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# taz.de -- Corona-Gesetz in Norwegen: Einmaliges Ausnahmerecht
> Norwegens Regierung darf ohne das Parlament Gesetze aufheben und
> Vorschriften erlassen. Ein paar Vollmachten verweigerte die Opposition
> aber.
Bild: Trotz Corona mal kurz nach draußen: BewohnerInnen eines Altenheims in No…
Stockholm taz | Die Parteien im norwegischen Storting haben sich am Samstag
auf ein „Koronalov“, ein Coronagesetz geeinigt. Es ist ein in Norwegen
bislang einmaliges Ausnahmegesetz, mit der der regierenden
Minderheitsregierung unter Ministerpräsidentin Erna Solberg umfassende
Vollmachten eingeräumt werden.
Um schnelle Entscheidungen [1][im Rahmen der Bekämpfung der Konsequenzen
von Covid-19] zu treffen, darf die Regierung ohne Zustimmung des Parlaments
Vorschriften erlassen, die geltendes Recht außer Kraft setzen. Das Gesetz
wird von vielen Juristen kritisiert, und mehrere Parlamentsparteien machten
ihre Zustimmung von wesentlichen Änderungen des von der Regierung zunächst
vorgelegten Entwurfs abhängig.
Die ursprüngliche Fassung des Gesetzes, die von Justizministerin Monica
Mæland von der konservativen Regierungspartei Høyre am Mittwoch präsentiert
worden war, hatten Kritiker als Gefahr für die Demokratie und
verfassungswidrig bezeichnet. Einige Kommentare sprachen von „Umsturz“ oder
gar „Staatsstreich“.
Die Regierung wollte die Vollmacht haben, unter Umgehung des Parlaments auf
allen Rechtsgebieten uneingeschränkt geltende Gesetze und internationale
Abkommen für unwirksam zu erklären und eigene Vorschriften erlassen zu
können. Erst dachte man an eine Geltungsdauer bis Ende 2021, dann
beschränkte man diese auf 6 Monate. Die einzige „Notbremse“, die dem
Parlament eingeräumt werden sollte: Wenn ein Drittel der
Storting-Abgeordneten es forderten, sollten einzelne von der Regierung so
getroffene Vorschriften wieder aufgehoben werden können.
## Der Rechtsstaat werde untergraben
Mitglieder der norwegischen Sektion der „Internationalen
Juristenkommission“ (JCJ) warnten daraufhin vor einer Aushöhlung von
Rechtsstaatsprinzipien. Das System der Gewaltenteilung werde untergraben
und die Kontrolle durch die Gerichte könne ganz ausser Kraft gesetzt
werden. Stimme das Parlament einem solchen Gesetz zu, begehe es einen
Verfassungsbruch, warnten die JCJ-Juristen.
„Absoluter Wahnsinn“ urteilte der Juraprofessor Hans Petter Graver, und 15
Verfassungsrechtler sprachen in einem öffentlichen Aufruf von einem Gesetz,
das unbegrenzt in die Freiheit der Menschen eingreifen und damit
menschenrechtswidrig sein könne.
Die Kritik hatte Wirkung. Von den Rechtspopulisten bis zu den
Linkssozialisten forderten die Oppositionsparteien Änderungen. So ein
Gesetz brauche man gar nicht, das Parlament sei ja arbeitsfähig, meinte
beispielsweise Ex-Justizminister Per-Willy Amundsen von der
Fortschrittspartei. Und die sozialistische „Rødt“ forderte, die Behandlung
des Gesetzes erst einmal ganz auszusetzen, damit Zeit für eine öffentliche
Debatte bleibe.
Aus Furcht und Unsicherheit laufe man Gefahr, ohne ausreichende Debatte die
Demokratie zu opfern, warnte die sozialdemokratische Juristin Ane Sofie
Tømmerås: „Dabei brauchen wir doch gerade in Krisenzeiten demokratische
Kontrolle.“ Ihre Ablehnung sei ausdrücklich nicht als Misstrauen gegen die
Minsterpräsidentin oder die jetzige Regierung zu verstehen. Diese wolle
sicher das Beste für das Land.
## Gültigkeit nur für einen Monat
Aber zum einen, sagte Tømmerås, habe Norwegen bereits alle erforderlichen
Gesetze, um die Krise handhaben zu können, und gerade in einer
Ausnahmesituation sei es wichtig, dass eine Regierung die Bevölkerung
hinter sich habe. Handlungskraft ja, aber nicht zu diesem Preis,
kommentierte das liberale „Dagbladet“: „Diesen Kurs darf unser Land nicht
wählen.“
In der [2][Fassung, auf die sich das Storting am Samstag einigte], gibt das
„Koronalov“ nun der Regierung tatsächlich die Befugnis, geltendes Recht
außer Kraft zu setzen, aber nur wenn es unmöglich ist, das Parlament
rechtzeitig in diesen Beschlussprozess einzubinden. Ausserdem gilt das
Gesetz jetzt nur für die Dauer von einem Monat. Dann muss erneut darüber
abgestimmt werden.
Regierungschefin Solberg wandte sich gegen den „Staatsstreich“-Vorwurf:
„Wir bemühen uns nur, dass das Alltagsleben funktionieren kann. Wir
brauchen Handlungsfreiheit.“ Das Gesetz soll am Dienstag beschlossen
werden.
„Das Storting hat wieder die Kontrolle“, ist der
Linkssozialisten-Vorsitzende Audun Lysbakken zufrieden. Nicht so der
Juraprofessor Mads Andenæs: „Ein unnötiges und schlechtes Gesetz.“ Man
wolle nur Handlungskraft demonstrieren und stelle dafür den Rechtsstaat zur
Disposition.
Und „Dagbladet“ kritisiert das Verfahren: Das Gesetz sei in aller
Heimlichkeit innerhalb von drei, vier Tagen zusammengeschustert worden.
Alle Parteien seien beteiligt gewesen, und alle hätten Stillschweigen
bewahrt: „Das gereicht ihnen nicht zur Ehre.“ Offenbar sei beabsichtigt
gewesen, ein solches Gesetz weitgehend ohne öffentliche Debatte
verabschieden zu können.
22 Mar 2020
## LINKS
[1] /Skandinavier-sind-sich-nicht-einig/!5668534
[2] https://fido.nrk.no/6089c03f53fa359f200b89edd7f1d89f5ff5ce0b6bc016bc744f8a6…
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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