# taz.de -- Grüne Oase im Süden Roms: Schafe in der Stadt | |
> Der römische Caffarella-Park ist eine Zuflucht, nicht nur in Zeiten der | |
> Pandemie. Eine Bürgerinitiative kämpft gegen Zement und | |
> Flussverschmutzung. | |
Bild: Der Parco della Caffarella, eine Kulturlandschaft aus Denkmälern, Wiesen… | |
Auf der großen Wiese döst eine Schafherde in der Sonne. Ein paar Tiere | |
suchen den Schatten der Ruine einer römischen Zisterne. Dahinter erhebt | |
sich ein sanfter Hügel mit Eichenwäldchen. Im antiken Rom hieß der Ort | |
Bosco Sacro, Heiliger Wald. Links versteckt sich hinter dichtem Gebüsch das | |
baufällige Gemäuer der Kirche Sant’Urbano, die in ihrem ersten Leben ein | |
antiker Tempel war. Über allem weht ein warmer Wind. Der Himmel ist römisch | |
blau. So war es gewiss auch damals, als Goethe hier – in der romantischen | |
Ruinenlandschaft der Appia Antica – den passenden Hintergrund für sein | |
berühmtes Porträt als Italienreisender entdeckte. | |
Allein ein weißer Streifen aus Häuserblocks hinter der Schafweide verrät, | |
dass sich seither ein paar Dinge verändert haben. Die Wohnviertel im Süden | |
Roms wurden während des Baubooms der 1950er und 1960er Jahre hochgezogen. | |
Damals drehte Pasolini seinen Kurzfilm „La Ricotta“ in der verwilderten | |
Landschaft des Tals der Caffarella. Diese ist heute ein öffentlicher Park | |
und mit einer Ausdehnung von knapp 200 Hektar eine der größten | |
innerstädtischen Grünflächen Europas. Die Caffarella reicht von der | |
Aurelianischen Stadtmauer, nahe der großen Katakomben, bis zum Aquädukt im | |
Viertel Appio-Latino und ist Teil des großen Parco Regionale dell’Appia | |
Antica. | |
Sie ist keine künstlich angelegte Grünanlage wie die Villenparks der Ewigen | |
Stadt, sondern eine einzigartige Kulturlandschaft aus antiken Denkmälern, | |
Wiesen, Bäumen, Flüsschen, Quellen und landwirtschaftlicher Nutzfläche. | |
Und sie liegt abseits ausgetretener Touristenpfade. Viele, die auf der | |
Appia Antica unterwegs sind, wissen nicht, dass hinter den antiken Mauern | |
Blumenwiesen stehen. | |
Die Römerinnen und Römer hingegen haben spätestens während der Pandemie | |
erkannt, was so eine Schafweide mitten in der Stadt wert ist. Der | |
kontemplative Spaziergang ist derzeit ein eher seltenes Vergnügen geworden. | |
Vor allem am Wochenende drängeln sich rasende Radlerinnen, Hundehalter, | |
Fußballer, Familien mit Grillzubehör, Kiffergruppen mit Gitarre und | |
Joggerinnen auf den Wiesen und Wegen. | |
Dass hier keine Autowracks und Plastikkübel mehr herumliegen und das | |
Flusswasser nicht zum Himmel stinkt, haben die Römerinnen und Römer einem | |
kleinen, aber unbeugsamen Grüppchen älterer Leute zu verdanken. „Als wir | |
angefangen haben, hier aufzuräumen, rasten noch Autos über die Felder und | |
der Fluss Almone war eine müllverseuchte Kloake“, erzählt Rossanna De | |
Stefani, Vorsitzende der Bürgerinitiative Comitato per il Parco della | |
Caffarella. | |
## Müll und Bauschutt | |
Damals, im Jahr 1984, war das Tal ein Niemandsland voller Bauschutt. Hinter | |
den Büschen florierten Drogenhandel und Prostitution. Diese Zeiten sind | |
vorbei. Aber bis heute sorgen sich römische Mütter, wenn ihre Töchter zum | |
Picknick in den Park ziehen. | |
Die Wiesen am Haupteingang Largo Tacchi Venturi, vor den Wohnblocks des | |
Viertels Appio Latino, haben Rossanna und ihre Leute allerdings fest im | |
Auge. Sie sind, wie meistens unter der Woche, im schattigen Garten vor | |
ihrem Headquarter anzutreffen. Im Casa del Parco betreiben sie mit ein paar | |
jungen Leuten die Bar mit Infopoint und eine Radwerkstatt. Sie organisieren | |
Führungen – auch mit einem Elektrowagen, für alle, die schlecht oder gar | |
nicht laufen können – ebenso wie Bird Watching, Marathons und Gärtnerkurse | |
in den neu angelegten Beeten. | |
Von dort soll demnächst das Nullkilometergemüse für das Viertel kommen. | |
„Wir sind fünf alte, zauselige Katzen, aber wir können auf 2.000 Leute | |
zählen, die uns unterstützen“, erklärt Roberto Federici, das älteste | |
Miglied der Gruppe, der wie auf den Fotos aus den 80ern immer noch Bart und | |
lange Haare trägt. Er war früher auch Vorsitzender der Kommunalverwaltung | |
des Viertels Appio-Latino. Seit damals kämpfen Rosanna, Roberto und die | |
anderen immer gegen dieselben Probleme: die Flussverschmutzung, heimlich | |
abgeladener Müll und illegale Besiedlung – von der Baracke mit | |
Schrebergärten bis hin zur Villa mit Parkanlage. | |
In der Antike wurde das Tal schon für Landwirtschaft genutzt, und es gab | |
auch genug Platz für pompöse Bestattungsdenkmäler. Die besterhaltenen sind | |
die Grabstätten der Römerinnen Cecilia Metella und Annia Regilla. Im 16. | |
Jahrhundert bemächtigten sich die Caffarelli, eine der reichsten | |
Händlerfamilien der Stadt, des Tals und gaben ihm ihren Namen. Sie setzten | |
vor allem auf Schafzucht, teilten den vormals freien Grund in Anbaufelder | |
und Weidewiesen auf und bauten eine Kanalisation. | |
Wie auch die darauffolgenden Besitzerfamilien – Pallavicini, Torlonia und | |
Gerini – kümmerten sie sich wenig um das antike Erbe auf ihrem Gelände. | |
Statuen wurden verkauft, Tempel in Kirchen umgebaut, antike Ziegel wieder | |
neu verspachtelt und vieles verfiel. Bereits Goethe ärgerte sich über die | |
„zerstörten Grabstätten längs der Via Appia“. Und der römische Volkspoet | |
Pasquino sagt über eine der römischen Adelsfamilien, was seiner Meinung | |
nach für alle galt: „Die Barberini haben zerstört, was die Barbaren übrig | |
ließen.“ | |
## Ein Platz zum Feiern | |
Ironischerweise war es aber ein Barbar aus dem Norden, der einem der | |
wichtigsten antiken Bauwerke der Caffarella neues Leben einhauchte. 1536 | |
ließ Karl V. im Nymphäum der Egeria einen Banketttisch aus Stein bauen, um | |
die Eroberung Roms zu feiern. Der Tisch in dem offenen, von Bäumen und | |
Wiesen umgebenen Gewölbe wurde anschließend mit großer Freude vom römischen | |
Volk genutzt, um vor den Stadttoren – fern der päpstlichen Macht – | |
ausgiebig zu feiern. Im 17. Jahrhundert kam sogar eine Taverne dazu. Heute | |
hat sich längst wieder die Natur der künstlichen Grotte bemächtigt, wo sich | |
einst die Nymphe Egeria in eine Quelle verwandelt haben soll. Die Ruine | |
kann von einem Steg aus besichtigt werden. | |
Nicht nur die antiken Monumente, auch die üppige Flora und Fauna machen die | |
Caffarella zu einen einzigartigen Stadtpark. Zwischen Blumenwiesen, die | |
nach Minze und anderen Kräutern duften, wachsen Eichen, Ulmen, Ahorn, | |
Zedrachbäume und Lorbeerbüsche. Es treffen sich hier Fuchs und Hase, oder | |
besser gesagt, Kaninchen, die auf der Seite des Largo Tacchi Venturi zu | |
Hunderten hinter den Büschen herumhoppeln. Die Vogelvielfalt ist beachtlich | |
und die Vogelwarte eine der Attraktionen des Parks. Auf der Erde wird das | |
von Wasserläufen durchzogene Gelände von unterschiedlichen Eidechsen- und | |
Froscharten, aber auch von Igeln und Maulwürfen bewohnt. Im alten Bauernhof | |
Vaccareccia, der noch aus den Zeiten der Caffarelli stammt, wird bis heute | |
Ricotta hergestellt und verkauft. | |
Alles in allem sieht das Gemäuer aber recht baufällig aus, und die | |
Renovierung wäre eines der Projekte, die Mario Tozzi gern in Angriff nehmen | |
würde. Tozzi ist Präsident des großen Parco Regionale dell’Appia Antica, zu | |
dem auch die Caffarella gehört und der von der Region Lazio verwaltet wird. | |
Doch die Kompetenzen sind fragmentiert – aufgeteilt zwischen Region, Stadt | |
und Kultusministerium. „Wir können den Anstoß für Initiativen geben, aber | |
dann muss die Stadt Rom die Sache in die Hand nehmen“, erklärt Tozzi, von | |
Haus aus Geologe, aber auch Buchautor und Fernsehmoderator von Natur- und | |
Wissenschaftssendungen. | |
## Strafen für schmutziges Wasser | |
Er würde gern noch erleben, dass man im Fluss Almone eines Tages wieder | |
baden kann. Deshalb setzt er sich gemeinsam mit dem Komitee für eine zweite | |
Wasserreinigungsanlage ein. Er findet es beschämend, dass Italien von der | |
EU jedes Jahr 20 Millionen Euro Strafe aufgebrummt bekommt, weil die Flüsse | |
nicht sauber gehalten werden. „Hier geht es nur langsam vorwärts“, sagt er. | |
Ebenso wie die Leute von der Bürgerinitiative sieht er auch dringenden | |
Handlungsbedarf bei der Enteignung von illegalem Privatbesitz auf dem | |
Territorium der ältesten Straße Europas. Ein großer Teil des Geländes längs | |
der Appia Antica wurde bereits in den 1960er Jahren zum öffentlichen Park | |
erklärt. Doch erst in den 1980ern, als das Komitee 13.000 Stimmen für eine | |
Räumung sammelte, geriet die Sache in Bewegung. Wohnbaracken und illegale | |
Schrebergärten sind heute weitgehend verschwunden. | |
Anders sieht es mit den Villen aus. In der Villa Sant’Urbano, neben der | |
gleichnamigen Kirche, verschanzte sich jahrelang ein der Cosa Nostra | |
nahestehender Bauunternehmer und offizieller Besitzer der illustren | |
Immobilie. In der Kirche mit den antiken Fundamenten wurden Hochzeiten und | |
Partys gefeiert. Im Jahr 2002 wurde sie von der Stadt Rom gekauft. Die | |
Villa hingegen ist bis heute in Privatbesitz. | |
## Illegale Bauten | |
Der aktuell spektakulärste Fall ist das Anwesen des Senators Antonio | |
Angelucci, ein Parteifreund Silvio Berlusconis und derzeit angeklagt wegen | |
Korruption. Der Senator besetzt 45.000 Quadratmeter des Parkgeländes mit | |
mehreren Gebäuden, Ställen und einem privaten Garten. Die Bauarbeiten | |
fanden in den Jahren 2002 und 2003 statt, als bereits ein gesetzliches | |
Bauverbot für die Caffarella galt. Alles wird von hohen Zäunen und | |
Überwachungskameras abgeschirmt. Der herrschaftliche Sitz liegt am Anfang | |
der Appia Antica, direkt an der Porta San Sebastiano, und verhindert einen | |
direkten Zugang zum Park. | |
„Gegen den wird nichts gemacht“, befürchtet Roberto Federici vom Komitee. | |
Er sammelt und veröffentlicht seit Jahren Unterlagen zu dem Fall, doch von | |
der Bürgermeisterin Virginia Raggi und ihrer Stadtverwaltung gab es bislang | |
keine Reaktion. | |
Auch der Dauerverkehr auf der Via Appia Antica scheint für sie kein Thema | |
zu sein. In früheren Jahren war die Straße der antiken Tempel, Grabstätten | |
und Katakomben zumindest sonntags für den Verkehr gesperrt. Jetzt brettern | |
SUVs und Motorräder zu jeder Tages- und Nachtzeit über die Pflastersteine. | |
Bald sind auch wieder die Touristengruppen da, die sich auf ihren | |
Leihrädern eingeschüchtert vom dröhnenden Verkehr eng an die Straßenmauer | |
drücken. Kaum zu glauben, dass nur ein paar hundert Meter weiter eine | |
Schafherde in der Sonne döst. | |
24 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Michaela Namuth | |
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