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# taz.de -- Sportsysteme in der Krise: Dunkle Zeiten für die Disneywelt
> Wie begegnet der Sport der Coronakrise? Über ignorante Verbände,
> Privilegien und Todesfälle. Ein Blick in die USA, nach Südkorea, Russland
> und Spanien.
Bild: Vor knapp einer Woche konnte man ZSKA Moskau noch beim Fußballspielen zu…
## USA: Zum Glück gab's den Brady-Rücktritt
Es gibt sicher keine Figur im US-Sport, die so stark spaltet wie Tom Brady.
Entweder man liebt die Lichtgestalt des American Football oder man hasst
ihn. Doch in dieser seltsamen Woche war man sich ausnahmsweise über einig.
Jeder, der sich zwischen San Francisco und Foxborough für Sport
interessiert, war Brady dankbar.
Brady lieferte in der ersten Woche der Epidemie-bedingten Auszeit aller
amerikanischen Profiligen der Sportöffentlichkeit den dringend benötigten
Unterhaltungsstoff. Nach 20 Jahren und sechs Super Bowls mit den New
England Patriots entschied sich Brady bei den Tampa Bay Buccaneers zu
unterschreiben. Die Nachricht reichte beinahe aus, um die ganze Woche über
die ansonsten gähnend leeren Spalten der Sportseiten zu füllen.
Zur Schlagzeile taugt allein schon, wenn wieder ein Spieler einen positiven
Test abliefert. So geschehen am Mittwoch, als sich vier Spieler der
Brooklyn Nets wegen Corona krankschreiben ließen. Das wiederum erzürnte den
New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio. weil die reiche NBA ihre
Angestellten von privaten Labors untersuchen lässt, während für die
Mehrzahl der New Yorker Bevölkerung noch immer keine Tests zur Verfügung
stehen.
Der Vorfall verursachte einen regen Austausch zwischen de Blasio und dem
NBA Commissioner David Stern. Stern entgegnete de Blasio, dass die
Umsichtigkeit der NBA kein Elitarismus sei, sondern vielmehr Umsicht im
Sinne der Öffentlichkeit. Weil die NBA so wachsam auf das Virus reagiert
hat, deutlich früher als etwa die US-Bundesregierung, so Stern, hätten die
amerikanischen Profiligen überhaupt den Betrieb so zeitig eingestellt und
damit das Ihre zur Abflachung der Infektionskurve getan.
Nun bleibt nicht viel mehr übrig, als darüber zu spekulieren, wann und ob
der Spielbetrieb wieder aufgenommen wird. Für die NBA und die Hockeyliga
NHL wird es dabei am schwersten. Beide Ligen steckten tief in der Spielzeit
und ihre Playoffs waren zu einem Zeitpunkt anberaumt, zu dem gewiss das
Virus in den USA noch lange nicht unter Kontrolle ist.
Die Baseballprofis hingegen, die gerade angefangen hatten, haben noch
reichlich Luft nach hinten. Am entspanntesten kann die NFL sein. Bis die
Saison im September beginnt, hat sich die Lage wieder einigermaßen
beruhigt. Da bleibt noch viel Zeit um darüber zu spekulieren, ob Tom Brady
mit Tampa eine Chance hat, um einen siebten Titel mitzuspielen.
## Südkorea: Aberiegeltes Trainingscamp
In Südkorea ist der organisierte Sport schon frühzeitig zum Stillstand
gekommen, schließlich befindet sich die Halbinsel nur eine Flugstunde vom
chinesischen Festland entfernt. Noch zu Beginn des Monats hatte das Land am
Han-Fluss nach China die höchste Zahl an Virusansteckungen.
Ende Februar haben sowohl die koreanische Baseball- als auch Fußballliga
ihre Spielzeiten bis auf Weiteres ausgesetzt. Zu Beginn des Jahres, als die
Lage noch nicht so dramatisch aussah, mussten Fans für Spiele der
asiatischen Champions League lediglich Masken tragen und ihre
Körpertemperaturen messen lassen.
Am meisten leiden die Athleten unter der neuen Situation, weil viele Länder
Einreisebeschränkungen für Südkorea verhängt haben. In der zweiten
Märzwoche wollte etwa das nationale Judoteam für ein Grand Slam Turnier
nach Russland reisen, doch kurz davor kündigte Moskau eine zweiwöchige
Quarantäneregel für Korea an. Sämtliche ausstehende Judo-Turniere finden
mit der Türkei, Mongolei und Katar ohnehin in Ländern statt, die bereits
Einreiseverbote für Südkoreaner eingeführt haben.
Ähnlich gehandicapt sind derzeit etwa die Athleten für Bogenschießen und
Taekwondo – beide Disziplinen zählen zu den erfolgsversprechendsten für
Südkorea bei den Olympischen Spielen. Viele südkoreanische
Golfspielerinnen, die weltweit dominieren, sind frühzeitig in die USA
eingereist, um Einreisebeschränkungen zuvorzukommen.
Das koreanische Olympische Komitee hat für etliche Athleten – darunter
seine Gewichtheber – einen anderen Weg gewählt. Die Sportler wurden in ein
abgeriegeltes Trainingscamp im ländlichen Jincheon gesteckt, welches
täglich desinfiziert werde und das die Athleten nicht verlassen dürfen.
Dies solle sicherstellen, dass sie Ausnahmeregelungen für Auslandsreisen
bekommen.
Einen Lichtblick gibt es vom vielleicht beliebtesten kommerziellen Sport
des Landes: Die Baseball-Liga soll bereits Ende des Monats wieder
aufgenommen werden – allerdings in leeren Stadien.
## Russland: Aufeinanderliegend in Sotschi
In Russland hat sich das Virus [1][erst im Laufe dieser Woche] so richtig
in den Sport vorgearbeitet. Am Montag noch sagte Vizepremier Dmitri
Tschernyschenko, jener Mann, der einst die Region um Sotschi olympiareif
hat betonieren lassen, er könne sich vorstellen, dass Russland der Uefa bei
der EM im Sommer helfen könnte.
Am Tag, bevor die Uefa das Turnier um ein Jahr verschob, formulierte er das
Angebot, Russland könne doch mehr als die vier Spiele austragen, die in St.
Petersburg geplant seien. Ob Tschernyschenko da wirklich noch glaubte, das
Virus würde Russland weitgehend verschonen, wird die Welt wohl nie
erfahren. Zwei Tage später jedenfalls empfahl das Sportministerium den
Verbänden des Landes, den Wettbewerbsbetrieb ab dem Wochenende bis auf
Weiteres einzustellen.
So konnte der Rodelverband seine Titelkämpfe unter der Woche noch
durchführen. Es würden eh nicht viele Leute zur Rodelbahn kommen, ließ der
Verband verlauten und war sich sicher, dass schon nichts passieren werde.
Und während Superstars wie die gerade zurückgetretene Tennisspielerin Maria
Scharapowa in sozialen Medien zeigte, wie man sich die Hände zu waschen
hat, rasten die die neuen russischen Meister im Doppelsitzerwettbewerb
Andrej Bogdanow und Andrej Medwedew aufeinanderliegend den Eiskanal von
Sotschi hinab.
Der Volleyballverband wollte trotz der Empfehlung aus dem Sportministerium
die russische Meisterschaft zu Ende spielen, obwohl sich das Team von
Gazprom Jagorsk aus dem Ural aus Sorge vor möglichen Ansteckungen weigerte
nach Moskau zu reisen. Bei den Frauen standen die Halbfinals an, die Männer
waren kurz vor den Playoffs. Am Donnerstagabend wurde bekannt, dass Earvin
N’Gapeth, der französische Europameister in Diensten von Zenit Kasan,
positiv auf das Sars-Cov-2-Virus getestet worden ist. Am Freitag wurde dann
die Einstellung Spielbetrieb doch verkündet.
Derweil hat in Sotschi der russische Elitekader in Fechten Quartier
bezogen, um sich in einem Lehrgang auf die bis dahin immer noch nicht
abgesagten Olympischen Sommerspiele vorzubereiten. Während in vielen
europäischen Ländern alle Sporthallen geschlossen sind, läuft der
Trainingsbetrieb in Russland vielerorts weiter. Auch in etlichen
Fußballklubs, worüber sich nicht nur Benedikt Höwedes, der deutsche
Weltmeister in Diensten von Lokomotive Moskau, gewundert hat. Derweil hat
Ligakonkurrent ZSKA Moskau alle Spieler und Betreuer für zwei Wochen zur
Isolation verdonnert.
## Spanien: „Antipatriotisches“ Verhalten
Bei 20.000 Infizierten, über 1.000 Toten, einer brutal steigenden
Patientenkurve und einer landesweiten Ausgangssperre sind professionelle
Leibesübungen derzeit so nebensächlich wie sonst nie im sportverrückten
Spanien. Die Schreckensnachrichten dominieren: Ein 59-jähriger
Fußballjournalist des staatlichen Radiosenders RNE sowie der 78-jährige
Entdecker von Ex-Motorradweltmeister Ángel Nieto sind verstorben, derweil
der ehemalige Präsident Real Madrids, Lorenzo Sanz, bei wenig
hoffnungsvoller Prognose auf der Intensivstation liegt.
Im Zuge der fatalen Champions-League-Achtelfinals zwischen Atalanta Bergamo
und dem FC Valencia hat sich ein gutes Drittel des ostspanischen Teams mit
dem Virus angesteckt – und ihn offenbar teilweise an Spieler des folgenden
Ligagegners Deportivo Alavés weitergereicht.
Die Fußballliga trägt nach einer Studie der Wirtschaftsprüfer PwC (Dezember
2018) direkt oder indirekt 1,37 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und
schafft 185 000 Arbeitsplätze. Ihr Chef Javier Tebas gehört nun zur
Uefa-Kommission, die Pläne zur Beendigung der nationalen Meisterschaften
bis zum gewohnten Saisonschluss am 30. Juni erarbeitet – ohne zu wissen, ob
sie realistisch sind. Tebas: „Wenn die Regierungen garantieren, dass
gespielt werden kann, wird gespielt. Wenn nicht, dann nicht.“ Die
eventuellen Verluste für seine Klubs werden mit rund 700 Millionen Euro
beziffert.
Der medienpräsente Fußballverbandspräsident Luis Rubiales nutzte seinen
Auftritt – manche Dinge ändern sich nicht mal in der Viruskrise – zu einer
neuerlichen Attacke auf seinen Lieblingsfeind Tebas, weil dieser
Corona-Tests unter den 42 Profivereinen verteilen lassen hatte. Solche
Proben sind in Spanien akute Mangelware. „Unsolidarisch“ oder
„antipatriotisch“ zürnte Rubiales über Tebas, und auch die Erstligisten
Eibar, Valladolid, Osasuna und Celta Vigo fanden, dass andere
Bevölkerungsgruppen derzeit dringenderen Bedarf hätten – sie reichten die
Tests an ihre regionalen Gesundheitsbehörden weiter.
Wird sonst jede Kleinigkeit aus dem Sektor erhöht, irritieren seine
Partikulardebatten derzeit bloß. Wie die Zeitung As kommentiert: „Der Sport
erweist sich als Disneywelt, geschaffen für Freundschaft und
Glückseligkeit. Nicht für dunkle Zeiten.“
20 Mar 2020
## LINKS
[1] /Kandidatenturnier-in-Russland/!5669059
## AUTOREN
Sebastian Moll
Fabian Kretschmer
Florian Haupt
Andreas Rüttenauer
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