# taz.de -- Misshandelte Heimkinder von Godhavn: Dänemark entschuldigt sich | |
> Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bittet die Heimkinder | |
> offiziell um Verzeihung. Die haben seit Jahren darauf gewartet. | |
Bild: Hielt ihr Wahlversprechen ein: Mette Frederiksen | |
STOCKHOLM taz | Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen | |
entschuldigte sich am Dienstag im Namen ihrer Regierung und Dänemarks | |
offiziell bei misshandelten Heimkindern „für das Unrecht, das wir euch | |
angetan haben“. Wegen mangelnder Aufsicht staatlicher Behörden und weil sie | |
von Erwachsenen, die sich um sie kümmern sollten, im Stich gelassen wurden, | |
seien „einige der schutzbedürftigsten Kinder unserer Gesellschaft“ | |
Misshandlungen und Übergriffen ausgesetzt gewesen, sagte Frederiksen. | |
Die Sozialdemokratin löste damit ein im Wahlkampf gegebenes Versprechen | |
ein: Eine ihrer ersten Amtshandlungen werde eine Entschuldigung für dieses | |
Kapitel sein, das „zu den dunkelsten der jüngeren dänischen Geschichte | |
gehört“. | |
In der dänischen Öffentlichkeit werden sie „Godhavnsdrengene“ genannt, die | |
Jungen von Godhavn. Godhavn war 1893 als „Erziehungsheim“ für männliche | |
Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 20 Jahren eingerichtet worden, | |
die entweder Waisen waren oder als „schwer erziehbar“ eingestuft wurden. | |
Bis zu 80 Jungen waren hier gleichzeitig untergebracht. Und Godhavn wurde | |
zum Symbol für Missstände in vielen Kinderheimen. | |
Am 1. Februar 2005 hatte das dänische Fernsehen [1][eine Dokumentation über | |
Godhavn ausgestrahlt], in der ehemalige Heimkinder und Personal dieser | |
Heime von schweren psychischen und physischen Misshandlungen, sexuellen | |
Übergriffen und über die Durchführung medizinischer Experimente mit | |
Psychopharmaka berichteten. Die Enthüllungen lösten eine umfassende | |
öffentliche Debatte aus. | |
## Irgendjemand musste Verantwortung übernehmen | |
Im Jahr 2009 gab das Sozialministerium eine Studie in Auftrag über die | |
Zustände, die in neunzehn dänischen Kinderheimen, darunter auch Godhavn in | |
den Jahren von 1945 bis 1976, herrschten. Der 2011 veröffentlichte | |
„Godhavnsrapport“ bezifferte die Zahl der in allen Heimen untergebrachten | |
Kinder auf zwischen 9.400 (1947) und 6.356 (1976) jährlich und bestätigte | |
mit weiteren Beispielen im Wesentlichen die bis dahin erhobenen Anklagen. | |
Ehemalige Heimkinder gründeten eine Interessenorganisation, die eine | |
offizielle Entschuldigung forderte. Eine solche Entschuldigung wurde aber | |
von allen Regierungen, gleich ob bürgerlich oder sozialdemokratisch | |
geführt, bislang abgelehnt. Im Jahr 2018 scheiterte ein parlamentarischer | |
Vorstoß für eine Entschuldigung an einer Mehrheit der rechten Parteien im | |
Folketing. | |
Poul-Erik Rasmussen, Vorsitzender der Interessenorganisation | |
Godhavnsdrengene, betonte die Wichtigkeit des Schritts: „Irgendjemand muss | |
doch die Verantwortung übernehmen. Es geht gar nicht um die, die uns | |
geschlagen, misshandelt und missbraucht haben, sondern um diejenigen, die | |
die Aufsicht haben sollten. Deswegen muss der Staat sich dafür | |
entschuldigen.“ | |
Die jetzige Entschuldigung kann die Aussichten auf Schadensersatz | |
verbessern. Ein Musterprozess gegen den Staat wegen verletzter | |
Aufsichtspflicht war 2017 wegen Verjährung gescheitert. Das dänische | |
Parlament verabschiedete aber 2018 ein Gesetz, das jegliche | |
Verjährungsfristen bei Übergriffen auf Kinder nachträglich aufhob. | |
Rechtsanwalt Bjørn Elmquist, der den Prozess seinerzeit führte, erwartet | |
jetzt neue Klagen. Es sei denn, Kopenhagen tue nun auch den nächsten | |
logischen Schritt und gestehe geschädigten Heimkindern – ähnlich wie | |
Norwegen und Schweden das bereits getan haben – von sich aus Schadensersatz | |
zu. | |
14 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=Q-kM4XEXlIA&feature=youtu.be | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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