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# taz.de -- Reaktion auf BKA-Papier zu Hanau: „Furcht vor Verharmlosung“
> Das BKA stuft laut einem Bericht den Hanauer Attentäter nicht als
> Rechtsextremisten ein. Die Opferangehörigen warnen vor einem falschen
> Signal.
Bild: „Die Familien haben Angst vor einer Verharmlosung der Tat.“ Foto eine…
Hanau/Berlin taz | Es herrscht Unruhe unter den Opferfamilien des Hanauer
Anschlags. „Schon irritierend“ sei die jüngste Meldung, sagt der
Opferbeauftragte Robert Erkan der taz. „Es gibt unter den Angehörigen
gerade, vorsichtig ausgedrückt, eine große Verunsicherung.“
Zuvor war eine vorläufige Einschätzung des Bundeskriminalamtes zum Anschlag
vom 19. Februar bekanntgeworden. [1][Bei der Tat hatte der Hanauer Tobias
R. neun Menschen – allesamt mit Migrationshintergrund – erschossen], dazu
auch seine Mutter. Danach tötete er sich selbst. Laut ARD und Süddeutscher
Zeitung wird in einem Entwurf des BKA-Abschlussberichts seine Tat nun als
rechtsextrem eingeschätzt – Tobias R. selbst indes nicht.
Fast alle der 100 sichergestellten Videodateien auf R.s Computer und Handy
stufen die Ermittler demnach als nicht „tatrelevant“ ein. Auch seien keine
Hinweise gefunden worden, dass sich der 43-Jährige in der Vergangenheit mit
rechtsextremer Ideologie befasst habe. Bekannte der Familie hätten davon
ebenso nichts bemerkt, einem schwarzen Nachbarn soll R. wiederholt geholfen
haben.
Tobias R. habe sich vielmehr in Verschwörungstheorien hineingesteigert, so
die Ermittler. Seine Tat habe ihm dann dazu gedient, größtmögliche
Aufmerksamkeit für diese Theorien zu erheischen.
## Im Bekennerschreiben auch Rassismus
[2][Vor seiner Tat hatte Tobias R. ein 24-seitiges Dokument veröffentlicht,
auch ein inhaltsgleiches Video]. Darin beklagt er, sein Leben lang
überwacht worden zu sein, von einer „Geheimorganisation“, die sich in
Gehirne „einklinken“ könne. Gleichzeitig aber ätzte er auch über Menschen
mit Migrationshintergrund, die „in jeglicher Hinsicht destruktiv“ seien.
Hier brauche es eine „Grob-Säuberung“. „Ich würde diese Menschen alle
eliminieren.“ Seine Tat sei deshalb ein „Doppelschlag“, so Tobias R.:
„gegen die Geheimorganisaton und gegen die Degeneration unseres Volkes“.
Die rassistischen Passagen habe Tobias R. erst spät seinem Dokument
hinzugefügt, hatte Generalbundesanwalt Peter Frank kurz nach der Tat
mitgeteilt. Denn seine Behörde hatte bereits im November 2019 den
Schriftsatz erhalten – indes nur mit den Ausführungen über die
„Geheimorganisation“. Frank stufte den Hanauer Anschlag damals als
rechtsextrem ein.
Zu der aktuellen Berichterstattung wollte sich seine Behörde nicht äußern.
Bei der Einstufung der Tat soll es aber offenbar weiterhin bleiben – auch
wenn der Täter nicht mehr als rassistisch gilt.
## Opfer fürchten eine Relativierung der Tat
Die Angehörigen der Getöteten habe die Nachricht dennoch verunsichert,
[3][sagt der Hanauer Opferbeauftragte Erkan]. „Für sie ist das eine
gefühlte Herabstufung der Tat. Die Botschaft lautet: Es war am Ende doch
nur ein psychisch Kranker.“ Die Tat sei aber augenscheinlich mehr gewesen,
so Erkan. Er verweist auf die Opferauswahl und darauf, dass der Täter
„kalkuliert gehandelt hat, bei klarem Verstand“. „Die Familien befürchten
eine Verharmlosung der Tat, die besonders schmerzt.“
Erkan bedauert, dass sich die Bundesanwalt nun nicht weiter zu dem
BKA-Bericht äußere, trotz allem Verständnis für den Verfahrensgang. „So
bleibt eine mögliche Relativierung der Tat im Raum hängen. Das ist für die
Familien belastend und unerträglich.“ Auch sei es misslich, dass die Opfer
Teile der vorläufigen Ermittlungsergebnisse aus der Zeitung erfahren
müssten. „Die Opfer haben sich gewünscht, zuerst informiert zu werden, dann
die Öffentlichkeit. Das wurde ihnen auch zugesagt.“ Erkan forderte ein
„zügiges, umfassendes und transparentes Aufklären“ der Tat ein.
Auch die „Initiative 19. Februar Hanau“, die das Gedenken an die Tat
hochhalten und die Opfer unterstützen will, erklärte, Deutschland habe seit
Jahrzehnten ein Problem, Nazis zu erkennen und als solche zu benennen. „Es
reicht ganz offensichtlich nicht einmal, neun Menschen aus rassistischen
Motiven zu töten, um vom BKA als Rechtsextremist eingestuft zu werden. Das
ist unglaublich – und war trotzdem absehbar.“
[4][Auch für den Rechtsextremismusforscher Matthias Quent] war der Hanauer
Anschlag „ganz klar rassistisch“. Dafür spreche unzweifelhaft die
Opferauswahl. Damit strahle die Tat auch auf andere ab, so Quent. „Davon
geht eine Botschaft des Ausschlusses und der Einschüchterung gegen
rassistisch markierte Gruppe aus.“
Es stimme aber auch, dass der Täter kein organisierter Rechtsextremist war,
der im Rahmen einer politischen Strategie rational handelte, und dass er
psychische Probleme hatte, so Quent. „Das muss differenziert betrachtet
werden, ohne die Wirkung vorurteilsgeleiteter Botschaftstaten aus den Blick
zu verlieren.“ Deutlich werde aber auch im Fall Hanau, dass der Täter eine
gesellschaftliche Stimmung aufgriff, die eine vermeintlich legitime
Opfergruppe definierte: Migranten. „Entscheidend für die Einordnung von
Hassverbrechen ist am Ende daher immer die Betroffenenperspektive, nicht
die Biographie des Täters.“
## Schon einmal Streit ums Motiv – beim OEZ-Anschlag
Die Debatte ist nicht neu. Schon nach dem Attentat am Münchener
OEZ-Einkaufszentrum 2016 wurde jahrelang über das Motiv gestritten. Der
18-jährige David S. hatte damals neun Menschen erschossen, allesamt mit
Migrationshintergrund. Ermittler stuften die Tat zunächst nicht als
politisch ein, sondern als Amoklauf. Externe Gutachter – darunter Quent –
sahen es anders.
So hatte S. zwar psychische Probleme und sich von Mitschülern gemobbt
gefühlt. Diesen Frust richtete er indes pauschal gegen Menschen mit
Migrationshintergrund, bezeichnete sie als „Untermenschen“ und
„Kakerlaken“. Auch schwärmte S. für den Rechtsterroristen Anders Breivik.
[5][Im Oktober 2019 vollzogen auch die Ermittler die Kehrtwende]: Sie
stuften den OEZ-Anschlag doch als rechtsextrem ein, weil sich David S.
seine Opfer gezielt ausgesucht habe.
30 Mar 2020
## LINKS
[1] /Rechter-Anschlag-in-Hanau/!5663003
[2] /Anschlag-in-Hanau/!5665253
[3] /Opferbeauftragter-ueber-Anschlag-in-Hanau/!5671685
[4] /Rechtsextremismusexperte-ueber-Mordfall/!5604268
[5] /OEZ-Anschlag-in-Muenchen/!5636150
## AUTOREN
Konrad Litschko
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