# taz.de -- Skandinavier sind sich nicht einig: Corona spaltet Nordeuropa | |
> So gehen Skandinavier mit Corona um: Ausnahmezustand in Dänemark und | |
> Norwegen, Zurückhaltung in Schweden und Finnland. | |
Bild: Dänischer Posten an der Öresundbrucke nach Schweden am 14. März, dem T… | |
STOCKHOLM taz | Dänemarks linke Tageszeitung Information hat es | |
normalerweise nicht so mit Militärjargon. Aber in ihrer Wochenendausgabe | |
porträtierte sie [1][Ministerpräsidentin Mette Frederiksen] als Dänemarks | |
„Corona-Oberbefehlshaberin“. Sie habe Handlungskraft bewiesen und sei die | |
„starke Führungskraft“, nach der sich viele in Dänemark so lange gesehnt | |
hätten. | |
In den letzten Tagen hatte Frederiksen manchmal mehrmals täglich zu | |
Pressekonferenzen geladen und stets eine weitere drakonische Maßnahme | |
verkündet, mittlerweile eine lange Liste: Schließung aller Universitäten, | |
Schulen, Kindergärten, Bibliotheken und Kulturinstitutionen. Alle | |
öffentlich Angestellten wurden nach Hause geschickt – außer bei „kritisch… | |
Funktionen“, wie im Gesundheitswesen oder bei der Polizei. Keine | |
Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen, Einschränkungen beim | |
Kollektivverkehr | |
Und als ein geeintes Parlament der Regierung entsprechende | |
Notstandsbefugnisse eingeräumt hatte, kam die Verkündung der Schließung der | |
Landesgrenzen ab Samstag 12 Uhr. | |
Frederiksens schwedischen Parteifreund und Amtskollegen [2][Stefan Löfven] | |
würde niemand „Corona-Oberbefehlshaber“ nennen. Mehrere Tage war er | |
unsichtbar, dann tauchte Schwedens Ministerpräsident am Freitag wieder auf | |
und bekräftigte, dass die Regierung ihrem bisherigen Kurs folge: Maßnahmen | |
treffen, die der aktuellen Situation angemessen seien. Nicht mehr und nicht | |
weniger. Und dabei werde man sich auch künftig nach dem Rat von Experten | |
richten. | |
## Schweden gegen flächendeckende Schulschließungen | |
Die sitzen vor allem in der Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten. Die | |
hält Schulschließungen für kontraproduktiv und Grenzschließungen für | |
wirkungslos. Jedenfalls derzeit. Würden Schulen und Kindergärten | |
geschlossen, könne Personal im Gesundheitssektor ausfallen, weil es sich um | |
die Kinderbetreuung kümmern müsse. In für das Funktionieren der | |
Gesellschaft zentral wichtigen Bereichen könne man aber auf keine Hand | |
verzichten. | |
Weil in Schweden die Verantwortung für das Gesundheitswesen bei den | |
Regionen und für die Schulen bei den Kommunen liegt, haben diese große | |
Freiheiten, eigene und an die lokale Lage angepasste Entscheidungen zu | |
treffen. | |
So haben einige Kommunen einzelne Schulen geschlossen, in denen es | |
Infektionen oder Verdachtsfälle gab. Ausbildungsministerin Anna Ekström | |
findet das okay: „Wir haben eben nicht die gleiche Situation im ganzen | |
Land.“ | |
Im Prinzip bestimmen also die ExpertInnen der Gesundheitsbehörden die | |
Corona-Politik. Als sie Anfang letzter Woche bei ihrer täglichen | |
11-Uhr-Zusammenkunft für das Ansteckungsrisiko die höchste Gefahrenstufe | |
ausriefen und damit Zusammenkünfte von mehr als 500 Personen verboten, | |
folgte die Regierung diesem Rat. | |
Ebenso am Wochenende der Empfehlung, auf Auslandsreisen möglichst ganz zu | |
verzichten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass man nach | |
entsprechender Empfehlung morgen die Schulen und bald die Grenzen schließt. | |
„Aber das sind Einschränkungen grundlegender Freiheitsrechte. So etwas | |
können wir nur machen, wenn es dafür eine Grundlage gibt“, sagt | |
Justizminister Morgan Johansson. | |
Dem „schwedischen Modell“ im Umgang mit Krisen folgt derzeit auch Finnland. | |
[3][Ministerpräsidentin Sanna Marin] erklärte am Freitag, weiter | |
wissenschaftlicher Expertise zu folgen. Justizministerin Anna-Maja | |
Henriksson erinnerte daran, „dass wir ein Rechtsstaat sind, der auch vor | |
Willkür der Regierung geschützt werden muss“. | |
In Schweden zeigen aktuelle Umfragen, dass die große Mehrheit der | |
Bevölkerung mit der Linie ihrer rot-grünen (Minderheits-)Regierung | |
einverstanden ist. Dabei wird in der Presse kritisiert, dass | |
Entscheidungsfindungen zu langsam seien und es an Entschlossenheit fehle. | |
Es wird an die großen Waldbrände 2014 oder Schwedens Reaktion auf den | |
Tsunami in Südostasien 2004 erinnert. Darauf könne man „alles andere als | |
stolz sein“, meint Dagens Nyheter. Bei solchen Krisen müsse man sofort und | |
zentral reagieren: „Wir brauchen keinen Diskussionsklub, sondern Führung.“ | |
Svenska Dagbladet appelliert dagegen: „Klaren Kopf bewahren, Sinn für | |
Proportionen behalten.“ Viele Medien fragen unter Hinweis auf die | |
Nachbarländer: Wieso glaube man eigentlich, bessere ExpertInnen zu haben? | |
## Experte nennt Dänemarks Grenzschließung „völlig sinnlos“ | |
Dabei sind sich bei Dänemarks Grenzschließung Schwedens Epidemiologen mit | |
ihren ausländischen KollegInnen weitgehend einig. „Völlig sinnlos“ nennt | |
Anders Tegnell von Folkhälsomyndigheten dies und bezieht sich auch auf die | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der einzige Effekt sei ökonomischer | |
Schaden. | |
Søren Brostrøm, Chef der dänischen Gesundheitsbehörde, widerspricht nicht. | |
Kopenhagens Entscheidung sei „ein rein politischer Schritt“ gewesen, „nic… | |
von uns empfohlen“. Es gebe keinen Nachweis über eine mehr als bescheidene | |
Wirkung. Zudem seien die Grenzen nur für Nicht-DänInnen dicht. | |
Arbeitspendler könnten weiter frei ein- und ausreisen. | |
Viren nehmen bekanntlich keine Rücksicht auf den jeweiligen Pass der | |
Menschen. Aber auch Norwegen, wo Ministerpräsidentin Erna Solberg eine | |
ähnliche Rolle spielt wie ihre dänische Amtskollegin Frederiksen, traf eine | |
vergleichbare Regelung und stoppte den Schiffs- und Flugverkehr für | |
Nicht-Norweger. Die Straßengrenzen nach Schweden und Finnland sind weiter | |
offen, und für deren BürgerInnen gibt es noch keine Beschränkungen. | |
In Norwegens Norden würden viele aber gern eine Grenze haben, die diesen so | |
gut wie noch nicht von Corona betroffenen Landesteil vom Süden abschotten | |
soll. Auf den Inseln der Lofoten und Vesterålen haben Kommunen beschlossen, | |
dass Personen aus dem Süden nicht einfach kommen dürfen, sondern nur nach | |
14 Tagen Quarantäne. Am Sonntag verbot die Regierung in Oslo, sich in | |
seinem Ferienhaus aufzuhalten, wenn es in einer anderen als der | |
Wohnsitzgemeinde liegt. | |
15 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Misshandelte-Heimkinder-von-Godhavn/!5616345 | |
[2] /Neue-Regierung-in-Schweden/!5563975 | |
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## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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