haben“, sagt Helmut Thoma, | |
Gründungsgeschäftsführer von RTL und Mitgründer der AGF. | |
Dazu gehören, besonders wichtig für das Privatfernsehen, auch die Werber. | |
Heute erfreut sich die Einschaltquote großer Berühmtheit und alle Sender, | |
ob privat oder öffentlich-rechtlich, verkünden sie gerne – jedenfalls, wenn | |
sie besonders hoch gewesen ist. | |
## Das Prinzip der 5.400 Boxen | |
Um die Quote für das lineare Fernsehen zu ermitteln, nutzt die AGF eine | |
repräsentative Gruppe, ein sogenanntes Panel. Das sind 5.400 Haushalte mit | |
insgesamt 11.000 Menschen, die für 75 Millionen Deutsche ab drei Jahren | |
stehen sollen. Sobald die Teilnehmer*innen ein bestimmtes Programm schauen, | |
müssen sie sich über eine Box an ihrem TV-Gerät anmelden. | |
So werden schließlich die Informationen gefiltert, anhand derer sich | |
beispielsweise bestimmen lässt, wie viele Menschen ein Programm schauen, | |
welches Geschlecht und welches Alter sie haben oder wie viel sie verdienen. | |
Informationen also, die für Werbung und auch für die Programmgestaltung | |
wichtig sind. | |
Die Quote ist allerdings nur ein Näherungswert, und sie gilt – wie jede | |
Währung – auch nur so lange, wie alle Beteiligten sie akzeptieren. Michael | |
Souvignier findet: „Um heute den tatsächlichen Publikumszuspruch zu | |
bemessen, muss der Onlinekonsum immer auch miterfasst werden.“ Das sieht | |
wohl die gesamte Branche so. Schon allein, damit Sender mit der | |
werbetreibenden Industrie und deren Vermarktern Preise für TV-Spots | |
vereinbaren können. | |
## Quote? Häufig zu ungenau | |
Seit jeher gab es Unschärfen bei der Quote. Vor allem bei den kleineren | |
Sendern. Der Medienwissenschaftler Christian Richter, der an der Uni | |
Potsdam lehrt, sagt: „Der Großteil der Sender hat einen Marktanteil, der | |
kaum über ein Prozent kommt. Dadurch kann es dort von Tag zu Tag und von | |
Sendung zu Sendung zu erheblichen Schwankungen der Werte kommen.“ | |
Wenn mal keine Person des Panels einen der Minisender einschaltet, dann | |
liege die errechnete Sehbeteiligung bei null, auch wenn irgendwo in | |
Deutschland tatsächlich Menschen zugesehen haben. Wenn hingegen eine Person | |
zufällig einschalte, repräsentiere sie gleich mehr als 7.000 Menschen. | |
Richter, dessen Buch „Fernsehen – Netflix – Youtube – Zur Fernsehhaftig… | |
von On-Demand-Diensten“ im Dezember erscheint, kritisiert zudem, dass nur | |
gemessen wird, ob ein Programm eingeschaltet ist, nicht aber die Qualität | |
des Konsums, also ob das Publikum möglicherweise nebenbei im Internet | |
surft, kocht, bügelt oder schläft. | |
## Aus Quote wird Reichweite | |
Von der Messung der Nutzerverhaltens auf Webseiten etwa ist man längst viel | |
größere Feinheiten gewohnt. „Die Onlinewelt hat den Vorteil, dass genau | |
festgestellt werden kann, wie viel Mal ein Inhalt abgerufen wurde“, sagt | |
Thomas Laufersweiler, Leiter der ARD-Onlinekoordination. „Wir können aber | |
nicht sagen, wie viele Menschen das waren, ob das einer oder mehrere waren, | |
die geschaut haben – und wie alt sie beispielsweise sind.“ Die „perfekte | |
Verbindung dieser zwei unterschiedlichen Währungen zu entwickeln“ hält | |
Laufersweiler für eine schwierige Aufgabe. | |
Die AGF ist allerdings bereits dran. 2017 hat sie sich in AGF – | |
Arbeitsgemeinschaft Videoforschung umbenannt und bastelt seitdem an der | |
Messung einer aussagekräftigeren Quote. Das Marktforschungsinstitut Nielsen | |
hat in ihrem Auftrag zwei Panels für die Onlinewelt gebildet: eins mit | |
15.000 Menschen für Desktop-Abrufe und ein Mobile-Panel mit 6.000 Personen. | |
Zusätzlich können die Abrufzahlen aus den Mediatheken und anderen | |
Videoangeboten, die unter AGF-Messung stehen, genau beziffert werden. Die | |
entsprechenden Daten für eine bestimmte Sendung werden 68 Tage lang | |
erhoben. Diese Informationen werden schließlich mit den Messungen zu den | |
Einschaltquoten im linearen Fernsehen zusammengeführt und Sendern sowie | |
Agenturen zur Verfügung gestellt. | |
Diese sogenannte „konvergente Reichweite“ wird allerdings bisher nicht | |
veröffentlicht, man scheint sich mit der Berechnung noch nicht sicher genug | |
zu sein. „Ein endgültiges Modell wird es aller Voraussicht so schnell nicht | |
geben“, sagt AGF-Geschäftsführerin Kerstin Niederauer-Kopf. „Es kommen | |
ständig neue Anbieter und Endgeräte dazu. Deshalb wird der | |
Konvergenzstandard kontinuierlich weiterentwickelt.“ | |
Möglicherweise offenbart sich hier aber ein Problem für die Zukunft. Denn | |
je komplexer die Erhebung, desto unwahrscheinlicher, dass alle Beteiligten | |
sich auf die neue „Währung“ einigen. Die Berechnung von Reichweiten in den | |
sozialen Medien, etwa bei Influencern, zeigt seit Jahren, dass es schwer | |
ist, eine Einigung über Messverfahren herbeizuführen. Spaltung droht. Wer | |
mit der Art, wie die „konvergente Quote“ errechnet wird, nicht zufrieden | |
ist, könnte theoretisch einfach eine eigene Konkurrenzformel entwickeln. | |
11 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /ARD-Miniserie-Oktoberfest-1900/!5709675/ | |
[2] /Tatort-waehrend-Corona/!5709403 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Urbe | |
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