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# taz.de -- Corona und Rechtsradikale: Ersehnte Apokalypse
> Der Ausnahmezustand könnte in rechten Netzwerken eine gefährliche Dynamik
> entfalten. Doch die Gesellschaft kann gegensteuern.
Bild: Nach dem Anschlag: Patrone in Hanau
Für die extreme Rechte hatte der Ausnahmezustand schon immer eine
grundlegende Bedeutung. Auch in nicht krisenhaften Zeiten definiert er die
eigene Position, von ihm aus wird die gesellschaftliche Gegenwart bestimmt.
Es ist der bevorstehende Untergang, der große Austausch, der Volkstod, der
drohend am Horizont erscheint [1][und sowohl die Dringlichkeit des Handelns
bestimmt als auch die Brutalität desselben rechtfertigt.]
Der Rechtsterrorist Anders Breivik tötete 77 Menschen und behauptete
später, er habe in Notwehr gehandelt, in Verteidigung seiner Kultur, seiner
Religion und seines Landes. Der drohende Untergang gilt in dieser Weltsicht
nicht den Einzelnen, sondern der Volksgemeinschaft und mit ihr der
behaupteten tausendjährigen Tradition.
Es ist dieser apokalyptische Hintergrund, vor dem die rechten Pläne für den
„Tag X“ verstanden werden müssen.
So wird auch deutlich, dass die Vorbereitung auf den Tag X und dessen
Herbeiführung fließend ineinander übergehen. Von den Vorkehrungen für den
gesellschaftlichen Ausnahmezustand zur gezielten Destabilisierung der
Ordnung durch Anschläge sind es nur wenige Schritte.
Die Corona-Pandemie hat nun einen tatsächlichen Ausnahmezustand begründet,
der in einigen Punkten an die Planungen etwa des rechten
Nordkreuz-Netzwerks erinnert. Er fällt zusammen mit einer humanitären
Katastrophe an den Grenzen Europas, die Gegenstand heftiger politischer
Auseinandersetzungen ist, und einer scheinbaren Schwäche des politischen
System und seiner Institutionen.
## Terroristisches Potenzial
Diese Situation ist gefährlich, weil sie für rechte Endzeitvorstellungen
anschlussfähig ist und deshalb auch ein an diese geknüpftes terroristisches
Potenzial enthält. Der jahrelange Rechtsruck, der sich in der Verschiebung
des öffentlich Sagbaren, in den Wahlerfolgen der „Alternative für
Deutschland“ und in der drastischen Zunahme rechtsterroristischer Gewalt
ausdrückt, macht die Lage zusätzlich explosiv. Hinzu kommt, [2][dass die
Ermittlungen und Gerichtsverfahren zum Beispiel in den Komplexen Franco A.
und Nordkreuz] Netzwerke intakt gelassen haben dürften, weil sie an der
falschen Einzeltäterhypothese orientiert waren.
Doch nicht nur die unmittelbare Gefahr rechter Anschläge droht. Mit der
Frage, wie die gegenwärtige Krise bearbeitet wird, hängt auch die
mittelbare Gefahr zusammen.
Schon jetzt verschärfen sich Ungleichheitsverhältnisse und soziale
Spannungen. Wesentlich wird die Auseinandersetzung darüber sein, wer die
Kosten der Krise zu tragen hat. Ob diese Auseinandersetzung als soziale
Frage geführt wird oder nationalistisch, rassistisch und autoritär, wird
auch darüber entscheiden, wie stark die gesellschaftliche Rechte sein wird
und damit wie groß die Gefahr rechter Anschläge.
## Keine einflussreiche Erzählung
Diese Gefahr ist nie getrennt von der autoritären Rechtsentwicklung zu
verstehen. Dass wir innerhalb des letzten Jahres drei schwere
terroristische Anschläge aus rassistischen und antisemitischen Motiven
erlebt haben, liegt auch daran, [3][dass rechte Positionen von
einflussreichen Teilen von Politik und Medien diskutabel gemacht und
normalisiert wurden], und daran, dass Konservative ungehindert Personen,
Gruppen und Institutionen als angeblich fremd, nicht dazugehörend oder
gefährlich diffamieren können und für die bewaffnete Rechte als
Anschlagsziel markieren.
Bislang ist es der Rechten nicht gelungen, eine einflussreiche Erzählung zu
entwickeln. Das liegt zum Teil daran, dass sich die gesellschaftliche
Verunsicherung derzeit in Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Kanzlerin
ausdrückt. Es liegt vermutlich auch daran, dass in den Debatten der
vergangenen Wochen die AfD kaum eine Rolle gespielt hat. Absurderweise
waren es nicht die rassistischen Morde von Hanau, die dazu geführt haben,
dass die AfD ihre Dauerplätze in den Talkshows – vorläufig – räumen muss…
sondern die mediale Dominanz der Corona-Krise.
Die Situation ist gefährlich. Weitere Anschläge wie jene in Hanau, in Halle
und in Wolfenhagen sind wahrscheinlich. Ob es gelingt, die
rechtsterroristische Bedrohung zu bekämpfen, hängt nicht nur von
entschlossenem staatlichen Handeln und nicht nur von investigativem
Journalismus und antifaschistischer Praxis ab. Entscheidend wird sein, ob
es gelingt, als gesellschaftliche Linke in der Krise deutungs- und
handlungsfähig zu werden und in den bevorstehenden Kämpfen eine
solidarische und sozialistische Alternative zu entwickeln.
26 Mar 2020
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Strategie_der_Spannung
[2] /Ermittlungen-gegen-Nordkreuz-Prepper/!5667967
[3] /AfD-Vizepraesident-in-Brandenburg/!5626537
## AUTOREN
Sebastian Wehrhahn
Martina Renner
## TAGS
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