| # taz.de -- Philosophin über Feminismen: Brot und Rosen | |
| > Die italienische Philosophin Cinzia Arruzza über ihren idealen | |
| > Feminismus. Einen Feminismus für alle, nicht nur für cis Frauen in | |
| > Führungspositionen. | |
| Bild: „Brot und Rosen“ – den Slogan prägte die US-Aktivistin Rose Schnei… | |
| taz: Frau Arruzza, die Facebook-Geschäftsführerin [1][Sheryl Sandberg] hat | |
| in ihrem Bestseller „Lean in“ geschrieben, dass die Welt eine bessere wäre, | |
| wenn die Hälfte aller Firmen von Frauen geführt würden und die Hälfte aller | |
| Haushalte von Männern. Sie halten diese Aussage für problematisch. Wieso? | |
| Cinzia Arruzza: Die Welt wird nicht dadurch besser, dass mehr Frauen | |
| darüber entscheiden, wo Drohnen fliegen oder welche Länder bombardiert | |
| werden. Das Problem sind Führungspositionen an sich. Sie basieren auf | |
| gesellschaftlicher Ungleichheit, die es ermöglicht, dass nur manche | |
| Menschen nach oben kommen und andere unterdrückt werden. An diesen | |
| bestehenden Hierarchien und Machtverhältnissen will Sandberg nichts ändern. | |
| Dadurch bleibt das System dahinter dasselbe. Mit einer gerechten | |
| Gesellschaft hat das nichts zu tun. | |
| Hat Sandbergs sogenannter liberaler Feminismus, dessen Grundhaltung in der | |
| westlichen Welt stark verbreitet ist, wirklich gar keine Antworten für | |
| Frauen, die weniger privilegiert sind? | |
| Nein. Von Sandbergs Feminismus profitieren nur Frauen, die das notwendige | |
| kulturelle, intellektuelle und ökonomische Kapital bereits mitbringen. Das | |
| heißt, dass sie eh schon die Möglichkeit haben, dort zu arbeiten, wo sie | |
| wollen, und in großen Firmen an die guten Stellen kommen – was sie sich | |
| meistens nur leisten können, weil sie andere Frauen mit der Erziehung der | |
| eigenen Kinder oder ihrem Haushalt beauftragen. So ein Leben ist aber nicht | |
| für alle Frauen möglich. Was ist beispielsweise mit den [2][Rechten von | |
| migrantischen Frauen], die in Spanien oder Italien auf Plantagen arbeiten? | |
| Für sie hat Sandberg keine Antwort. | |
| Gehen die Forderungen des liberalen und antikapitalistischen Feminismus | |
| überhaupt nicht zusammen? | |
| Natürlich gibt es auch gemeinsame Anliegen, bei denen sich Frauen | |
| solidarisieren. Für das Recht auf Abtreibung gehen beispielsweise viele | |
| Frauen gemeinsam auf die Straße. Aber der antikapitalistische Feminismus | |
| geht immer noch einen Schritt weiter und fordert nicht nur das Recht auf | |
| Abtreibung, sondern noch dazu eine kostenlose medizinische Versorgung. Nur | |
| so können auch arme Frauen, die es sich sonst vielleicht einfach nicht | |
| leisten könnten, ihr Recht in Anspruch nehmen. | |
| Das Manifest, das Sie gemeinsam mit Nancy Fraser und Tithi Bhattacharya | |
| verfasst haben, versammelt elf Thesen eines „Feminismus für die 99 %“. Er | |
| soll sich auf diejenigen Frauen konzentrieren, die nichts oder wenig vom | |
| Kuchen abbekommen. Aber wer ist damit überhaupt gemeint? | |
| Unser Slogan ist unter anderem eine Hommage an die Occupy-Bewegung aus dem | |
| Jahr 2011. Damals hieß es „Wir sind die 99 Prozent“. Das haben wir aber | |
| abgewandelt. Denn unser Manifest muss für alle Frauen gelten, also auch | |
| trans und queere Personen, migrantische Frauen, Frauen mit oder ohne | |
| Working-Class, also Arbeiterhintergrund und Sexarbeiterinnen einschließen, | |
| um nur einige zu nennen. Wir gehen nicht von einem homogenen Frauenbild | |
| aus. Diese Frau, die damit beschrieben werden soll, existiert sowieso | |
| nicht. | |
| Innerhalb dieser 99 Prozent dürfte es ziemlich viele unterschiedliche | |
| Bedürfnisse geben. Die einen kämpfen um gerechtere Arbeitsbedingungen, die | |
| anderen ums Überleben. Wie sollen diese Anliegen zusammengehen? | |
| Genau um diese Unterschiede geht es. Natürlich haben nicht alle dieselben | |
| Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Aber statt uns deswegen | |
| gegeneinander auszuspielen, müssen wir Wege finden, miteinander zu leben, | |
| und unsere Fähigkeiten kombinieren. Das funktioniert momentan aber noch | |
| nicht, weil wir überall in unserem Leben – von der Schulzeit bis ins | |
| Arbeitsleben – lernen, mit anderen Frauen zu konkurrieren. Deswegen können | |
| wir uns nicht emanzipieren, solange wir im Kapitalismus leben. Unser | |
| Manifest verstehen wir als ersten Vorschlag, was sich verändern muss, damit | |
| die Welt für die 99 Prozent gerechter wird. Zuallererst brauchen wir eine | |
| Gesellschaft, die nicht sexistisch und rassistisch ist. | |
| Im Buch schreiben sie, dass es in einer neuen feministischen Streik-Ära | |
| nicht nur um Lohnarbeit, sondern auch um unbezahlte und unsichtbare Arbeit | |
| gehen dürfe. | |
| Um arbeiten zu können, müssen wir am Leben sein. Schließlich braucht der | |
| Kapitalismus funktionierende Menschen. Das heißt: Jemand muss dafür sorgen, | |
| dass wir lernen, uns selbst zu versorgen, dass wir, auf welche Art auch | |
| immer, erzogen werden. Wir nennen das soziale Reproduktion. Diese Arbeit | |
| wird immer noch mehrheitlich von Frauen verrichtet und nicht als Arbeit | |
| anerkannt. Ein Streik kann Lohnarbeit und Care-Arbeit miteinander verbinden | |
| und dadurch sichtbar machen. | |
| Statt „Bread and Butter“, also nur sozialer Gerechtigkeit, fordern Sie | |
| „Bread and Roses“. Was ist damit gemeint? | |
| Kurz gesagt: Der Kampf um „Bread and Butter“, also faire Löhne, ist absolut | |
| notwendig. Trotzdem kritisieren wir in unserem Buch, dass sich viele | |
| Forderungen nur auf ökonomische Umstände beziehen. Das reicht nicht. | |
| Haben Sie ein Beispiel dafür? | |
| Ja, für Frauen, die in Spanien auf der Plantage arbeiten, geht es primär | |
| nicht um einen gerechten Arbeitsvertrag – sondern um Schutz vor Ausbeutung, | |
| sexuellen Übergriffen, Erpressungen, Demütigungen und Unterdrückung als | |
| Frau. Wir müssen unsere nationalen Klassenkämpfe erweitern, um uns für die | |
| Rechte dieser Frauen einzusetzen. Es geht um die Qualität und die Würde des | |
| Lebens, die Roses eben. | |
| In Deutschland haben wir nach #MeToo vor allem über sexuelle Belästigung am | |
| Arbeitsplatz und in der Filmbranche gesprochen. Haben Sie Hoffnung, dass | |
| auch andere Themen bald auf die Tagesordnung kommen, wenn wir anders über | |
| Frauen und Arbeit nachdenken? | |
| Meiner Meinung nach passiert das schon. #MeToo hat gezeigt, dass sexuelle | |
| Belästigung und Machtpositionen eng zusammenhängen. Sexuelle Belästigung | |
| hat ja nichts mit Sex zu tun, sondern mit Macht. Deswegen gibt es dort, wo | |
| sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz möglich ist, oft starre Hierarchien | |
| und nicht besonders ausgeprägte demokratische Entscheidungsprozesse. In den | |
| schlimmsten Fällen bedeutet das, dass Arbeitgeber*innen die Pässe ihrer | |
| Angestellten einbehalten. Deswegen sind die Frauen vollständig abhängig. | |
| Sexuelle Belästigung ist dann eine Methode, um sie zu disziplinieren. Wenn | |
| wir über das eine sprechen, thematisieren wir das andere immer auch mit. | |
| In These 11 fordern Sie, radikale Bewegungen sollten sich zusammentun und | |
| gemeinsam antikapitalistisch organisieren. Welche Aktion malen Sie sich | |
| dafür aus? | |
| Strategien müssen sich immer an lokalen Konditionen orientieren, die sich | |
| die jeweiligen Bewegungen selbst überlegen. Ein Vorschlag wäre, den Dialog | |
| zwischen Klimaaktivist*innen und der Frauenbewegung zu öffnen. | |
| Anknüpfungspunkte gibt es genug: Immerhin sehen wir einerseits, dass gerade | |
| junge Frauen an der Spitze der Klimabewegung stehen und eine wichtige | |
| Rolle spielen. Daten belegen außerdem, dass Frauen in besonderem Maße von | |
| der Klimakrise betroffen sein werden. Zunächst ist es wichtig, dass wir | |
| miteinander ins Gespräch gehen und gemeinsam einen Prozess starten – und | |
| dann sehen, wo es hingeht. | |
| 9 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Juli Katz | |
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