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# taz.de -- Rom in Zeiten von Corona: Himmlische Ruhe
> Viele Menschen in der italienischen Hauptstadt halten sich an die
> Vorschriften der Regierung und bleiben zu Hause. Andere genießen die
> ungewohnte Ruhe.
Bild: Selbst vor dem Vatikan macht der Virus nicht halt. Der Petersplatz am Mit…
Rom Es ist alles wie immer vor der Stazione Termini, dem Hauptbahnhof Roms,
täglich Umschlagplatz für Zehntausende Passagiere im Nah- und Fernverkehr.
Dutzende städtische Busse stehen auf dem weiten Vorplatz, direkt vor den
Türen ist das Armeefahrzeug geparkt, das hier schon seit Jahren zur
Terrorabwehr stationiert ist.
Und doch ist nichts wie immer an diesem Dienstagvormittag. Zum Beispiel die
Taxen. Gewöhnlich warten Dutzende, manchmal Hunderte Kunden auf die Wagen,
die tröpfchenweise vorfahren. Heute ist es genau umgekehrt. Eine endlose
Schlange der weißen Autos steht da rum, von Fahrgästen keine Spur. Einer
der Fahrer erzählt, er warte nun schon seit anderthalb Stunden, und ehe er
an der Reihe sei, würden locker noch mal 30 Minuten vergehen.
Rom in Zeiten des Coronavirus. Am Vorabend hat Ministerpräsident Giuseppe
Conte in einer dramatischen TV-Ansprache die Parole ausgegeben: „Bleiben
wir zu Hause!“ Den Bürgern hatte er eingeschärft, sie müssten ihre
„Gewohnheiten jetzt radikal ändern“. Und die Regierung [1][half mit einem
Dekret nach]. Unterwegs sollen die Menschen nur noch sein, um zur Arbeit zu
gelangen, um einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen, um andere
„unumgängliche“ Dinge zu erledigen.
Und schon am nächsten Tag wird deutlich: Der Regierung ist es ernst.
Einigermaßen leer gefegt ist die große Bahnhofshalle. Gewiss, die
Boutiquen, die Feinkostläden, die Bars und Restaurants sind alle geöffnet,
doch das Personal steht sich die Beine in den Bauch.
## Verwandte besuchen? Zählt nicht!
Die wenigen, die noch auf Reisen gehen, sind derweil mit anderem befasst.
Ehe sie an die Gleise dürfen, müssen sie den Checkpoint der Bahnpolizei
passieren und dort unter Vorlage des Ausweises eine Erklärung über ihre
Reisegründe, Arbeit oder Gesundheit, unterzeichnen. Eine junge Frau gibt
an, sie wolle zu Verwandten. Das ist nicht „unumgänglich“, sie muss
umkehren, sie trägt es mit Fassung. „Sobald sich was an den Vorschriften
ändert, erfahren Sie das aus den Medien“, ruft ihr der Beamte hinterher.
„Zu Hause bleiben!“ – auch für die Frau wird die neue Norm, nur Stunden
nach ihrem Inkrafttreten, Wirklichkeit.
Nicht zu Hause geblieben sind dagegen die beiden Frauen aus Hannover in den
Mittvierzigern, sportlich, blond, hochgewachsen, die das Kolosseum
ansteuern. Samstag sind sie angereist, Mittwoch geht es zurück. „Wir haben
noch überlegt, ob wir die Reise canceln sollen“, erzählt die eine, „aber
dann haben wir uns gesagt, wenn wir im Biomarkt in Hannover den Griff vom
Einkaufswagen anfassen, können wir uns genauso anstecken.“ In aufgeräumter
Stimmung sind die zwei, sie genießen es, dass halt die meisten anderen,
Touristen wie Römer, von der Bildfläche verschwunden sind, „Rom ist
wunderschön so“, lachen sie. Da verschmerzen sie es auch, dass das
Kolosseum selbst gesperrt ist. Ihr kleines Hotel mitten im Zentrum stehe
fast völlig leer, „das tut uns für die Inhaber leid, aber die Ruhe ist
einfach traumhaft!“
Weniger himmlisch denn unwirklich, ja gespenstisch ist die Ruhe, die unten
in der U-Bahn-Station Kolosseum herrscht. Keine Menschenseele auf dem
Bahnsteig, keine Menschenseele auch auf dem Bahnsteig gegenüber. Ein Zug
fährt ein, gerade mal fünf Personen steigen aus, an einer Station, an der
die Züge sonst Hunderte Passagiere ausspucken. Eine ältere Dame, ihrem
Akzent nach zu urteilen aus Rom, schüttelt den Kopf. „Unglaublich, so was
habe ich noch nie gesehen“, murmelt sie, „hoffen wir bloß, dass dieser
Albtraum bald vorbei ist.“
Anders als das Kolosseum, so hieß es am Morgen, sei der Petersdom noch
offen. Und in der Tat: Schon auf den ersten Blick, über das weite Rund des
Petersplatzes hinweg, sieht man, dass die großen Portale offen stehen. Bei
diesem Blick bleibt es dann aber auch. Zahlreiche Beamte der italienischen
Polizei, in Uniform und in Zivil, haben alle Zugänge zum Platz und damit
zum Petersdom abgeriegelt. „Der Vatikan kann natürlich beschließen, was er
will“, meint einer der Zivilbeamten, „aber der italienische Staat hat per
Dekret festgelegt, dass die Leute nur noch für unumgängliche Verrichtungen
unterwegs sein sollen.“
## Selbst der Petersdom ist geschlossen
Am Tourismus sei nichts unumgänglich, setzt er nach, nach dem Buchstaben
der neuen Verordnung sollten die Rombesucher gefälligst in ihren Hotels
bleiben. Auf Nachfragen kommt aber auch er ins Schlingern. Ist das
Regierungsdekret also so zu verstehen, dass man gar nicht mehr vor die Tür
darf, eben nach dem Motto „Bleiben wir zu Hause“? Und was heißt das
eigentlich, die „Fortbewegung“ sei nur „aus unumgänglichen Gründen“
erlaubt? Fortbewegung im Sinn von Reisen, von Fahrten in andere Kommunen
oder eben auch innerhalb Roms? Er wisse es nicht, sagt der Beamte, er wisse
auch nicht, ob er mit seinem kleinen Sohn nach Dienstschluss den Park im
Stadtviertel aufsuchen dürfe. Einige Stunden später gibt der Vatikan klein
bei, teilt mit, dass der Petersdom fortan geschlossen bleibe.
Die paar noch in Rom verweilenden restlichen Touristen, die quer über den
Platz Fotos von der Fassade der Basilika schießen, kümmert es nicht. Sie
lassen sich den herrlichen Frühlingstag in Rom auch durch das Coronavirus
nicht vermiesen. Und eines ist sicher: Über „[2][Overtourism]“, über eine
wegen zu vieler Gäste verstopfte Stadt können sie sich ganz gewiss nicht
beschweren. Komplett verschwunden sind die Dutzende Reisebusse, die sonst
die Zone um den Vatikan im Griff haben, verschwunden auch die
Besuchergruppen, die zu Dutzenden auf ihrem geführten Stadtgang einem
Fähnlein hinterhermarschieren, verschwunden die offenen Doppeldeckerbusse,
die sonst immer Scharen von Besuchern durchs Zentrum Roms karren.
Und die öffentlichen Verkehrsmittel sind mittlerweile, so scheint es, mit
Sitzplatzgarantie unterwegs. Auf dem 64er Bus, der wegen chronischen
Gedränges, Taschendieben und Grapschern wohl berüchtigtsten Buslinie Roms,
sind gerade mal fünf Passagiere unterwegs. Auf diese Weise wird auch die
Einhaltung der zweitwichtigsten von der Regierung ausgegebenen Regel –
„halten wir 1 Meter Mindestabstand!“ – selbst in den öffentlichen
Verkehrsmitteln praktikabel. Kein einziger der Busse, die durchs Zentrum
fahren, ist auch nur halb voll.
Ähnlich sieht es auch in den Lokalen rund um den Campo de’ Fiori aus. Bloß
eine Handvoll Touristen isst an den Tischen in der Sonne. Der Kellner
platziert sie streng nach der 1-Meter-Regel: Paare dürfen einander nicht
frontal gegenüber sitzen, sondern nur noch diagonal, um einen Stuhl
versetzt, auf Abstand halt, auch wenn sie eben noch Hand in Hand über den
barocken Platz geschlendert sind. Gleich ganz geschlossen hat allerdings
das Traditionsrestaurant La Carbonara; in markigen Worten verkündet der
Aushang an der Tür, es wolle so seinen Beitrag dazu leisten „auf
entschlossene Weise zur Nichtverbreitung des Coronavirus beizutragen“.
## Eine Person darf in den Laden
Gedränge herrscht nur vor dem Metzger am Platz. Die Kunden müssen draußen
warten, nur wer als Nächster bedient werden soll, erhält Einlass. Solche
Gedanken muss sich die Inhaberin des kleinen Tabak- und Andenkenladens ein
Eck weiter nicht machen. Ihr Geschäft ist leer, „da müssen wir durch“,
meint sie, und sie ist völlig einverstanden mit der Regierung, mit der
Entscheidung, das öffentliche Leben fast komplett einzustellen.
Alle Geschäfte müssen laut Dekret Gedränge im Laden vermeiden, andernfalls
droht die Schließung. Noch sind fast alle offen, Boutiquen, Andenkenshops,
Schuhgeschäfte, doch überall das gleiche Bild: gähnende Leere. Sie denke
jetzt allerdings über Schließung nach, sagt die Besitzerin eines kleinen
Modegeschäfts hinter dem Pantheon, ihre Aushilfe hat sie schon nach Hause
geschickt, „die saß hier schon vor Erlass des Dekrets in den letzten Tagen
acht Stunden untätig rum“.
„Bald sieht das hier so aus“, sagt sie in leicht resigniertem Ton und zeigt
hinüber auf die „Tazza d’oro“. Nach Meinung von Kennern gibt – oder be…
gab – es hier den besten Espresso Roms; hier standen die Angestellten aus
den Büros im Zentrum Ellbogen an Ellbogen mit asiatischen Touristen. Jetzt
aber ist die Bar verrammelt, sind die stählernen Rollläden
heruntergelassen. Rom sei gerade dabei, sich in eine Geisterstadt zu
verwandeln, schließt die Frau von der Boutique, „wer hätte das je für
möglich gehalten!“.
So gespenstisch sich das Zentrum präsentiert, so normal wirkt auf den
ersten Blick noch das Leben im Wohnviertel, nur ein paar Kilometer weiter
nach Norden. Menschen sind mit Einkaufstüten unterwegs, holen ihre Zeitung
am Kiosk, steuern die Bar um die Ecke an. Doch alle, wirklich alle
Gesprächsfetzen, die man aufschnappt, enthalten das eine Wort,
„Coronavirus“, wie auf Deutsch. Und die beiden Bekannten, die sich
begrüßen, bleiben auf Abstand, verzichten auf das Küsschen rechts und links
auf die Wange, nicken einander bloß zu.
Abstand halten gilt auch vor dem Supermarkt. An der Tür hat sich ein
Wachmann aufgebaut, lässt immer nur kleine Grüppchen ein. Die Menschen
draußen achten peinlich genau darauf, den anderen nicht zu eng auf die
Pelle zu rücken. Doch wie weit Rom von der Normalität entfernt ist, zeigt
vor allem eines: Kein einziger murrt, keiner beschwert sich über das
Regierungsdekret – und das in einer Stadt, in der gewöhnlich alle
Entscheidungen der Obrigkeit voll Sarkasmus kommentiert werden.
12 Mar 2020
## LINKS
[1] /Ausbreitung-des-Coronavirus/!5670275
[2] /Tourismus-und-Staedtetod/!5608104
## AUTOREN
Michael Braun
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