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# taz.de -- Bewertung von Hanau: Deutsches Oxymoron
> Wenige Wochen nach dem Anschlag in Hanau stellt sich eine Frage, die
> zynisch ist: War der Täter Rechtsextremist?
Bild: Hanau, Ende Februar: Der Sarg eines der Opfer wird über den Marktplatz g…
Kann eine Tat rechtsextremistisch motiviert sein, ohne dass der Täter
selbst Rechtsextremist ist? [1][In Deutschland offensichtlich schon].
Dabei war nach Hanau doch „dieses Mal“ alles ganz anders? Dieses Mal
erbarmten sich hochrangige Staatsrepräsentanten zu einer Trauerfeier am Ort
der Tat; statt von „Beileidstourismus“ zu sprechen wie Helmut Kohl nach
Mölln 1992. Nein, Innenminister Horst Seehofer nannte die Tat beim Namen
(„rassistisch motivierter Terroranschlag“), sprach später mit Bezug auf
diesen rechten Terror von einer „Blutspur“.
Alles besser geworden also? Wir wären nicht in Deutschland, wenn eine
eigentlich selbstverständliche Feststellung nicht doch noch einmal
diskutiert würde: Am Freitag [2][berichtete tagesschau.de über den Einblick
des Rechercheverbunds NDR, WDR, SZ] in einen entstehenden
BKA-Abschlussbericht zum Hanauer Anschlag. Darin hieß es: „Tobias R. habe
zwar eine rassistische Tat verübt, aber sei kein Anhänger einer
rechtsextremistischen Ideologie gewesen, so die Analyse des BKA.“ Der Täter
habe seine Opfer ausgewählt, „um größtmögliche Aufmerksamkeit“ für sei…
Verschwörungstheorien zu bekommen.
Die Einschätzung des BKA basiere auf Auswertungen von Dokumenten, Daten auf
Computer und Handy sowie Zeugenaussagen. Ähnlich berichtete [3][am Samstag
die SZ]. Nicht nur Angehörige reagierten auf diese Berichte irritiert.
Wollte das Bundeskriminalamt tatsächlich infrage stellen, was sein Oberchef
Seehofer und andere zuvor festgestellt hatten?
## Doch nicht alles anders
Über drei Tage nach der Berichterstattung verbreitete das BKA [4][auf
Twitter ein Statement ihres Präsidenten Holger Münch]: „Das BKA bewertet
die Tat als eindeutig rechtsextremistisch“, hieß es. „Die Tatbegehung
beruhte auf rassistischen Motiven.“ In der Zwischenzeit hatte die
Bild-Zeitung aber bereits einen Artikel mit „Kein rassistisches Motiv bei
den Morden in Hanau“ überschrieben, parlamentarische und
außerparlamentarische Rechtsextreme hatten die ersten Berichte auch in
ihrem Sinne gedeutet.
„Dieses Mal“ ist also doch nicht alles anders gelaufen – dabei hatten sich
Seehofer und Co. solche Mühe gegeben.
Haben die Kollegen vom Rechercheverbund Fehler gemacht? Oder hat das BKA
den Bericht geändert? Weder noch, scheint die richtige Antwort zu sein: Am
Abend nach dem BKA-Statement berichtete der ARD-Faktenfinder von einer
[5][„Verwirrung um Täter-Analyse“;] stellte fest, dass die Kollegen nicht
falsch berichtet hatten, aber „teilweise irreführend zitiert worden“ seien.
Denn die Ermittler seien nach Informationen der Kollegen eben zu dem
Schluss gekommen, dass der Täter „kein klassischer Rechtsextremist“, der
Anschlag in Hanau aber eine „rassistische Tat gewesen“ sei.
## Betroffenen- statt Täterperspektive
Das Problem an dieser Stelle ist aber nicht etwa ein falsches Zitat,
sondern die auch von den Kollegen übernommene Unterscheidung zwischen Tat
und Täter. Primär sind an dem entstandenen Eindruck auch nicht Bild-Zeitung
und Rechtsextreme schuld – die verstehen ohnehin alles gerne so, wie sie es
verstehen wollen, sondern jene, die ihnen mit dieser Unterscheidung eine
Vorlage geben.
Ermittungstechnisch ist gewiss relevant, ob ein Täter der organsierten
Naziszene angehört oder sich einsam radikalisiert hat. Der
[6][Rechtsextremismusforscher Matthias Quent schreibt dazu], dass der Täter
von Hanau „sicher kein typischer, Klischees entsprechender
‚Rechtsextremer‘“ gewesen sei, auch wenn die Opferauswahl und die
Propaganda „unzweifelhaft rassistisch“ gewesen seien. Aber er fügt hinzu,
dass man bei der Bewertung solcher Anschläge die Betroffenenperspektive
über die des Täters stellen müsse. Und dass dies eine Lehre aus den
NSU-Morden sei.
Da scheint es dann doch zweifelhaft, wenn zwischen Täter und Tat
unterschieden wird. Wer das Problem ernst nehmen möchte, darf bei aller
notwendigen ermittlungstechnischen Differenzierung keine Vorlage für
Relativierung geben.
BKA-Chef Münch hat zwar von einer rechtsextremistischen Tat, nicht aber
einem solchen Täter gesprochen. Diese Einschätzung hat ein logisches
Problem: Oxymoron nennt man eine rhetorische Figur, die in ihrer Bedeutung
widersprüchlich ist. „Trockener Regen“ wäre ein Beispiel. Oder eben:
rechtsextrem motivierte Morde eines nicht-rechtsextremen Täters.
1 Apr 2020
## LINKS
[1] /Reaktion-auf-BKA-Papier-zu-Hanau/!5675606
[2] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/hanau-taeter-bka-101.html
[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/anschlag-hanau-rechtsextremismus-abschl…
[4] https://twitter.com/bka/status/1244938778374025218
[5] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/bka-hanau-101.html
[6] https://twitter.com/Matthias_Quent/status/1243872394541924352
## AUTOREN
Volkan Ağar
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