# taz.de -- Corona-Notstand in Krankenhäusern: Das Personal ist der Schlüssel | |
> Deutsche Krankenhäuser sind im Vergleich gut auf eine Epidemie | |
> vorbereitet. Doch wenn die Infektionszahlen schneller ansteigen, wird es | |
> eng. | |
Bild: Corona-Häusle baue: In Baden-Württemberg werden Diagnose-Stützpunkte a… | |
Die Worte, die der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO am | |
Mittwochabend in Genf mit unbewegter Miene von einem Blatt ablas, bevor er | |
Corona zur Pandemie erklärte, waren mehr als eine Mahnung. Sie waren ein | |
Schlag ins Gesicht all jener innerhalb der Staatengemeinschaft, die mit der | |
rasant fortschreitenden, globalen Ausbreitung des Virus vor allem eine | |
lästige Einschränkung ihrer Gewohnheiten und persönlichen Freiheit | |
assoziieren. | |
Oder die mit drastischen wie kollektiven Maßnahmen zur Eindämmung der | |
Seuche weiterhin hadern. „Wir sind tief besorgt sowohl wegen des | |
alarmierenden Grads von Ausbreitung und Schwere als auch wegen des | |
alarmierenden Grads von Untätigkeit“, [1][sagte Tedros Adhanom | |
Ghebreyesus]. | |
Allein in den vergangenen zwei Wochen sei die Zahl der Covid-19-Fälle | |
außerhalb Chinas um das 13-fache gestiegen, die Zahl der betroffenen Länder | |
habe sich verdreifacht. Inzwischen seien mehr als 118.000 Infektionen in | |
114 Ländern registriert worden. 4.291 Menschen seien gestorben. | |
Die WHO selbst habe sich in der Krise nichts vorzuwerfen: „Wir haben die | |
Alarmglocke laut und unmissverständlich geläutet.“ Nun aber bleibe nichts, | |
als den Ausbruch als Pandemie einzustufen, also als eine Epidemie, die sich | |
länder- und kontinentübergreifend ausbreitet. | |
Zwar verursache das Virus bei acht von zehn Infizierten lediglich milde, | |
erkältungsähnliche Symptomem stellte Ghebreyesus klar. Doch gerade die hohe | |
Zahl von Erkrankten könne die staatlichen Gesundheitssysteme überlasten, | |
vor allem in Entwicklungsländern. Folglich gehe es in erster Linie um das | |
Gewinnen von Zeit. Und, so Ghebreyesus eindringlicher Appell: „Jedes Land | |
kann den Verlauf dieser Pandemie noch beeinflussen.“ | |
## Jetzt schon hohe Belegungsquote | |
In Berlin derweil betont das [2][Robert-Koch-Institut], Deutschlands | |
oberste Behörde zur Bekämpfung von Seuchen, das Land stehe erst am Anfang | |
des Ausbruchs. Entsprechend hochtourig laufen die Vorbereitungen für den | |
Fall, dass sich die Zahl der schwer Erkrankten, die stationär im | |
Krankenhaus und dort möglicherweise intensivmedizinisch behandelt werden | |
müssen, ähnlich wie in Italien auch hierzulande plötzlich sprunghaft | |
erhöhen könnte. | |
Nach Angaben der [3][Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)] gibt es in | |
Deutschlands knapp 2.000 öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten | |
Krankenhäusern rund 500.000 Betten, von denen 28.000 als Intensivbetten | |
ausgewiesen sind. Ein Großteil dieser Intensivbetten (25.000) ist überdies | |
mit Beatmungsgeräten ausgestattet. | |
Die Belegungsquote auf den Intensivstationen, schreibt die DKG der taz, | |
liege derzeit bei 70 bis 80 Prozent; lokale Rettungsleitstellen seien stets | |
über freie oder belegte Kapazitäten informiert. „In einzelnen Kliniken“ | |
lasse sich die Zahl der Intensivbetten „sicher“ noch erhöhen, sofern die | |
entsprechenden Geräte, der Platz und das Personal vorhanden seien. | |
## Deutschland ist nicht Italien | |
Und das alles, wird der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht | |
müde zu betonen, sei „mehr“, als in anderen EU-Ländern zur Eindämmung des | |
Corona-Virus zur Verfügung stehe. Konkret: Wäre Deutschland Italien, dann | |
gäbe es hierzulande nur 11.000 Intensivbetten, hat Reinhard Busse | |
ausgerechnet. | |
[4][Busse ist Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der | |
TU Berlin] und als Co-Direktor des European Observatory on Health Systems | |
and Policies einer der führenden Experten Deutschlands zur Beurteilung von | |
Krankenhauskapazitäten. Diese Woche meldete er sich bei einer – ganz im | |
Trend der Zeit – virtuellen und vom Kölner Science Media Center | |
organisierten Pressekonferenz zu Wort, um die Dimensionen einzuordnen. | |
Man dürfe, so Busse, davon ausgehen, dass 100.000 Betten in den deutschen | |
Krankenhäusern leer stünden. Allein durch Umschichtung und Zusammenlegung | |
von Patienten in Mehrbettzimmer ließen sich 50.000 zusätzliche Betten für | |
solche Corona-Kranke gewinnen, die stationär behandelt werden müssten, aber | |
keine intensivmedizinische Behandlung bräuchten. | |
Eine Vielzahl weiterer Betten, so Busse, lasse sich gewinnen, wenn | |
Bevölkerung wie Mediziner endlich „mitzudenken“ lernten und auf unnötige | |
Einweisungen verzichteten: „Krankenhäuser sind für die Schwerkranken da. | |
Jeder dritte unserer Patienten wäre in anderen Ländern nicht im | |
Krankenhaus“, kritisierte er. | |
## Keinen Grund zum Aufatmen | |
Und auch die Kapazitäten auf den Intensivstationen lieferten – zumindest | |
derzeit – wenig Anlass zur Sorge: Wenn nur die Hälfte der verfügbaren | |
Betten auf den Intensivstationen für schwer infizierte Corona-Patienten | |
bereitgehalten werde, dann könnten in Deutschland pro Tag 20.000 neu | |
Erkrankte aufgenommen und versorgt werden. Busse: „600.000 Patienten im | |
Monat wären das. Das könnten wir abfedern.“ | |
Können wir uns also alle entspannt zurücklehnen? Ist die Sorge um eine | |
Vielzahl von Menschen, die womöglich sterben werden, weil sie nicht | |
ausreichend versorgt werden können, völlig überzogen? Lächerlich gar? | |
Nein, sie ist es nicht. Hört man denjenigen zu, die sich schon jetzt um die | |
– glücklicherweise wenigen – schwer Erkrankten in den Kliniken kümmern, | |
dann gibt es trotz der im internationalen Vergleich hierzulande exzellenten | |
medizinischen Expertise und der sehr guten stationären Kapazitäten | |
zumindest keinen Anlass, die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. | |
„Es muss das Signal von der Politik geben, dass jetzt Corona-Patienten | |
behandelt werden müssen“, sagt etwa Uta Merle, kommissarische Ärztliche | |
Direktorin der Klinik für Gastroenterologie am Universitätsklinikum | |
Heidelberg, die derzeit vier Covid-19-Patienten auf der Intensivstation | |
betreut. | |
## Exzellent vorbereitet – aber... | |
Es müsse genau geschaut werden, ob beispielsweise geplante Operationen | |
anderer Patienten verschoben werden könnten. Dies sei aber nicht in allen | |
Fällen möglich. „Die eigentliche Herausforderung wird die | |
Intensivversorgung sein“, urteilt Clemens Wendtner, Chefarzt der | |
Infektiologie an der München Klinik Schwabing, in der die ersten | |
Corona-Patienten behandelt wurden, die sich bei einer chinesischen | |
Geschäftsreisenden angesteckt hatten. | |
Zwar seien vielerorts Schleusenbetten verfügbar, loben Wendtner und Merle. | |
Gebe es Sonderisolierstationen. Seien bereits jetzt Pandemiezonen definiert | |
worden. Werde jeder Patient mit grippeähnlichen Symptomen inzwischen auch | |
auf Corona getestet, um Fälle frühzeitig zu erkennen und Infektionsketten | |
zu kappen. Werde zusätzliche Schutzkleidung angeschafft. | |
Würden Reanimationstrainings für Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und | |
Pfleger angeboten, werde das An- und Ausziehen von Schutzanzügen und | |
Schutzmasken trainiert. Sei der Erfahrungs- und Wissensaustausch über den | |
Umgang mit der für alle neuen Krankheit zwischen den Kolleginnen und | |
Kollegen unterschiedlichster Kliniken vorbildlich. | |
Seien die Daten, Studien, Beobachtungen, die Wissenschaftler und Ärzte aus | |
China und Italien jetzt bereitwillig teilten, ein Gut, welches gar nicht | |
hoch genug einzuschätzen sei auf der Suche nach möglichen Therapien im | |
Kampf gegen das Virus. Was also ist dann das Problem? „Zum Schluss“, sagt | |
Wendtner, „wird es am Personal hängen“. | |
## Der Pflegenotstand ist real | |
Denn zur Behandlung von Intensivpatienten, das schreibt die Deutsche | |
Krankenhausgesellschaft der taz, „benötigt es besonders ausgebildetes | |
Personal“. Und dieses [5][Personal fehle vielerorts]. In den deutschen | |
Krankenhäusern sind im pflegerischen Bereich Schätzungen zufolge 17.000 | |
Stellen unbesetzt, im ärztlichen sind es 3.500. | |
Wie viele Stellen davon speziell auf den Intensivstationen gebraucht würden | |
und wie viele Pflegefachpersonen aktuell überhaupt auf den | |
Intensivstationen beschäftigt sind, ist in Deutschland ein ebenso großes | |
Politikum wie gut gehütetes Geheimnis: „Die von Ihnen gewünschten Daten (�… | |
dürfen wir nicht veröffentlichen“, schreibt das Institut für das | |
Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), dem jede Klinik ihre Zahlen wegen der | |
gesetzlich festgelegten Personaluntergrenzen zeitnah melden muss, der taz. | |
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) ist ahnungslos, was | |
konkrete und vor allem aktuelle Zahlen betrifft, teilt aber auf Anfrage | |
mit: „Auch in der Intensivpflege ist der Teilzeitanteil hoch, u.a. weil die | |
Arbeitsbedingungen seit Jahren überlasten und keine Besserung abzusehen | |
war.“ Viele Pflegende hätten ihren Beruf aufgegeben oder seien in die | |
Leiharbeit gegangen. | |
„Der Pflegenotstand“, so ein Sprecher der Pflegekammer Niedersachsen zur | |
taz, „ist real. Kurzfristig sind kaum Ressourcen verfügbar.“ Denn selbst | |
wenn man Personal umschichte: Nicht jede Pflegerin könne auf einer | |
Intensivstation mit Schwerstkranken eingesetzt werden. „Es geht auch hier | |
um Qualifikation und Patientensicherheit.“ | |
Clemens Wendtner, der Chefarzt aus Schwabing, hat deswegen schon jetzt auch | |
zu unpopulären Maßnahmen gegriffen: Es gebe Urlaubssperren für | |
Klinikpersonal, sagt er, Fortbildungs- und Dienstreisen seien storniert | |
worden. Und die Krankenhäuser machten sich Gedanken, wer eigentlich die | |
Kinder von Medizinern und Pflegern betreuen solle, sollten demnächst | |
vermehrt Kindergärten und Schule geschlossen werden. | |
12 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welt.de/vermischtes/article206504969/Coronavirus-Alle-Karten-Za… | |
[2] https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html | |
[3] https://www.dkgev.de/ | |
[4] https://www.watson.de/deutschland/gesundheit/596828061-coronavirus-wie-gut-… | |
[5] /Pflegenotstand/!t5018339 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Epidemie | |
Pflegenotstand | |
Krankenhäuser | |
Gesundheitswesen | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Pflegekräftemangel | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
WHO | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berliner Aktion zum „Tag der Pflege“: Tarifverträge für alle | |
Ein Sprechchor vor Bundesgesundheitsministerium am „Tag der Pflege“ fordert | |
eine Kommunalisierung des Gesundheitswesen – und faireren Lohn. | |
Katastrophenforscher über Corona: „Wir waren blind“ | |
Krisenprävention wurde zu lange vernachlässigt, sagt Martin Voss. Ein | |
Gespräch über soziale Missstände und andere Lehren aus der Coronakrise. | |
Planbare Operationen in Hamburg: Pflicht zur Verschiebung | |
Nicht alle Kliniken sollen auf Operationen verzichtet haben, um sich auf | |
Corona-Patient*innen vorzubereiten. Jetzt greift die Gesundheitsbehörde | |
ein. | |
Vorbereitungen auf Covid-19-Patienten: Kurzarbeit im Krankenhaus? | |
Krankenhäuser sollen sich auf mehr Covid-19-Patient*innen vorbereiten. Dass | |
eine Klinik nun Kurzarbeit vorbereitet, scheint nicht recht zu passen. | |
Corona-Vorbereitungen in Norddeutschland: Luft nach oben | |
Hamburg zeigt sich mit Blick auf die zunehmende Zahl der | |
Covid-19-Patient*innen entspannt. Andere Länder im Norden strukturieren | |
ihre Kliniken um. | |
Agrarministerin zur Nahrungsversorgung: Trotz Corona-Seuche genug zu essen | |
Lebensmittel würden wegen des Virus nicht knapp werden, sagt | |
Agrarministerin Julia Klöckner. Die Handelsketten hätten genug Nachschub. | |
WHO in der Kritik: Zu langsam, zu chinafreundlich | |
Kritik am Krisenmanagment: Eine Petition fordert den Rücktritt von | |
WHO-Direktor Ghebreyesus, wegen seines laxen Umgangs mit China. | |
Coronatests in Berlin: Bitte hinten anstellen | |
Sechs Anlaufstellen für Coronatests gibt es inzwischen. Der Andrang | |
übersteigt die Kapazitäten. Senatorin Kalayci fordert mehr Engagement von | |
Ärzten. | |
Coronavirus breitet sich weiter aus: USA schließen Grenzen für Europäer | |
Präsident Trump kündigt ein 30-tägiges Einreiseverbot an. Italien schließt | |
derweil alle Geschäfte bis auf Apotheken und Supermärkte. Die Entwicklungen | |
im Überblick. | |
Rom in Zeiten von Corona: Himmlische Ruhe | |
Viele Menschen in der italienischen Hauptstadt halten sich an die | |
Vorschriften der Regierung und bleiben zu Hause. Andere genießen die | |
ungewohnte Ruhe. | |
Corona-Management in Deutschland: Hort der Krisenverschleppung | |
Nach zähem Entscheidungsprozess kommt es zu einem so genannten | |
Geisterspieltag in der Bundesliga. Ein paar Gedanken zum Umgang mit dem | |
Corona-Virus. |