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# taz.de -- Finnlands Vorteile in Seuchenzeiten: Die Entschleunigten
> Von den Finn*innen kann man derzeit viel lernen: Im dünn besiedelten Land
> hält man auch ohne Shutdown lieber Abstand voneinander.
Bild: Finnische Albträume, wie die Grafikerin Karoliina Korhonen sie sieht: �…
Braunschweig taz | Covid-19 hat jetzt alles fest im Griff. Selbst der
Kursus „Finnisch Aktiv“ mit derzeit stolzen sieben Teilnehmer*innen, den
ich seit geraumer Zeit an der Braunschweiger Volkshochschule besuche, ist
nun bis zum Ende der Osterferien ausgesetzt. Zugegeben: Allzu große
Erfolge in der tätigen Anwendung dieser so ungewöhnlichen wie schwierigen
Sprache dürfte ich für mich nicht reklamieren. Aber vielleicht besucht man
solche Sprachkurse ja auch nicht primär, um es in den Fertigkeiten
kommunikativer Interaktion irgendwann mal mit eingefleischten
Muttersprachler*innen auf sich nehmen zu können. Es ist wohl eher die
Sympathie für ein Land, seine Menschen, seine Kultur.
Vor langer Zeit hatte ich einmal Russisch belegt, auch dies eine schöne und
so schwierig zu erlernende Sprache. Hier war es sicherlich mein
Migrationshintergrund in etwa fünfter Generation, der mich auf die Suche
nach der sprichwörtlich russischen oder allgemein: slawischen Seele, auch
in meinem Inneren, schickte.
Ich lernte von der slawophilen Dozentin so manches über das angeborene
Talent russischer Männer zum Improvisieren, Basteln und Reparieren selbst
irreparabelster Gebrechen. Oder über eine kollektiv verinnerlichte,
dissidente Subsistenzwirtschaft auf der Datscha: Alles Fähigkeiten, die
nicht nur in Krisensituationen ja nicht zu unterschätzen wären. Und diese
fantastische Literatur von Turgenjew bis Strugatzki, die Filme von
Tarkowski – sie leisten das Übrige, die Unbilden des Alltags vergessen zu
machen.
Nun also Finnland und die Finn*innen. Auch sie umweht die Aura eines
ausgeprägten Nationalcharakters, sie gelten als introvertiert, wortkarg,
verschlossen, verkörpern alles andere als einen Ausbund explosiver
Lebensfreude, wie man sie aus mediterranen Regionen zu kennen meint.
## Weltmeister im Kaffeekonsum
Das scheue Völkchen von 5,5 Millionen Einwohner*innen verteilt sich auf
eine Fläche, die fast so groß ist wie die deutsche Bundesrepublik, in der
allerdings ja über 82 Millionen Menschen leben. Etwa 40 Nationalparks und
reichlich weitere unberührte Natur zeichnen das dünn besiedelte Land aus.
Zudem viele Seen, deren Ufer besetzt sind mit der finnischen Variante der
Datscha, dem Sommerhäuschen, oft mit Sauna, Mökki geheißen.
Eine Novellierung der Verfassung garantiert den finnischen Bürger*innen
seit 1998 zudem das Recht auf eine gut gebaute Umwelt, die Landeshauptstadt
Helsinki konzentriert in ihrem als Design District bezeichneten Stadtteil
eine beängstigende Menge an Läden und Studios zu Interieurgestaltung,
Wohnbedarf und Krimkrams.
Die Finn*innen sind Weltmeister im Kaffeekonsum, sie verbrauchen mehr als
doppelt so viel Rohkaffee wie die Italiener*innen, sie trinken ihn nicht
tassen- sondern gleich kannenweise. Und auch ihr Alkoholumsatz ist trotz
restriktiven Handels nicht von schlechten Eltern.
Womit schon abgründige Facetten der finnischen Seele angesprochen sein
mögen, die nicht nur die Kaurismäki-Brüder in ihren Filmen mit
lakonischem Witz aufs Korn nehmen.
Auch die Grafikerin Karoliina Korhonen beschäftigt seit 2016 das
ausgeprägte Bedürfnis der Finn*innen nach größtmöglicher sozialer Distanz
in einer maximal entschleunigten Lebensweise. Ihr Protagonist Matti
durchleidet tagtäglich die Alpträume eines typisch finnischen Menschen,
etwa wenn bei strömendem Regen schon eine Person im Buswartehäuschen
steht, es somit „besetzt“ ist.
Und wenn jemand sich dennoch untypisch verhält, fragt sich Matti, was er
gerade falsch gemacht habe. Korhonens mittlerweile zwei Bände
„Suomalaisten painajaisia“ − englisch: „Finnish Nightmares“ (Ten Speed
Press 2019, 96 S., 11,39 Euro, E-Book 6,67 Euro) − illustrieren die
schlimmste Angst der Finn*innen: die menschliche Interaktion. Aber: In
Coronazeiten zeigt diese Sozialphobie nun ihre Überlegenheit: Lediglich
294 bestätigte Infektionen gab es in Finnland bis Dienstagmittag.
18 Mar 2020
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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