# taz.de -- Europäische Union in Corona-Zeiten: Zerstritten wie zur Finanzkrise | |
> Die EU kann sich nicht auf einen gemeinsamen Plan in der Coronakrise | |
> einigen. Daran dürften auch die Hilfsmilliarden der Kommission wenig | |
> ändern. | |
Bild: „Das ist die größte Reaktion der EU auf eine Krise in der Geschichte�… | |
BRÜSSEL taz | Totgesagte leben länger. Das weiß man in Brüssel nur zu gut. | |
In der Eurokrise kämpfte die EU monatelang um das Überleben der | |
Notfallpatienten Griechenland, Spanien und Zypern. Deutschland wurde heftig | |
angefeindet, weil es mit dem [1][Rauswurf Griechenlands aus dem Euro] | |
drohte. | |
Am Ende kam es weder zum „Grexit“ noch zum Kollaps der Währungsunion. | |
Darauf verweisen die EU-Politiker derzeit gern, wenn es um die Coronakrise | |
geht. Die EU habe ihre Lektion gelernt und sei gut gerüstet, auch diese | |
Prüfung zu bestehen, sagt Kommissionschefin Ursula von der Leyen. | |
Schon 2,7 Billionen Euro habe man [2][gegen die Krise mobilisiert], | |
erklärte die CDU-Politikerin am Donnerstag in Brüssel. „Das ist die größte | |
Reaktion der EU auf eine Krise in der Geschichte.“ Nun soll noch ein | |
europäisches Kurzarbeitergeld und ein höheres EU-Budget hinzukommen. | |
Doch die Inflation der Zahlen und die Eskalation der Hilfspläne zeigt nur, | |
dass es diesmal wirklich ernst ist. Von der Leyens hektische Aktionen | |
erwecken den Eindruck, als gehe es hier um die Notbeatmung eines | |
lebensgefährlich geschwächten Patienten. Stirbt die EU? | |
## Unhaltbare Versprechen | |
Auszuschließen ist es nicht mehr. In mancher Hinsicht ist es sogar schon zu | |
spät. Das „Europa, das schützt“, das der frühere EU-Präsident Jean-Clau… | |
Juncker großspurig versprochen hatte, ist zumindest schon längst gestorben. | |
Europa ist zum Epizentrum der Pandemie geworden, zwei Drittel der Toten | |
weltweit kommen aus der EU und Partnerländern wie Großbritannien. | |
Auch außenpolitisch ist Europa schwer angeschlagen. Von der Leyen hatte | |
eine „geopolitische Kommission“ versprochen, die „die Sprache der Macht“ | |
spricht – und muss nun mitansehen, wie China und Russland [3][den Krieg der | |
Bilder] gewinnen. Dass die EU mit einer Kampagne gegen „Fake News“ | |
gegensteuert, zeigt, dass sie tief verletzt ist. | |
Die größten Probleme kommen aber aus dem Innern, genauer: aus dem | |
Europäischen Rat. Die dort versammelten 27 Staats- und Regierungschefs | |
haben so ungefähr alles falsch gemacht, was sie falsch machen konnten. Als | |
die Coronakrise begann, haben sie auf [4][nationale Schutzmaßnahmen] | |
gesetzt, statt sich in Brüssel abzustimmen. | |
Selbst als die Einschüsse näher kamen und sich Engpässe bei der Versorgung | |
mit Masken und medizinischer Ausrüstung abzeichneten, konnten sich Angela | |
Merkel & Co. nicht zu gemeinsamem Handeln durchringen. Deutschland | |
verhängte sogar noch ein Exportverbot, das die Krise verschärfte und Wut | |
und Verzweiflung in Italien auslöste. | |
## Wie Donald Trump | |
Der nächste große Fehler waren die Grenzschließungen und Reiseverbote. Als | |
US-Präsident Donald Trump einen Reisebann über Europa verhängte, schimpfte | |
die EU noch über die „America First“-Politik des Populisten im Weißen Hau… | |
Wenige Tage späte machte auch [5][Deutschland die Grenzen dicht], genau wie | |
Polen, Österreich et cetera. | |
Seitdem heißt es nicht „Europa first“, sondern „Deutschland zuerst“, | |
„Österreich allein“ und so weiter. Jedes EU-Land starrt nur noch auf | |
„seine“ Zahlen und verhängt Maßnahmen im Alleingang. Als Merkel ihre | |
berühmte TV-Ansprache an die Deutschen hielt, in der sie Kontaktsperren | |
ankündigte, erwähnte sie Europa mit keinem Wort. | |
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Beim letzten EU-Gipfel vergangene | |
Woche brach ein gefährlicher Streit aus. Italiens Regierungschef Giuseppe | |
Conte weigerte sich, den Gipfelbeschluss zu unterschreiben, solange der | |
Text kein Bekenntnis zu finanzieller Solidarität, etwa in Gestalt | |
gemeinsamer Kredite – die sogenannten Coronabonds – enthält. [6][Merkel | |
sagte Nein], der Streit wurde vertagt. | |
Auch die Milliardenhilfen der Kommission werden ihn nicht beenden können. | |
Es besteht sogar der – begründete – Verdacht, dass von der Leyen damit nur | |
die Coronabonds verhindern und Merkel einen Gefallen tun möchte. | |
## „Tödliche Gefahr für die EU“ | |
Dass die EU in der Stunde der höchsten Not nicht in der Lage war, sich zu | |
einigen, führt nun zu Todesängsten. „Die Stimmung, die zwischen den Staats- | |
und Regierungschefs zu herrschen scheint, und die fehlende europäische | |
Solidarität stellen eine tödliche Gefahr für die EU dar“, warnt Jacques | |
Delors, der frühere Kommissionspräsident. | |
„Die EU hat im Grunde kapituliert und es den Nationalstaaten überlassen, in | |
dieser Krisenzeit Entscheidungen zu fällen“, resümiert die [7][polnische | |
Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk]. Tatsächlich spielen die | |
EU-Institutionen nur noch eine Nebenrolle, auch wenn von der Leyen gerne | |
einen anderen Eindruck erwecken möchte. | |
Die erste Geige spielen die Mitgliedstaaten: Deutschland und Italien, aber | |
auch die Niederlande und Frankreich. Merkel ist auf derselben harten Linie | |
wie der niederländische Premier Mark Rutte, Conte kann auf Rückendeckung | |
von Präsident Emmanuel Macron zählen. Es ist fast wieder wie in der | |
Eurokrise. | |
Schon damals standen die Nordeuropäer – angeführt von Deutschland, den | |
Niederlanden und Finnland – gegen die Südländer Griechenland, Italien und | |
Frankreich. Allerdings gibt es diesmal einen großen Unterschied: Die EU hat | |
nicht mehrere Monate Zeit, die Krise zu lösen – sondern nur wenige Tage. | |
Und von Corona sind nicht nur einige „Schuldensünder“ betroffen, sondern | |
alle stehen mit dem Rücken zur Wand – auch Deutschland. | |
## Deal bis Ostern? | |
Der frühere EU-Kommissar Mario Monti bringt es auf den Punkt: „Der große | |
Vorteil in dieser Tragödie ist, dass nicht mal ein nordischer, großer, | |
stämmiger Blonder mit sehr blauen Augen sagen kann, dass diese Tragödie des | |
Coronavirus nur die Sünder-Länder getroffen hat, also diejenigen mit einer | |
hohen Staatsverschuldung.“ | |
Doch wenn es hart auf hart kommt, ist das nur ein schwacher Trost. Im | |
Angesicht des Todes denkt jeder nur an sich. Die EU scheint da keine | |
Ausnahme zu machen. Oder einigen sich die 27 doch noch auf solidarische | |
Not- und Aufbauhilfe? | |
Bis Ostern, so heißt es in Brüssel, soll eine Einigung stehen. Die Uhr | |
tickt, noch geht es ohne Notbeatmung. | |
2 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Griechenland-wehrt-sich-gegen-Rauswurf/!5085732 | |
[2] /EU-erwaegt-hoehere-Neuverschuldung/!5673091 | |
[3] /Chinesische-Hilfslieferungen/!5670647 | |
[4] /Grenzschliessungen-wegen-Corona/!5672296 | |
[5] /Grenzschliessung-wegen-Coronavirus/!5668563 | |
[6] /EU-Gipfel-scheitert-an-Coronabonds/!5674880 | |
[7] /Nobelpreistraegerin-Olga-Tokarczuk/!5647913 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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