| # taz.de -- Care-Arbeit im Kapitalismus: Keine Emanzipation | |
| > Frauen, die Karriere machen wollen, beschäftigen oft Care-Arbeiterinnen, | |
| > wie Putzfrauen oder Nannys. Doch ist das die Lösung für | |
| > Gleichberechtigung? | |
| Bild: Putzen, Kochen, Kindererziehung werden in der Gesellschaft noch immer als… | |
| Wenn die Hälfte aller Firmen von Frauen und die Hälfte aller Haushalte von | |
| Männern geführt würden, dann wäre die Welt eine bessere. Diesen Gedanken | |
| formulierte [1][Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg] in ihrem 2013 | |
| erschienen Buch „Lean In“. Über die Jahre entwickelte sich auf Grundlage | |
| von Sandbergs Ideen eine feministische Bewegung: „Lean In“ soll Frauen dazu | |
| ermutigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Will eine Frau | |
| gleichberechtigt leben, braucht sie demnach nicht mehr als paritätisch | |
| besetzte Führungsebenen und eine Sandberg, die am Rande steht und ihr | |
| zuruft: „Stellen Sie sich vor, was Sie tun würden, wenn Sie keine Angst | |
| mehr hätten. Und dann machen Sie es!“ | |
| Sandbergs sogenannter liberaler Feminismus gibt vor, Antworten für alle | |
| Frauen bereitzuhalten. In Wirklichkeit hat er die aber nur für Weiße, | |
| Privilegierte. Migrantische und Schwarze Frauen sowie Arbeiterinnen bleiben | |
| außen vor. Denken wir Sandbergs Gedankenspiel einmal zu Ende: Würden | |
| erfolgreiche Frauen tatsächlich zuhauf in Aufsichtsräten und Vorständen | |
| sitzen, würden sie schnell merken, dass sie sich ihre Karrieren nur deshalb | |
| leisten könnten, [2][weil sie sogenannte Care-Arbeit] – also alles, was | |
| Kindererziehung, einkaufen, putzen oder Pflege betrifft – an andere | |
| auslagern. Im Beruf wären die Sandberg-Frauen gleichberechtigt, die Kosten | |
| dafür trügen Marginalisierte. Ist das die Antwort, die Feminismus heute | |
| bereithält? | |
| Klar: Kinder, Karriere, Haushalt und Pflege unter einen Hut zu bekommen, | |
| ist für zwei voll Berufstätige schwer möglich. Deshalb beschäftigen viele | |
| Reinigungskräfte, die im Haushalt mithelfen, sie engagieren Nannys, die die | |
| Kinder betreuen. Laut einer Studie des Instituts für Deutsche Wirtschaft in | |
| Köln lassen sich über 3,3 Millionen deutsche Haushalte regelmäßig oder | |
| gelegentlich von einer Haushaltshilfe unterstützen. Fast 90 Prozent dieser | |
| Haushaltshilfen befinden sich in illegalen Arbeitsverhältnissen und der | |
| Großteil von ihnen ist weiblich. In Deutschland gibt es laut | |
| Pflegestatistik rund 3,4 Millionen Pflegebedürftige. Gepflegt werden sie | |
| oft von Frauen aus Polen oder anderen osteuropäischen Ländern. Manche | |
| dieser Frauen berichten von fehlender Privatsphäre, langen Arbeitszeiten, | |
| Übermüdung und auch Gewalterfahrungen. | |
| Migrantische Frauen und illegalisierte Arbeiterinnen verlassen ihr Zuhause, | |
| um im Ausland in fragwürdigen Verhältnissen Geld zu verdienen. An welchen | |
| Feminismus sollen sie glauben? | |
| ## Faire Bezahlung reicht nicht aus | |
| Viele Feminist*innen fordern faire Bezahlung und legale | |
| Beschäftigungsverhältnisse für Care-Arbeiterinnen. Aber die Forderung geht | |
| nicht weit genug. Denn eine fair bezahlte Reinigungskraft bleibt noch immer | |
| eine marginalisierte Arbeiterin, die in der Regel nicht das Privileg hat, | |
| sich ihre Beschäftigung auszusuchen. | |
| Neben den Sandberg-Frauen, die sich Arbeitsmigrantinnen leisten, weil sie | |
| es können, sind da noch die, die ihre Arbeit auslagern, weil sie es müssen. | |
| Wie alleinerziehende oder chronisch kranke Frauen. Sollten sie sich | |
| schlecht fühlen, weil sie Care-Arbeiterinnen engagieren? Für Frauen, die es | |
| sich nicht leisten können, eine Reinigungskraft einzustellen oder es nicht | |
| wollen, heißt es auch weiterhin nach acht Stunden Lohnarbeit: Ihr | |
| Arbeitstag wird zu Hause fortgesetzt, Care-Arbeit leisten sie selbst und | |
| unbezahlt. | |
| Die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern wird noch immer zu einem Thema | |
| gemacht, das lediglich Frauen betrifft. Wo bleiben die Männer in dem | |
| Gedankenspiel? Frauen können fordern, dass Männer gleichermaßen Haushalts- | |
| und Fürsorgearbeit übernehmen. Oder dass sie Verbündete im Kampf gegen die | |
| Ungleichbehandlung werden. Aber das wäre nur ein kleiner Gewinn, wenn | |
| Frauen an anderer Stelle immer noch benachteiligt blieben. Denn Frauen | |
| würden ja weiterhin im Beruf schlechter bezahlt werden als Männer. Und | |
| durch diesen ökonomischen Zwang wären es auch viel mehr Frauen als Männer, | |
| die nach der Geburt eines Kindes zu Hause blieben, die später vielleicht in | |
| Teilzeit arbeiteten, die zurückstecken würden, damit Männer Karriere machen | |
| könnten. | |
| Es gibt keine einfache Antwort darauf, ob es in Ordnung ist, | |
| Care-Arbeiterinnen zu engagieren. Denn das Problem liegt im System. Solange | |
| wir im Kapitalismus leben, werden unentwegt Ungleichheiten produziert. Wo | |
| eine Frau an einer Stelle privilegiert ist, nimmt sie an anderer Stelle | |
| einer anderen Frau das Privileg weg – und umgekehrt. Ist das ein Zustand, | |
| den man aushalten muss? Oder ist es möglich, eine radikale feministische | |
| Position zu entwickeln, die inklusiv ist? | |
| ## Die Klassenfrage in den Blick nehmen | |
| Die Philosophin Cinzia Arruzza fordert gemeinsam mit Nancy Fraser und Tithi | |
| Bhattacharya in ihrem [3][Manifest einen „Feminismus für die 99 Prozent“.] | |
| Sie wollen die Klassenfrage wieder stärker in feministische Kämpfe | |
| integrieren. Im Blick hat Arruza die Frauen, die im liberalen Feminismus | |
| unsichtbar sind. Also trans und queere Personen, migrantische Frauen, | |
| Arbeiterinnen und Sexarbeiterinnen. | |
| Arruza verbindet feministischen Widerstand, dem Wunsch nach einem guten | |
| Leben, mit ökonomischen Kämpfen. Denn der Kern allen Widerspruchs liege in | |
| unserem Wirtschaftssystem. Solange wir im Kapitalismus leben, können wir | |
| uns nicht emanzipieren, sagt Arruza. Feminismus kann also nicht bedeuten, | |
| dass Frauen weniger Care-Arbeit leisten und diese an Migrantinnen | |
| auslagern, selbst wenn diese fair entlohnt wird. Und Feminismus kann auch | |
| nicht bedeuteten, diese Arbeit selbst zu übernehmen und unter der Last | |
| zusammenzubrechen. Eine radikale feministische Bewegung muss fordern, dass | |
| sich die Spielregeln ändern. | |
| Frauen dürfen deshalb nicht nur nach Reformen rufen oder für faire Löhne | |
| kämpfen. Feminismus muss nicht nur ein Recht auf Abtreibung fordern, | |
| sondern auch kostenlosen Zugang zu Gesundheitsversorgung. Frauen müssen | |
| Organisationsstrukturen finden, die auch migrantische und geflüchtete | |
| Frauen, Schwarze Frauen, trans und queere Menschen einschließen. Es braucht | |
| Proteste gegen Machtstrukturen, gegen sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz | |
| und in der Familie. Es braucht mehr Förderung von feministischer | |
| Bildungsarbeit und lokalen feministischen Gruppen. | |
| Drei Jahre nachdem Sandberg ihr Buch veröffentlichte, entstand eine | |
| globale, feministische Streikbewegung. Sie begann in Polen, mit dem Protest | |
| gegen das Abtreibungsverbot, schwappte über bis nach Argentinien, erreichte | |
| dann Spanien, Italien, Mexiko, die USA. Frauen solidarisierten sich und | |
| [4][skandierten „Time’s Up“], „We Strike“, „Ni una menos“, forder… | |
| mehr nur Gleichberechtigung, sondern eine grundlegende Veränderung der | |
| Verhältnisse. Im Zentrum des Streiks stand neben weiblicher Lohnarbeit | |
| erstmals auch wieder Care-Arbeit. Diese zunächst nationalen Streiks haben | |
| sich nur ein Jahr später zu einer transnationalen Bewegung entwickelt. Zum | |
| ersten Mal seit Jahrzehnten politisieren sich Frauen wieder global. | |
| Wenn am 8. März also erneut weltweit zum Frauenkampftag aufgerufen wird, | |
| Frauen die Arbeit niederlegen, dann wird hier ein radikaler Feminismus | |
| wiederbelebt. Ein Feminismus gegen das System. | |
| 8 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erica Zingher | |
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